Münchner Messestadt Riem:Schön, dass ihr alle da seid!

Das Einkaufszentrum "Riem Arcaden" ist eine Art Arche Noah für Populär-Geschäfte: Falls morgen die Sintflut käme, es wäre von jedem ein Exemplar an Bord. Den Besuchern gefällt' s - ausnahmslos.

Von Tanja Rest

Zara, S.Oliver, H&M. Kann eine Geschichte so anfangen? Grundsätzlich nein, weil es sich hier um die vorhersehbare und deshalb elend spannungslose Abfolge von Ladengeschäften handelt (Erdgeschoss, von links nach rechts gesehen). Andererseits. Ja, weil Zara-S.Oliver-H&M die Chiffre ist für ein Gefühl, von dem diese Geschichte erzählen wird, das jeder kennt, die meisten von uns brauchen, nennen wir es die Sicherheit spendende Kraft der Marke. Oder auch: das Shoppingcenter-Gefühl.

Keine Experimente beim Einkaufen

Man muss sich vorstellen, dass der Prototyp des etablierten Deutschen morgens Nutella auf sein Müller-Brot schmiert, mit dem VW zur Arbeit fährt, mittags bei der San Francisco Coffee Company eine Medium Latte trinkt und nach Feierabend bei Zara, S.Oliver und H&M einkauft, bevor er sich auf der Ikea-Couch Sex and the City reinzieht. Anderswo mag das Chaos explodieren. Ihm aber bedeutet jede dieser Handlungen täglich aufs Neue die konsumierbare Zuverlässigkeit der Welt. Keine Experimente.

Wenn man nun durch die Riem Arcaden schlendert, dann schwappt das Gefühl der Vertrautheit über einen hinweg wie eine lauwarme Woge. Hier ist der blassrosa Blusenstapel von Esprit, dort die knallrote Sitzlandschaft von Hugendubel, ein paar Türen weiter das leopardengefleckte Vasensortiment von Kare, gefolgt von der obligatorischen ¸¸Schlemmermeile", Vinzenz Murrs Leberkässemmeln, McDonald"s BigMäcs, Tchibos Milchkaffee. Wo waren wir noch gleich? Hamburg, Spandau, Kaufinger Straße?

Egal, immerhin findet man sich zurecht. Man findet sich, präzise gesagt, so gut zurecht, dass es beängstigend ist. Nur manchmal, wenn das leise Aroma von Holzmehl, Farbe und kaum getrockneten Klarlack in die Nase steigt, erinnert man sich kurz daran, dass diese Warenwelten erst seit wenigen Wochen existieren. Der Gedanke scheint surreal.

Architektur der Arcaden

17 Minuten sind es mit der U-Bahn vom Marienplatz bis zur ¸¸Messestadt West". Ausstieg links, Rolltreppe hoch, rechts abbiegen und über die Treppe im Cinemascope-Format rauf auf den Willy-Brandt-Platz. Die Riem Arcaden fallen gar nicht mal auf, sie sind genauso neu, zweckmäßig, gesichtslos, aus Beton, Stahl und Glas zusammengefügt wie ihre Umgebung. Jedenfalls handelt es sich um den dreiteiligen Gebäudekomplex, der im ersten Stock durch Korridore verbunden ist. Die Architekten haben einige quaderförmige Bauteile vorspringen beziehungsweise zurückweichen lassen, um der Fassade eine gewisse Lebendigkeit zu geben. Hübsch ist sie trotzdem nicht. Doch das ist Nebensache.

Um die Außenhaut windet sich wie eine bunt gemusterte Geschenke-Schleife ein Bandwurm von Namen: Esprit - K&L - Hugendubel - Sport Scheck - Drogerie Müller - etcetera. Alle, mit denen man gerechnet hat, sind da. Alle, mit denen man nicht gerechnet hat, sind nicht da. Und weil die Menschen nunmal besonders gern Dinge mögen, die sie schon kennen, kommen sie. So einfach ist das.

