Müll:Essen, trinken, fallen lassen

Coffee-to-go-Becherauf in München, 2016

"Schlechte Kinderstube": Weggeworfene Einwegbecher in der Münchner Fußgängerzone.

(Foto: Catherina Hess)

Immer mehr Menschen werfen ihren Müll einfach auf die Straße. Die Kosten für die Reinigung der Städte steigen - und werden zunehmend auf die Anwohner abgewälzt. Warum gilt nicht das Verursacherprinzip?

Von Stephanie Hoenig

Pappbecher vom Coffee-to-go, Pizza- und Pommes-Schachteln mit und ohne Reste, Plastikteller, Kaugummis und weggeschnipste Zigarettenkippen. Statt im Abfalleimer zu landen, lassen viele Menschen ihren Müll in Fußgängerzonen, Kneipengassen und Innenstädten achtlos fallen. "Littering" nennen Experten diese zunehmende Unsitte, Abfälle im öffentlichen Raum achtlos wegzuwerfen oder liegenzulassen, ohne die dafür vorgesehenen Abfalleimer oder Papierkörbe zu benutzen.

Zu wenige Mülleimer in der Stadt sind aber nicht die Ursache, ergab eine Langzeitstudie des Instituts für Psychologie und des Lehrstuhls für Kognitive Psychologie der Humboldt Universität in Berlin. In 79 Prozent der beobachteten Fälle gab es einen Abfallbehälter in maximal 50 Meter Entfernung. Trotzdem wurde der Abfall auf die Straße geworfen - das kostet.

Zum Beispiel München. Das dortige Baureferat hat nach Angaben des örtlichen Verbandes Haus + Grund die Reinigungsleistung in mehr als 50 Straßen der Innenstadt verdoppelt. Und damit steigen auch die Gebühren für die Reinigung in diesen Gebieten 2018 um mehr als 100 Prozent. Gebührenerhöhungen für Straßenreinigung zum Jahresanfang gab es auch in Essen, Hannover, Leipzig und Köln und weiteren Städten.

Es geht aber auch anders. Nach massiven Protesten aus der Wohnungswirtschaft kippte Hamburg - mit Hinweis auf die unerwartet kräftig sprudelnden Steuereinnahmen - die geplante Straßenreinigungsgebühr, die ab 2018 alle Bürger hätten zahlen sollen. Die Gegner befürchteten, dass die Reinigungsgebühr ein zusätzlicher Kostentreiber für die Mieten sei.

In München wird nun öfters gekehrt. Dadurch wird es zwar sauberer, aber auch teurer

Achtloses Wegwerfen kommt in allen Städten vor. Insbesondere im Sommer werden öffentliche Plätze und Parks häufiger aufgesucht als früher. Diese "Mediterranisierung" erhöhe das Abfallaufkommen in Gebieten, die früher keinen hohen Reinigungsaufwand in kurzen Intervallen benötigten, beschreibt ein Sprecher des Verbands kommunaler Unternehmen VKU den Trend. "Art, Umfang und Gebühren legen die Städte und Gemeinden in Straßenreinigungssatzungen selbst fest", erklärt Monika Rassek vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) in Berlin. Für Eigentümer lohne ein Blick auf die Homepage der Gemeinde oder ein Anruf, um sich über ihre Pflichten zu informieren.

Meist reinigt die Kommune dort durch die Straßenreinigung selbst, wo Profis gefragt sind. Straßen mit hohem Verkehrsaufkommen werden nach Angaben des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) in Berlin maschinell gereinigt. Gehwege, Fußgängerzonen und Marktplätze mit hoher Nutzung und Verschmutzung werden maschinell und manuell gereinigt. Städte und Gemeinden können in Anliegerstichstraßen ohne nennenswerten Verkehr die Anlieger zur Straßen- und/oder Gehwegreinigung verpflichten, "aber nur dort, wo es zumutbar ist", betont der VKU-Sprecher. Dort gebe es dann allerdings auch keine Reinigungsgebühr.

