Nach dem Erdbeben in Italien:Das eingebaute Risiko

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Italien wird häufig von Erdbeben erschüttert. Doch Schulen und Krankenhäuser sind nicht ausreichend gesichert.

Julius Müller-Meiningen

Das Regierungsgebäude der Regionshauptstadt L'Aquila liegt in Trümmern. Die Fundamente des Gebäudes stehen noch, von den oberen Stockwerken sind nur Reste des Mauerwerks zu sehen. Der Giebel mit der Aufschrift "Palazzo del Governo" ist in zwei Teile gespalten, als habe das Beben in den Abruzzen auch die Autorität derer gebrochen, die in der Katastrophe nichts dringender gebraucht hätten als einen Ort zur Koordination der Hilfsarbeiten.

Ein Polizist steht vor einem beschädigten Gebäude in L'Aquila. (Foto: Foto: Reuters)

Die Regionalverwaltung ist in eine Kaserne am Stadtrand gezogen und arbeitet von dort aus. Schlimmer traf es eine noch wichtigere Institution: das moderne Krankenhaus von L'Aquila, ein ganzer Flügel des Hauses ist bei dem Erdbeben eingestürzt. Am Montagabend wurde das Gebäude vollständig evakuiert. Ärzte richteten ein Feldlazarett vor dem Krankenhaus ein.

So stellen sich die Menschen in L'Aquila die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass ausgerechnet die im Katastrophenfall wichtigsten Gebäude in sich zusammenstürzten. Und das bei einem Beben, das von Experten nicht einmal als besonders heftig eingestuft wurde. "In Kalifornien hätte es bei so einem Erdbeben kein einziges Todesopfer gegeben", sagt Franco Barberi, ein Vulkanologe und ehemaliger Staatssekretär für den italienischen Zivilschutz. In Kalifornien habe es wesentlich stärkere Erdstöße gegeben, die weniger Schaden angerichtet hätten, sagt der Wissenschaftler und bezeichnete die Gebäude in Italien als "alt und schlecht gebaut". Dabei wurde das Krankenhaus von L'Aquila erst vor zwölf Jahren eingeweiht.

Nach Schätzungen des Zivilschutzes sind in Italien 80 000 öffentliche Gebäude wie Schulen, Rathäuser und Krankenhäuser nicht ausreichend gegen Erdbeben gesichert. Fast 40 000 Schulen stehen nach den Untersuchungen auf von Erdbeben gefährdetem Grund, 9000 von ihnen seien nicht nach modernen antiseismischen Maßnahmen gebaut. Gian Michele Calvi, Präsident des Europäischen Zentrums für erdbebensicheres Bauen, sagte der Zeitung Corriere della Sera: "Wenn wir nicht in die Sicherheit von Gebäuden investieren, wird es weitere Tote geben. Das ist ein Skandal."

Es ist unter Ingenieuren in Italien bekannt, dass die in den 1960er Jahren errichteten Gebäude nach Jahrzehnten deutlich an Stabilität einbüßen können. Auch das eingestürzte Studentenwohnheim in L'Aquila wurde Mitte der 60er Jahre gebaut. Viele andere eingestürzte Wohnhäuser in den Abruzzen wurden im Bauboom der 1970er und 1980er Jahre errichtet. Hier wurden die Bauvorschriften nicht eingehalten, vermuten Experten.

Feuerwehrleute stehen auf einem zerstörten Haus im Dorf Onna. (Foto: Foto: Reuters)

Italien ist neben Griechenland und Rumänien das in Europa am meisten erdbebengefährdete Land, 6000 Menschen verloren hier in den vergangenen 40 Jahren ihr Leben durch seismische Katastrophen. Schon nach dem Beben in Irpinien, nordöstlich von Neapel, bei dem im Jahr 1980 etwa 2700 Mensch starben, aktualisierte die italienische Regierung die Gesetze zur Erdbebenvorsorge. Sie wurden auch später immer wieder auf den neuesten Stand gebracht.

Seit 1996 gelten besondere technische Vorschriften für den Gebäudebau in Erdbeben-Gebieten, 2005 und 2008 wurden genau diese Vorschriften noch einmal aktualisiert. Und erst vor sechs Jahren wurde ein Risikoplan neu verfasst - nachdem bei einem Erdbeben in Apulien 27 Kinder und eine Lehrerin unter den Trümmern ihrer Schule gestorben waren. Der Plan zeigt, welche Gegenden besonders gefährdet sind, und die Abruzzen gehören dazu.

Pläne und Regeln gibt es also offenbar genug. Nur eine Vorschrift, nach der es Pflicht wäre, Gebäude auch regelmäßig zu kontrollieren und dem neuesten Stand der Anti-Erdbeben-Technik anzupassen, die existiert nicht.

Nach Angaben der Vereinten Nationen kostet der Bau eines erdbebensicheren Hauses im Schnitt rund fünf Prozent mehr als der eines gewöhnlichen Gebäudes. Die erdbebengerechte Renovierung eines bereits errichteten Hauses hingegen wird mit etwa 15 Prozent der Baukosten veranschlagt.

Die Oppositionspartei Demokraten im italienischen Parlament fordert deshalb, dass im von der Regierung geplanten Paket zur Förderung des Wohnungsbaus die Erdbebenvorsorge Pflicht wird. Die Politiker drängen außerdem darauf, dass ein nationaler Plan zur Sicherung aller Gebäude in Erdbebengebieten erstellt wird. Fürchten sie doch, dass Tausende öffentliche Gebäude in Italien einem weiteren Erdbeben nicht standhalten würden.

© SZ vom 8.4.2009/tkw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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