Neelie Kroes im Gespräch:"Das deutsche Bankensystem ist überholt"

EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes über Finanzmarktreformen, Hilfspakete - und Kritik aus Berlin.

Cerstin Gammelin und Martin Winter, Brüssel

Die Niederländerin Neelie Kroes, 67, hütet den europäischen Wettbewerb. Den Deutschen ist sie gut bekannt, seit sie den mächtigen Energiekonzernen auf die Finger klopfte und Glaskartelle zerschlug. Derzeit entscheidet sie darüber, unter welchen Auflagen notleidende deutsche Banken vom Staat gerettet werden dürfen.

Neelie Kroes, AFP

Hält das deutsche Bankensystem für überholt: EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes.

(Foto: Foto: AFP)

SZ: Frau Kroes, sind die europäischen Banken acht Monate nach dem Zusammenbruch des US-Finanzierers Lehman Brothers wieder sicher?

Neelie Kroes: Ich zweifle, dass alle Banker wirklich wissen, welche Gefahren noch in ihren Büchern schlummern. Wir sind weiter auf Überraschungen gefasst.

SZ: Die Talsohle der Krise haben wir also noch nicht erreicht?

Kroes: Ich wage weder Ja noch Nein zu sagen. Das Vertrauen ist noch nicht wieder da. In den letzten Monaten habe ich mit den Chefs der zweiundzwanzig wichtigsten Banken und Finanzinstitutionen gesprochen. Ich war sehr überrascht, dass einige von ihnen ihre eigene Rolle in der ganzen Sache immer noch nicht wahrhaben wollen.

SZ: Sie meinen, die Chefs sollten endlich Verantwortung übernehmen?

Kroes: Natürlich. Genau das ist es auch, was die Kommission tut. Die ganze Kommission drängt darauf, dass wir jetzt endlich den Finanzmarkt angemessen regulieren. Nicht mehr - aber angemessen. Und natürlich müssen wir ihn überwachen. Letzte Woche haben wir einen Vorschlag dazu vorgelegt...

SZ: ...den einige Länder ganz und gar nicht mögen. Darunter Deutschland.

Kroes: Es ist wirklich nicht ungewöhnlich, dass uns niemand Blumen schickt. Selbst wenn unsere Vorschläge Sinn machen.

SZ: In Deutschland hat die Finanzaufsicht versagt, und dennoch wehrt sich Berlin, Kompetenzen nach Brüssel abzugeben. Wie sollen denn dann Krisen wie diese künftig vermieden werden?

Kroes: Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Nicht nur in Deutschland. Wir müssen begreifen, dass wir unser Finanzsystem nicht angemessen überwacht haben und es noch immer nicht tun. Dass wir in einigen Mitgliedsstaaten weiterhin Strukturen haben, die veraltet sind. Gleichzeitig hat sich die Wirtschaft grundlegend gewandelt, sie ist nicht wie früher national ausgerichtet. Sie muss sich auf dem globalen Spielfeld behaupten. Und da macht es mich doch besorgt, wenn wir uns nicht darüber einigen können, welche Art von Finanzinstitutionen wir brauchen und wie sie strukturiert sein sollen. Schauen Sie von Deutschland in Länder wie Italien, Österreich oder Frankreich. Die hatten früher auch die alten Strukturen, und dann haben sie angefangen, die zu verändern. Unicredit ist heute einer der Großen.

SZ: Sie meinen, das deutsche Bankensystem ist veraltet?

Kroes: Das deutsche Dreisäulenmodell - also Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen - ist überholt. Es entspricht überhaupt nicht der Rolle, die die deutsche Wirtschaft spielt und spielen soll. Europa braucht dringend ein Deutschland, dass wieder in guter Form ist.

SZ: Was empfehlen Sie den Deutschen zu tun?

Kroes: Sie sollten sich auf die Marktstrukturen konzentrieren ...

SZ: ...das heißt, das dreigeteilte Modell verändern?

Kroes: Ja, es ist nun mal überholt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Neelie Kroes die Bereitschaft der Europäer zu Reformen am Finanzmarkt einschätzt - und was sie von Finanzminister Peer Steinbrück hält.

"Was wir brauchen, sind stimmige Entscheidungen"

SZ: Glauben Sie wirklich, dass die Europäer bereit sind, ihre Finanzmärkte grundsätzlich umzustrukturieren?

