Mönchengladbach:Die Stadt als Investor

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Seit 2013 hat Mönchengladbach in erheblichem Umfang Immobilien gekauft, weiterentwickelt und vermarktet. Das klappt gut und stärkt den Wirtschaftsstandort - und könnte ein Vorbild für andere Kommunen sein.

Von Stefan Weber

Sechs Jahre ist es her, da stand an der Lürriper Straße im Mönchengladbacher Stadtteil Rheydt eine Gewerbeimmobilie zum Verkauf. 24 000 Quadratmeter in unmittelbarer Nachbarschaft zum ehemaligen Güterbahnhof, mäßig erschlossen und bebaut mit einem Möbelmarkt - kurzum, nicht gerade das, was in der Immobilienbranche als Filetgrundstück bezeichnet wird. Ein Käufer fand sich trotzdem. Die Entwicklungsgesellschaft Mönchengladbach (EWMG), eine 100-prozentige Tochter der Stadt, griff zu. "Das hat damals viele überrascht", sagt Ulrich Schückhaus, Vorsitzender der Geschäftsführung der EWMG. Eine unmittelbare Verwendung für das Areal habe es nicht gegeben. "Aber die Gelegenheit war günstig, die Finanzierung ließ sich gut stemmen und wir wussten, dass wir diese Fläche irgendwann einmal gebrauchen können."

Diese Option bot sich bereits ein Jahr später, als der Immobilienentwickler Aurelis Real Estate einen Erwerber für das 7,4 Hektar große Güterbahnhofareal suchte. Für die EWMG das perfekte Puzzlestück für die zuvor gekauften 24 000 Quadratmeter. Also griff sie erneut zu. Zunächst mit der Idee, in der "City Ost" hochwertige Büroimmobilien zu errichten. Bald darauf korrigierte man die geplante Nutzung in "Wohnen, Arbeiten, Freizeit" und erteilte dem schwedischen Investor Catella den Zuschlag für die Entwicklung der "City Ost" zur "Seestadt mg".

"Ohne eigene Grundstücke oder die Möglichkeit, sie anzukaufen, kann man keine qualifizierte Stadtentwicklung betreiben."

So wird in den nächsten Jahren auf einer tristen Brachfläche ein urbanes Quartier entstehen - mit 1500 bis 2000 Wohnungen, Büros, Gastronomie und Freizeiteinrichtungen, inklusive eines kleinen Sees. "Seestadt mg" ist ein 700 Millionen Euro schweres Leuchtturmprojekt für Mönchengladbach und den gesamten Niederrhein.

Das Vorhaben ist für Schückhaus ein Beleg dafür, wie sinnvoll es sein kann, wenn Kommunen wie Asset Manager agieren. "Ohne eigene Grundstücke oder die Möglichkeit, sie anzukaufen, kann man keine qualifizierte Stadtentwicklung betreiben", betont er. "Wir verstehen uns als kommunaler Quartiers- und Immobilienentwickler und betätigen uns auch als Investor, um den Wirtschafts- und Wohnstandort Mönchengladbach zu stärken."

Der Ankauf der Gewerbeimmobilie an der Lürriper Straße war 2013 das erste größere Engagement der EWMG. Kurze Zeit später erwarb die städtische Gesellschaft das von der Schließung bedrohte Karstadt-Haus in Rheydt, verkleinerte die Verkaufsfläche des Warenhauses und schuf so Platz für neue namhafte Mieter. Seit März 2017 ist die gesamte Fläche langfristig vermietet. Schückhaus ist zufrieden: "Das Projekt rechnet sich und stärkt den Stadtteil als Einzelhandelsstandort."

Inzwischen ist das Immobilien-Portfolio weiter gewachsen. Es umfasst aktuell ein kleines Shoppingcenter am Mönchengladbacher Hauptbahnhof, mehrere Dutzend Wohnimmobilien im Stadtzentrum sowie den Bahnhof Mönchengladbach-Rheydt, für den eine umfassende Neugestaltung geplant ist. Im vergangenen Jahr erwarb die EWMG zudem eine Mehrheitsbeteiligung am Flughafen Mönchengladbach. Verkäufer war die Flughafen Düsseldorf GmbH. Mit 42 000 Flugbewegungen ist der Airport nach Frankfurt-Egelsbach der zweitgrößte General-Aviation-Flughafen in Deutschland und ein wichtiger Standort für die Ausbildung von Piloten. Aber er ist aktuell und wohl auch bis auf Weiteres ein Zuschussbetrieb. Schückhaus schreckt das nicht, er schaut lieber in die weitere Zukunft. Für ihn ist der Airport, an dem 600 Menschen arbeiten, "ein kleiner Rohdiamant", den es zu schleifen gelte. Auf der Seite des Flugfelds will er in den nächsten Jahren neue Werften ansiedeln, auf der Landseite denkt er an einen kleinen Büropark. "Mit der Entwicklung von Flächen und Immobilien werden wir die Ertragssituation mittelfristig deutlich verbessern und neue Arbeitsplätze schaffen", kündigt er an.

