Nachhaltige Architektur:Wo das Klima manifest wird

Spät, aber nicht zu spät: Architekten und Ingenieure fordern in einem neuen Manifest eine zeitgemäße Baukultur.

Gerhard Matzig

Die Geschichte ist nicht eben arm an Manifesten. Es gibt das futuristische und das kommunistische Manifest. Es gibt das Prager, das Braunschweiger oder das Münchner Manifest. Es gibt das Manifest der 12, der 93 oder der 121. Und auch die Baugeschichte ist reich an öffentlichen Erklärungen, in denen Ziel und Absichten handgreiflich, also manifest gemacht werden.

Das "Bauhaus"-Manifest von Walter Gropius feiert dieser Tage seinen 90. Geburtstag. Es ist im Grunde ein harmloser Aufruf: "Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück!" Schon gefährlicher hört sich das Wiener Architektenteam Coop Himmelb(l)au an, das 1980 forderte: "Wir wollen Architektur, die mehr hat. Architektur, die blutet, die erschöpft, die dreht und meinetwegen bricht (. . .) Architektur muss brennen."

Auch Friedensreich Hundertwasser ließ in seinem "Verschimmelungsmanifest" von 1958 die Welt wissen, was er will. Vor allem aber, was er nicht will: das Lineal. "Schon das Bei-sich-tragen einer geraden Linie müsste, zumindest moralisch, verboten werden." Destruktiv auch Bruno Taut, der 1920 das Manifest "Nieder der Seriosismus!" veröffentlichte: "Wichtig! Wichtig! Verfluchte Wichtigtuerei! Grabstein- und Friedhofsfassaden vor vierstöckigen Trödel- und Schacherbuden! Zerschmeißt die Muschelkalksteinsäulen in Dorisch, Ionisch und Korinthisch, zertrümmert die Puppenwitze! (. . .) Pfui Deuwel, wie stinken die Begriffe! Zersetzt sie, löst sie auf! Nichts soll übrig bleiben!"

Wichtig! Wichtig! Viele Absichts- oder Welterklärungen der Architektur lesen sich in ihrem aufgewühlten Furor, als hätten sich ihre Schöpfer im Freundeskreis und im nächtlichen Schein jener Kerzenstummel, die von Chianti-Flaschen tropfen, in Rage geredet und die Tinte nicht mehr halten können. Das ist meist sympathisch, oft naiv, selten hilfreich. Mancher Verfasser eines Manifests würde sich wohl - ernüchternde Jahre nach dem Rausch der Gedanken - wünschen, es sei nicht gar so manifest und also nachprüfbar geraten, das Manifest.

Wenn daher am kommenden Freitag in Berlin das jüngste deutsche Manifest "Vernunft für die Welt" als Erklärung der Architekten, Ingenieure und Stadtplaner "für eine zukunftsfähige Architektur und Ingenieurbaukunst" feierlich unterzeichnet und an Bundesminister Wolfgang Tiefensee übergeben wird, stellt sich vor allem eine Frage: Was wird nach einem Jahrhundert weitgehend irrelevanter Absichtserklärungen am Bau von diesem neuen Architektur-Manifest dereinst übrigbleiben?

Ob nämlich dieses Vernunft-Manifest auch ein nachhaltig wirksames sein wird, ist in diesem aktuellen Fall deshalb so interessant, weil es eben eines der Nachhaltigkeit sein will. "Mit dem Manifest formulieren wir Architekten, Ingenieure, Stadtplaner, Landschafts- und Innenarchitekten Prinzipien und Perspektiven für unseren Berufsstand, die dem verantwortungsbewussten Umgang mit den Ressourcen der Erde gerecht werden." Das Manifest ist dem Schutz des Klimas durch die Baukultur gewidmet.

Architekten als Energie-Kanalisierer

Das ist verdienstvoll, auch wenn sich manches im Manifest ein wenig nach dem bekannten Aufgewühltsein anhört. (Übrigens kann es vom 27. März an unter www.klima-manifest.de von allen deutschen Planern, von Architekten und Ingenieuren gleichermaßen, unterzeichnet werden.) Gefordert wird etwa "ein neues Denken, eine neue Entschlossenheit und eine neue Verbundenheit über alle Grenzen hinaus. Wir brauchen Ideen, Utopien und Perspektiven, Entschiedenheit, Neugierde und Mut, um unser Leben so zu führen, dass die drohende Veränderung der Welt in Grenzen bleibt". Die ökologische Wende möchte man erreichen "mit einer intelligenten und zukunftsweisenden Planung und Gestaltung unserer Städte und Bauwerke".

Auch schon aufgewacht?

Aber nicht alles, was verdienstvoll ist, ist auch relevant. Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut - im Sinn von notwendig. Es ist deshalb zunächst nur interessant, dass sich die Planer - endlich - der schon länger bekannten Nachfrage nach energieeffizienten, nachhaltig wirksamen und zu bewirtschaftenden Bauwerken, seien es Wohnungen, Büros oder Fabriken, annehmen wollen. Manche Architekten und Ingenieure, die sich seit Jahrzehnten um eine ökologisch orientierte Baukultur mühen, werden sich vermutlich fragen: "Auch schon aufgewacht?"