Kroes: Ich bin vollkommen sicher, dass die Steuerzahler es nicht akzeptieren würden, wenn es keinen Wechsel gäbe. Nehmen Sie Ihr Land. Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg außerordentlich erfolgreich beim Entwickeln seiner wirtschaftlichen Kraft. Deutschland ist die Wirtschaftsmacht im gemeinsamen europäischen Markt. Und nun sehen Sie sich Ihr Bankensystem an. Normalerweise würde man sagen, dass ein Land mit solch großer Wirtschaftskraft auch ein paar einflussreiche Banken haben sollte, die nicht nur in Deutschland selbst, sondern auch innerhalb und außerhalb von Europa eine Rolle spielen. Ich verstehe ja, dass die Menschen es mögen, wenn sie ihre Bank gleich um die Ecke haben und Kleinunternehmer sich bei ihrem Kreditinstitut in vertrauten und guten Händen wähnen. Aber sehen Sie sich doch an, welche Mengen an Geld jetzt zur Rettung der Banken auf den Tisch gelegt werden müssen. Das ist das Geld der Steuerzahler.

SZ: Werden Sie die staatlichen Finanzspritzen genehmigen?

Kroes: Ja, das sind staatliche Beihilfen, und ich bin die Schiedsrichterin im Markt. Meine Auftraggeber sind die Steuerzahler und Verbraucher. Ich versichere Ihnen, dass wir sehr genau darauf achten, dass die Regeln eingehalten werden. Das ist wie beim Fußball. Wenn einer der Spieler die Regeln verletzt, dann muss der Schiedsrichter handeln. Tut er es nicht, dann zerfällt das Spiel.

SZ: Pfeifen nicht längst einige Länder auf die erlaubten Möglichkeiten staatlicher Beihilfen und versuchen, ohne Rücksicht auf europäische Regeln, zuhause alles und jeden zu retten?

Kroes: Mir ist klar, dass es unter den gegenwärtig so schwierigen Bedingungen die Tendenz gibt, protektionistischer und nationalistischer zu handeln. Natürlich handeln Politiker, die Wahlen vor sich haben, unter besonderen Bedingungen. Aber Protektionismus ist der schlechteste Weg, den wir nehmen können. Wir müssen die Lasten gemeinsam tragen und wir sollten bedenken, dass diese Herausforderung langfristig ein großer Schritt nach vorn sein könnte. Der Binnenmarkt nutzt absolut jedem. Wir haben nicht nur für morgen und den nächsten Monat die Verantwortung. Wir müssen unsere Wirtschaft langfristig wieder zum Laufen bringen.

SZ: Gelänge das nicht besser mit einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftsregierung, wie sie etwa den Franzosen vorschwebt?

Kroes: Der gemeinsame Markt, die Europäische Zentralbank und die Kommission reichen aus, diese Arbeit zu tun. Was wir dabei brauchen, sind stimmige Entscheidungen. Die Regierungschefs dürfen nicht mehr nach Hause fahren und dort Entscheidungen aus Brüssel kritisieren, die sie zuvor selbst beschlossen haben.

SZ: In früheren Krisen zog die Kommission ihre Stärke oft daraus, dass eines oder zwei der großen Länder sie unterstützt haben. Diesmal ist das nicht der Fall. Wie stark kann die Kommission da überhaupt auftreten?

Kroes: Die 27 Mitgliedsstaaten haben sich gegenseitig versprochen, gemeinsam zu handeln. Wir sehen jetzt natürlich, dass nicht jeder in der Stimmung dafür ist, sei es nun, weil er Wahlen vor sich hat oder aus Stolz. Aber es gibt nur eine Lösung: Zusammengehen.

SZ: Die Deutschen haben oft das Gefühl, dass die Kommission bei Wettbewerbsentscheidungen besonders scharf gegen sie vorgeht.

Kroes: Ich weiß, aber das ist nicht der Fall. Fast jedes Land denkt, dass wir es schlecht behandeln. Aber ich treffe keine unterschiedlichen Entscheidungen für einzelne Länder. Natürlich gibt es Unterschiede, wenn verschiedene nationale Bedingungen gegeben sind wie bei den Banken. Das Bankensystem in Deutschland ist wie gesagt komplett anders als das in Frankreich, Italien oder Großbritannien.

SZ: Auch der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück zweifelt Ihre Entscheidungen gelegentlich an.

Kroes: Wir arbeiten hart, aber offen zusammen. Und konstruktiv. Die Deutschen sind keine Weichlinge. Wir auch nicht. Aber wissen Sie, ich habe es ungern mit Softies zu tun.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: