Münchner Architekten:Steile Vorlage

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Ein Entwurf ist nur so gut wie seine Ausführung: Dachausbau im Münchner Stadtviertel Schwabing-West. Der alte Dachstuhl wich einer modernen Wohnung. (Foto: Vierzueins)

Das Team von Vierzueins will nicht nur planen. Es will auch die Welt verändern - Bauen heißt für die Architekten auch Mitbauen an der Gesellschaft.

Von Oliver Herwig

Immer wieder passiert es. Ein Besucher betritt das Ladenlokal in der Hessstraße 39, wirft einen Blick in die Runde der Architekten, steuert das Regal an, studiert die Buchrücken und zieht einen Wälzer nach dem anderen heraus. "Das dauert dann eine Weile", sagt Christian Zöhrer, "bis unser Gast fragt, ob dies noch eine Buchhandlung sei." Es ist auch wirklich etwas verwirrend. Im Schaufenster prangt die alte Firmierung "Kubon und Sagner", und auch die Ausstattung des Architekturbüros Vierzueins ist eigentlich die des ehemaligen Buchladens. All die maßgeschneiderten Regale aus Nussbaum stammen aus den frühen Sechzigerjahren und waren eigentlich für eine Buchhandlung bestimmt, nur dass in den Fächern statt Belletristik und Bildbänden längst Modelle stehen und Architekturzeitschriften liegen.

Schritt für Schritt haben die fünf jungen Architekten Vanessa Philipp, Christian Zöhrer, Philipp Reichelt, Andreas Westner und Werner Schührer die ehemalige Buchhandlung mit ihren Arbeiten gefüllt, etwa mit einem Wettbewerbsmodell zum Neubau der Pfarrkirche St. Josef in Holzkirchen von 2012, einer Ansicht des eben abgeschlossenen Dachausbaus in Schwabing West sowie einem überdimensionalen Modell zum Umbau und der Sanierung des Peterhofs im Chiemgau aus dem letzten Jahr.

Per Zufall stießen sie 2011 auf eine aufgegebene Buchhandlung. Und waren begeistert

Überhaupt ist das Büro ein gutes Beispiel dafür, wie die Architekten von Vierzueins mit dem Bestand umgehen. Sie schauen sich alles genau an und verändern das Umfeld mit genauen Eingriffen. Ausrangierte Schranktüren etwa nutzten sie für die Schaufensterauslage - Ton in Ton mit dem Nussbaumfurnier der Schränke, die aus dem Büro eine kostbare Schatulle machen, in deren Mitte ein weißer Besprechungstisch mit silbernen Rechnern steht.

Auf einem der Computer läuft gerade eine Animation des Peterhofs in Oberbayern, den die "ARGE Steiner Architektur und Vierzueins Architektur und Stadtplanung" im vergangenen Jahr völlig verwandelte und zugleich Geschichte und Aussehen des alten Hofs mit seinen Gewölben und Kastenfenstern ernst nahm. Da führt nun eine stählerne Wendeltreppe ins Obergeschoss - und ein stützenfreier Saal nimmt das dortige Designbüro auf. Auf etwa 2000 Quadratmetern entstanden ein modernes Wohnhaus und eine Arbeitsstätte im alten Gewand.

Damit nicht genug: Bis zum Corporate Design im Rautenlook reichte die Arbeit. Ein Rundumsorglospaket gewissermaßen. Auch das gibt einen Blick auf die Arbeitsweise von Vierzueins. Ein Entwurf ist eben nur so gut wie seine Ausführung. Daher blicken die fünf Architekten gerne über den Tellerrand. Bauen heißt bei ihnen auch immer Mitbauen an der Gesellschaft. Mit ihrem Verein "Modern Talking" bieten sie mitten in der Maxvorstadt bisher drei Abende mit "Kurzvorträgen und Longdrinks". Ende Februar diskutierten sie "Pfusch" und beleuchteten ganz nebenbei die Grundlagen ihrer Tätigkeit als Stadtplaner. Pfusch buchstabieren sie nämlich als "Perfektionistische Funktionalisten untersuchen spontan chaotische Handlungen" - und luden dazu Kollegen und Geistesverwandte ein. Anna Maria Meister referierte zur Norm, einer "deutschen Tugend" - oder "wie Angst zu Architektur wurde."

Wem das zu hintersinnig klingt, den nimmt Philipp Reichelt gern mit auf eine gerade abgeschlossene Baustelle in Schwabing-West. Ein Dachausbau, der von außen nicht zu erkennen ist. Der alte Dachstuhl wich einer modernen Wohnung auf zwei Ebenen, verbunden durch eine gewendelte Treppe aus Stahl. Sie schraubt sich mit ihren weißen Flanken nach oben, zu einem offenen Wohnbereich. Eine ganze Wand ist perfekt vertäfelt und verbirgt allerhand Technik hinter weißen Paneelen. Als Kontrapunkt dienen ein Kamin, anthrazitfarben, sowie eine lange graue Sitzbank. Alles wirkt wie gezeichnet, so klar sind die Linien, Proportionen und Maße. Auf der anderen Seite liegt die offene Küche mit einer großen, einladenden Tafel für Gäste. Und dahinter Vorratslager und Speise in Knallrot. Ein Stockwerk darunter Schlafzimmer und Bad sowie eine Bibliothek, die nur aus Bücherwänden zu bestehen scheint - eine augenzwinkernde Hommage an das eigene Büro? "Nein", sagt Reichelt, "das war der Wunsch der Hausherrin."

Vierzueins, also Vanessa Philipp, Christian Zöhrer, Philipp Reichelt, Andreas Westner und Werner Schührer, gibt es seit vier Jahren. Es war Zufall, dass zwei der fünf Architekten 2011 auf ein verhängtes Schaufenster in der Hessstraße stießen mit der Aufschrift "zu vermieten". Sie stiegen vom Fahrrad, lugten in die aufgegebene Buchhandlung und waren begeistert. Die umlaufenden Regale und alten Deckenleuchten wollten sie erhalten - einer der Gründe, weshalb sie den Zuschlag erhielten.

Dann musste es schnell gehen: Corporate Identity entwickeln, Visitenkarten drucken, die Werbetrommel rühren. Werbetrommel? Christian Zöhrer, Andreas Westner und Werner Schührer zucken etwas zusammen. Nein, das mit der Vermarktung sei nicht so ihre Sache. Lieber konzentrieren sie sich auf das Bauen, wollen mit guten Projekten überzeugen, die wiederum Aufträge nach sich zögen. Bislang hat das ganz gut geklappt. Vierzueins wurde weiterempfohlen und weiterempfohlen. Gerade entwerfen sie ein Ferienhaus in Österreich - für einen Münchner Handwerker.

Im Grunde lernten sich die Fünf schon beim Studium in München und Zürich kennen. Wo auch immer sie arbeiteten - bei großen Büros in München, Wien, Zürich und New York, ob bei BKK-3, Christian Kerez oder Rem Koolhaas - nie verloren sie sich ganz aus den Augen. Und irgendwann fanden sie sich wieder in München zusammen. Ganz ungeplant, aber irgendwie koordiniert - wie sie auch den Alltag gestalten.

Es gibt keine festen Rollen, auch wenn die Projektleitung reihum geht. Jeder darf mal an den CAD-Rechner, jeder muss raus auf die Baustelle. Was sie verbindet, ist ihre Leidenschaft für Wettbewerbe, obwohl sie "langsam aus der Kategorie Junges Büro herausfallen", sinnieren die Architekten. Dann frotzeln sie etwas über gute Modelle und über den Aufwand, den es bedeutet, neben dem Alltagsgeschäft Neues anzuschieben. Damit sie sich Veranstaltungen wie "Modern Talking" leisten können, unterrichten sie zudem an der TU München als Mitarbeiter verschiedener Lehrstühle.

Im Herbst steht ein weiterer Abend von "Modern Talking e. V." an - Infos gibt es einige Wochen zuvor im Netz. Vierzueins scheint angekommen zu sein, mitten in München. Planen, unterrichten, bauen, diskutieren - zum Glück sind es fünf, die sich die Bälle zuspielen.

www.vierzueins.de

© SZ vom 12.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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