Aber besser spät als zu spät. Und es ist verblüffenderweise gar nicht so falsch und gar nicht so naiv, wenn sich die Architekten und Ingenieure nun die Rolle der Weltenretter zumuten. Denn am Bau wird tatsächlich das Schicksal der Erde entschieden - sofern es mit der Emission von Kohlendioxid als Folge der Energiefreisetzung verbunden ist.

Die Zahlen sprechen für das Anliegen: Weltweit wird rund ein Drittel der notwendigen Energie für das Heizen oder Kühlen von Wohnraum und Arbeitsstätten aufgewendet. Ein weiteres Drittel verursacht der Berufs- und Freizeitverkehr. Dieser wiederum kann durch stadträumliche Eingriffe, etwa durch das Schaffen von Wohnraum nah an den meist zentral gelegenen Arbeitsplätzen, beeinflusst werden. Das letzte Drittel der Energie, die die Welt braucht und verbraucht, geht in die Industrieproduktion. Aber auch hier kann eine ökologisch orientierte Planung für mehr Nachhaltigkeit sorgen - und, nicht zu vergessen, die Kosten senken.

Das heißt: Architekten und Ingenieure sind tatsächlich an jenen Schalt- und Planungsstellen zu finden, an denen sich entscheidet, wie viel Energie auch in Zukunft aufzuwenden ist - oder, besser, eingespart werden kann. Die Architektur eines Wohnhauses, eines Büroturms, einer Fabrikhalle, die Konstruktion und energetische Ausstattung: Das ist das Feld, auf dem sich der Klimawandel tatsächlich entscheiden wird. Vor dem Hintergrund endenwollender Ressourcen und unabsehbarer Klimafolgen kommt den Planern daher für die Zukunft eine Bedeutung zu, die sie wohl selbst nicht vermutet hätten. Allein der Bauschutt verursacht etwa die Hälfte des weltweiten Müllproblems. Hier ließe sich viel erreichen - womöglich auch mit einem Manifest der Vernunft.

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Naiv, wenn auch notwendigerweise, ist dieses Manifest aber dennoch. Schließlich entscheiden Architekten und Ingenieure immer weniger darüber, was letztlich gebaut wird. Es sind die Bauherren, die darüber befinden. Wenn die Architekten in ihrem Manifest nun schreiben, dass sie in Zukunft "vorwiegend regionale Materialien verwenden" wollen, um "Transport und Import zu vermeiden", dann möchte man sagen: Glänzende Idee - aber warum wird ein Landratsamt im fränkischen Jura nicht mit Naturstein aus dem Altmühltal, sondern mit den Produkten aus chinesischen oder brasilianischen Steinbrüchen bestückt? Weil es billiger ist - und der Transport bei den Kosten unangemessener Weise kaum ins Gewicht fällt.

Und wenn die Ingenieure nun ein "geschärftes Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung" fordern, dann auch deshalb, um "Deutschland zum Vorreiter klimagerechter Architektur" zu machen. Hier möchte man rufen: Das ist dieses Land schon lange, auf der ganzen Welt wird das Know-how deutscher Architekten und Ingenieure deshalb nachgefragt - aber deutsche Provinzbürgermeister und Manager legen dennoch sehr viel mehr Wert auf die genialischen, selten nachhaltigen Entwürfe irgendwelcher internationaler Star-Architekten.

Häuser und Städte zum Lieben und Achten

Trotzdem ist es richtig, dass sich Architekten und Ingenieure nun nach Jahren erbitterter Feindschaft endlich einmal im Zeichen einer großen Geste zusammengefunden haben. Gut auch, dass die Verbände die hinter der Initiative stehen, ihre rituellen Feindseligkeiten vor diesem Hintergrund begraben haben. Gut schließlich, dass die chronisch unterschätzten Stadt- und Freiraumplaner mitmachen. In einem "urbanistischen Millennium" (UN), da Städte 75 Prozent der Kohlendioxidbelastung verursachen, wird der Kampf um die Zukunft auf ihrem Terrain entschieden.

Jetzt müssen die Planer den Bundesbauminister am Freitag nur noch davon überzeugen, dass energieeffiziente Häuser keineswegs solche sind, denen man Mützen aufsetzt. Zuletzt ließ sich Tiefensee nur zu gern vor entsprechenden Plakaten fotografieren, die das Ergebnis einer CO2-Kampagne waren. Alte Häuser, dick angezogen und vermummt: Das ist das Gegenteil energieeffizienter Architektur und Ingenieursbaukunst, die sehr viel ganzheitlicher zu begreifen wäre.

Wobei auch die Architekten und Ingenieure etwas zu begreifen haben: Nur Häuser und Städte, die geliebt und geachtet werden, sind auf Dauer auch abseits ihrer Wärmedurchgangswerte oder ihrer neuen Erdsonden und Solardächer nachhaltig. Es wäre an der Zeit, welche zu bauen.

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