Farbliche Wegweiser

Die Riem Arcaden sind ein Projekt der Deutschen Immobilien Fonds AG (DIFA), der auch die Fünf Höfe und das Pariser Trocadéro gehören. Auf drei Ebenen sind 120 Ladengeschäfte mit einer Gesamt-Verkaufsfläche von 30 000 Quadratmetern installiert; im Untergeschoss befindet sich eine der größten Tiefgaragen Europas mit 2650 Plätzen. Damit in der gewaltigen Anlage niemand verloren geht, haben die Ausstatter jedem Gebäudeteil eine Leitfarbe zugeordnet. Nun ziehen sich rote, grüne und blaue Tupfer durch die Garage und an den Unterseiten der Rolltreppen entlang bis unters Dach.

Zufriedene Käufer

Als dieser Shoppingtempel am 10. März eröffnete, kamen 125.000 Menschen und ließen unglaubliche fünf Millionen Euro da. Allein in den ersten fünf Tagen zählte das Management eine halbe Million Besucher. Nun, nach vier Wochen, sind es immer noch bis zu 45.000 am Tag. Sie kommen aus der Innenstadt und aus dem gesamten Umland, aus Neuperlach, Starnberg, Rosenheim, sogar aus Augsburg und Nürnberg. ¸¸Wir haben natürlich mit großem Interesse gerechnet", sagt Jochen Czub. ¸¸Aber ich muss zugeben: Sogar wir wundern uns."

Arche Noah der Neuzeit

Der Centermanager ist ein freundlicher Westfale, eleganter Plauderer und ansonsten Vollprofi. Einer wie Czub kann in drei Sätzen erklären, warum es nicht nur zwingend logisch, sondern auch wirtschaftlich klug ist, dass in den Innenstädten ein kleiner Traditionsbetrieb nach dem anderen dicht macht. Womit nur noch die Großen übrig blieben, die, die es auch in die Riem Arcaden geschafft haben. ¸¸Bestimmte Filialisten will der Kunde einfach sehen", erklärt Czub. ¸¸Wenn nur einer fehlt, sagen wir mal Betty Barclay: Schon ist das für den Besucher nicht mehr interessant." Einen Moment lang stellt man sich die Arcaden als eine Art neuzeitliche Arche Noah für Populär-Geschäfte vor. Falls morgen die Sintflut käme, es wäre von jedem ein Exemplar an Bord.

Die Wahrheit ist übrigens sogar noch monumentaler. Die Riem Arcaden sind lediglich das Herzstück eines ganzen, in sich geschlossenen Mikrokosmos, der den Namen ¸¸StadtQuartier" trägt und der DIFA ein Gesamt-Investitionsvolumen von mehr als 500 Millionen Euro wert gewesen ist. Dieser Kosmos besteht aus 60 Wohnungen, Bürogebäuden, Gesundheitszentrum, Naherholungsgebiet, einem kürzlich eröffneten Dorint-Hotel und einem noch zu errichtenden Freizeitcenter mit Multiplex-Kino, Wellness-Area und Nightlife-Angebot.

Keiner muss das Quartier verlassen

Die dazugehörige Lebenswirklichkeit, wie Czub sie referiert, sieht so aus: Der StadtQuartier-Bewohner geht morgens auf dem Buga-Gelände joggen, hinterher die 50 Meter ins Büro, mittags holt er sich in den Schlemmer-Arcaden einen Snack, nachmittags empfängt er seinen Geschäftspartner, der im Dorint-Hotel genächtigt hat, nach Büroschluss kauft er im Shoppingcenter ein, und abends macht er im Freizeitcenter einen drauf. Wenn ihn nicht zufällig eine heftige Sehnsucht nach dem Golf von Neapel packt, muss er die Stadt-in-der-Stadt ein Leben lang nicht verlassen. ¸¸Die Aufenthaltsqualität ist sehr groß", sagt Czub.