Ein Flughafen, ein Bahnhof, ein Kaufhaus, ein Shoppingcenter und dazu Wohnimmobilien und Gewerbeflächen - seit 2013 hat Mönchengladbach in Gestalt der EWMG in erheblichem Umfang Immobilien erworben, in Eigenregie weiterentwickelt und vermarktet und erledigt zudem das komplette kommunale Liegenschaftsmanagement. Dabei soll es nicht bleiben. "Unser Budget ist groß genug, um auch künftig Gelegenheiten zu nutzen, die interessante Optionen für die Stadtentwicklung schaffen", betont Schückhaus. So viele Freiheiten seien nur möglich, weil etablierte Projekte gute Deckungsbeiträge erwirtschafteten und die Zinsen niedrig seien. Ohne das Vehikel der Entwicklungsgesellschaft könnte die 270 000-Einwohner-Stadt, die einem Haushaltssicherungskonzept unterliegt, nicht so ins operative Immobiliengeschäft gehen. Aber Schückhaus betont: "Die EWMG hebelt keine politischen Prozesse aus. Unser Aufsichtsrat ist ein Abbild des Stadtrats. Aber wir können sehr schnell agieren, weil unsere Immobilienaktivitäten nicht dem Prozedere eines städtischen Haushalts unterliegen."

Hinzu kommt, dass die Bande zwischen Stadt und Unternehmerschaft eng ist. Die Wirtschaftsförderung Mönchengladbach (WFMG) gehört zu 51 Prozent der EWMG und zu 49 Prozent einem Kreis von 37 Unternehmen aus Mönchengladbach. Schückhaus ist neben seiner Tätigkeit als Vorsitzender der Geschäftsführung der EWMG auch Geschäftsführer der WFMG sowie des Flughafens.

Gegründet wurde die EWMG bereits 2002 mit dem Auftrag, neue Perspektiven für Mönchengladbach zu entwickeln. Denn zur Jahrtausendwende war die lange Zeit vor allem durch die Textilwirtschaft geprägte Metropole am Niederrhein tief unten: Unternehmen wanderten ab oder sperrten ihre Tore zu, die Arbeitslosigkeit schnellte in die Höhe, es wurde wenig gebaut, die Einwohnerzahl sank. Seit 2011 geht es bergauf. Mönchengladbach hat sich als Logistik-Standort etabliert. Unternehmen wie Esprit, Adidas, Zalando und bald auch Amazon verpacken und versenden ihre Waren von hier. In der Innenstadt sorgt seit 2015 ein neues Einkaufszentrum mit mehr als 100 Geschäften für Aufbruchstimmung. Und der Nordpark, wo bis 1996 die Soldaten der britischen Rheinarmee exerzierten und seit 2004 das Stadion der heimischen Borussia steht, hat sich zu einem Unternehmensstandort mit 5500 Arbeitsplätzen entwickelt, Tendenz stark steigend. In ein paar Monaten wird dort der auf Bäder spezialisierte Online-Händler Reuter eine neue Firmenzentrale mit Platz für 450 Mitarbeiter eröffnen. Eine gänzlich neue Erfahrung für Wirtschaftsförderer in Mönchengladbach ist, dass Investoren und Eigennutzer deutlich über den eigenen Bedarf planen und bauen - in der festen Überzeugung, dass der Wirtschaftsstandort weiter wachsen wird.

Hinzu kommt: Mönchengladbach gewinnt auch als Wohnadresse an Attraktivität. Für Menschen aus den umliegenden Gemeinden, aber auch für diejenigen, die eine Alternative zum teuren, nur gut 30 Kilometer entfernten Düsseldorf suchen. In den nächsten Jahren will die Stadt Wohnraum für 15 000 Menschen schaffen. Allein durch die "Seestadt mg" kommen mehr als 1500 Wohnungen auf den Markt. Keine Luxusimmobilien, wie die Initiatoren betonen, sondern Angebote "im mittleren Preisbereich".

Eng verknüpft mit dieser Entwicklung ist der "Masterplan MG 3.0", den 2013 nicht die Politik, sondern eine Gruppe engagierter Architekten und Unternehmen initiierte, um eine Leitidee für die Stadt zu entwickeln. "Wir haben der Politik aber klar gesagt, dass wir das nur in die Hand nehmen, wenn es die Stadt am Ende auch umsetzt. Dafür wollten wir vorab einen Ratsbeschluss, und den haben wir auch bekommen", erläutert Fritz Otten, Geschäftsführer von Otten Architekten und einer der Initiatoren des Masterplans. Danach machte sich der britische Stararchitekt Nicholas Grimshaw ans Werk und erarbeitete unter Beteiligung von Unternehmen und Bürgerschaft eine städtebauliche Vision: "mg+wachsende Stadt" lautet die daraus abgeleitete Strategie. "Seitdem wissen wir, wo wir hinwollen. Alle unsere Maßnahmen sind in diese Stadtentwicklungsstrategie eingebettet", sagt Schückhaus.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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