"Viele Städte und Gemeinden sind zudem in verschiedene Reinigungsklassen eingeteilt", erläutert Rassek. Berlin etwa unterteilt die Straßen je nach Verkehrslage, Ausbauzustand und Grad der Verschmutzung in die Zonen A, B und C. Die Bereiche A und B würden vom Berliner Stadtreinigungsbetrieb gekehrt. Die Straßen der Reinigungsklasse C reinigten die Anwohner selbst.

Die Zone A in Berlin ist weiter unterteilt in 1a, 1b, 2a, 2b, 3 und 4. "Bereiche, die zur Reinigungsklasse 1a gehören, wie etwa der Wittenbergplatz, werden 10 mal am Tag gereinigt", betont Rassek. Im Bereich Altstadt Spandau beschäftige eine Initiative von Geschäftsleuten zusätzlich zur Stadtreinigung private Reinigungskräfte. Denn der Müll schade dem Image und dem Tourismus.

Wer seine Zigarettenstummel einfach auf den Bürgersteig schnippt, riskiert ein Bußgeld

"Grundstückseigentümer haben die Möglichkeit, die anfallenden Gebühren auf die Mieter über die Nebenkosten umzulegen", heißt es beim Deutschen Städtetag in Berlin. "Die Kosten für öffentliche Straßenreinigung können nach §2 Nr. 8 Betriebskostenverordnung als Nebenkosten auf den Mieter umgelegt werden", sagt Julia Wagner von Haus & Grund Deutschland. Ob und welche nach der Betriebskostenverordnung umlegbaren Nebenkosten zu zahlen seien, stehe im Mietvertrag. Bezahlen müssten Mieter auch, wenn nicht die Stadt, sondern ein privater Reinigungsdienst oder der Vermieter selbst säubert. "Wer fegt, ist für den Mieter grundsätzlich egal."

In der Regel werden die Kosten nach Wohnfläche umgelegt. "Die Kosten für Straßenreinigung liegen nach dem aktuellen Betriebskostenspiegel für Deutschland bei durchschnittlich drei Cent pro Quadratmeter und Monat", sagt Mieterbund-Jurist Ulrich Ropertz in Berlin. Für eine 100-Quadratmeter-Wohnung wären es also demnach drei Euro. Die Straßenreinigungsgebühren können übrigens nicht als haushaltsnahe Dienstleistungen von der Steuer abgesetzt werden.

Für Kosten zu zahlen, nur weil es offensichtlich immer mehr Menschen an der guten Kinderstube fehle, ist nach Ansicht von Haus + Grund München nicht einzusehen. Der VKU sieht vor allem die Produkthersteller und "Inverkehrbringer" in der Pflicht, sie würden nicht ausreichend an den Reinigungskosten beteiligt, die sie mit verursachten. Einzelhandel, Kioske, Systemgastronomie und Getränkekonzerne verkauften Nahrungsmittel und Getränke, die zunehmend für den Verzehr für unterwegs konzipiert werden. "Recycling ist gut. Besser ist jedoch, wenn der Abfall erst gar nicht entsteht", heißt es beim Verband kommunaler Unternehmen.

Wer in Deutschland seine Zigarettenstummel einfach auf den Bürgersteig schnippt oder Pappbecher fallen lässt, riskiert ein Bußgeld, das jede Stadt oder Kommune selbst festlegt. "Bei uns sind Strafen aber nicht so hoch und es wird wenig kontrolliert", sagt Monika Rassek vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer. Extremes Gegenbeispiel ist Singapur. "Dort kann man beinahe von der Straße essen." Diese Sauberkeit wurde allerdings mit drakonischen Strafen und einer Müllpolizei erzwungen.

Deutsche Städte gehen einen anderen Weg: Sie setzen auf Müllvermeidung. Die Bürger sollen nach Angaben des Städtetags motiviert werden, etwa auf Coffee-to-go-Becher zu verzichten. Dies geschehe vor allem durch Kampagnen, aber auch durch Initiativen wie den Mehrweg-Kaffee-Becher, der in verschiedenen Varianten in Städten erprobt werde. Außerdem reagierten die Städte mit einem erhöhten Budget für die Straßenreinigung.

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