Schöner einkaufen

Doch zurück in die Arcaden. Hat man sich erstmal damit abgefunden, dass man hier keine Überraschungen erleben wird, stellt sich relativ schnell die Erkenntnis ein, dass man so komfortabel einkaufen kann wie kaum irgendwo sonst in München. Das fängt mit dem garantiert vorhandenen Parkplatz an, der pro Stunde nur mit 50 Cent zu Buche schlägt. Das geht weiter in den Passagen, die so geräumig sind, dass auch der Drillings-Kinderwagen ohne Body-Checks locker durchrollt. Und das zeigt sich vor allem in den Geschäften selbst. Einrichtung: gehobener Standard. Anmutung: frühlingsblumenstraußbunt. Bewegungsfreiheit: erheblich. Es befindet sich hier, nur mal als Beispiel, einer der ganz wenigen uns bekannten H&Ms, dessen Sortiment nicht vorzugsweise über den Boden verstreut ist, der ohne schiefe Textilien-Türme und Kleiderständer wie Quetschkommoden auskommt.

Die Besucher sind fast ausnahmslos begeistert. Das versteht sich beinahe von selbst - wer Shoppingcenter nicht ausstehen kann, pilgert nicht extra nach Riem. ¸¸Ich find" das obergenial, dass man endlich im Osten einkaufen kann", sagt etwa Corinna Ruggera aus Neuperlach. ¸¸Es ist hell und übersichtlich, die Läden sind schön groß, und man hat alles beisammen - Klamotten, Supermarkt, Kindersachen, Drogerie. Einfach alles."

Egal, wen man fragt, Rentner, Familien, Teenager oder gestresste Mittdreißiger: So oder so ähnlich fallen alle Antworten aus. Tenor: Konsum light, und warum soll ich meinen Einkaufszettel eigentlich noch in der Innenstadt abarbeiten, wenn ich hier auf einem x-tel der Fläche das identische Angebot habe? Viele kommen schon am Vormittag, shoppen, stellen die Tüten zwischendurch unten in der Tiefgarage ab, gehen wieder hoch, shoppen weiter, und wenn sie irgendwann mal Hunger bekommen, passt das gut ins Konzept, schließlich gibt es ja die Schlemmer-Arcaden.

Selbst Center-Gegner

¸¸Wollen Sie vielleicht mal eine Suppe probieren?" In einer verwirrenden Duftwolke aus Wimmer-Backwaren, Nordsee-Fischsemmeln und König-Ludwig-Schweinsbraten steht Dominik A. Huber, ein Schüsselchen mit einem Klecks der Geschmacksrichtung Karotte-Ingwer in Händen. ¸¸Soops" heißt die Imbiss-Bar, ein Ableger der ¸¸Suppenküche"; Huber ist der Geschäftsführer. Von ihm stammt der schöne Satz, dass man ¸¸das Thema Suppe mit einer gewissen Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit behandeln" sollte.

Davon abgesehen ist er sehr angetan vom neuen Standort Riem. Hubers Alltag kommt der StadtQuartier-Vision von Jochen Czub schon ziemlich nahe: Er arbeitet im Erdgeschoss, kauft im Supermarkt im Basement ein, mittags geht er oben zum Frisör, und abends bringt er ein paar Türen weiter die Hemden in die Reinigung. ¸¸Ich bin eigentlich kein Center-Fan", sagt er. ¸¸Aber es ist halt doch alles sehr praktisch."

Rückfahrt zum Marienplatz. In der U-Bahn kommt man mit einer Frau ins Gespräch, die, wie sich herausstellt, die Riem Arcaden schon zum dritten Mal besucht hat. Sie findet das Ambiente dort ¸¸ansprechend, besser als anderswo." Zu ihren Füßen stehen: eine Tüte von H&M, eine von Xanaka, eine von Yves Rocher und eine von Saturn. ¸¸Haben Sie beim Einkaufen irgendwas vermisst?" Sie schaut verständnislos. ¸¸Wieso. Ist doch alles da, was man so braucht."

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