Süddeutsche Zeitung

Möbelkauf:Bett vom Bildschirm

Möbel online einkaufen? Das war in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht sonderlich beliebt. Wer einen neuen Tisch oder ein neues Sofa für das Wohnzimmer wollte, ging lieber in ein Möbelhaus. Dann kam die Corona-Krise.

Von Bärbel Brockmann

Vielleicht einen neuen Sessel für das Wohnzimmer? Endlich einen bequemen Bürostuhl für das Homeoffice? Oder vielleicht doch das abgewetzte Sofa durch ein neues ersetzen? In der Corona-Krise haben die Menschen viel Zeit zu Hause verbracht. Das senkt die Toleranzschwelle für Möbel, die ihre beste Zeit schon viele Jahre hinter sich haben. Wer mehr Zeit in der Wohnung verbringt, will es dort natürlich schöner haben. So ist es nicht verwunderlich, dass sich kurz nach Wiedereröffnung der Läden vor allem vor Baumärkten und Möbelhäusern lange Schlangen gebildet hatten. Der Lockdown hat jedoch auch dazu geführt, dass immer mehr Tische, Stühle und Kommoden online bestellt werden.

Auch die Möbelbranche beklagt weniger Umsätze, ist bisher aber glimpflich davongekommen

Ein Gewinner der Krise ist auch die Möbelbranche nicht. Aufgrund der Corona-Pandemie erwarten die deutschen Möbel- und Küchenhersteller in diesem Jahr etwa ein Zehntel weniger Umsatz als 2019. "In normalen Zeiten wäre das eine Vollkatastrophe", sagt Jan Kurth, Geschäftsführer des Verbands der Deutschen Möbelindustrie (VDM). Im Vergleich zu früheren Prognosen sei man jedoch bislang "mit einem blauen Auge" davongekommen. Eine Umfrage des Verbandes zeigt, dass die Themen Wohnen und Einrichtung an Bedeutung gewonnen haben. Und wenn nun etwa die Urlaubsreise ausfalle oder kleiner geplant werde, hätten etliche Menschen mehr Geld übrig, um sich zuhause Wünsche zu erfüllen. Gekauft werden saisonbedingt Garten- und corona-bedingt Büromöbel, aber zunehmend auch wieder Großmöbel wie Schränke und Betten, Küchen oder Polstergarnituren.

Und es zeigt sich: Es wird mehr als früher online bestellt. Dabei galten Möbel bis zum Ausbruch der Pandemie als eine der letzten Produktgruppen, um die die Verbraucher im Internet eher einen Bogen machten. Ihr Anteil am gesamten Möbelmarkt lag bei etwa zehn Prozent, wenngleich das Beratungsunternehmen PwC schon vor der Krise jährliche Wachstumsraten von 8,4 Prozent bis 2023 voraussagte. Ein Grund für die Zurückhaltung ist vor allem das fehlende Einkaufserlebnis. Einen Sessel kaufen, ohne vorher darauf gesessen zu haben und den Stoff angefühlt zu haben, konnte das klappen? Dann kam der Lockdown, die Geschäfte wurden geschlossen - und die Menschen wandten sich dem Internet zu.

"Während der Schließung haben die Menschen gesehen, dass es funktioniert, Möbel im Internet zu kaufen", sagt Brigitte Wittekind, für den operativen Bereich verantwortlicher Vorstand beim Online-Möbelhaus Home 24. Sie ist optimistisch, dass jetzt der Durchbruch geschafft ist. "Die Hemmschwelle ist deutlich gesunken", stellt sie fest. Das macht sich auch in Zahlen bemerkbar. Home 24 berichtete für das zweite Quartal 2020 von einem um 45 Prozent gestiegenen währungsbereinigten Umsatz. Bestellt wurde also auch nach Öffnung der Möbelhäuser Anfang Mai weiterhin kräftig übers Internet. Experten gehen davon aus, dass sich das Wachstum des Online-Handels mit Möbeln bislang während der Corona-Krise verdoppelt hat. "Die Verlagerung vom stationären Handel in Richtung Online findet zwar schon länger statt, aber der Lockdown hat dazu geführt, dass sich die Entwicklung beschleunigt hat", sagt auch André Müller, verantwortlich für das Möbelgeschäft bei Otto. Der Versandhändler hat langjährige Erfahrung im Verkauf von Waren, die man nicht im Laden anfassen kann. Schon zu Zeiten des Otto-Katalogs hatten Möbel dort einen Versandanteil von sieben bis acht Prozent am gesamten Möbelmarkt. Durch das Internet wurde das Sortiment erheblich ausgeweitet. "Wir haben heute online viel mehr Möglichkeiten, wir können pro Produkt mehr Bilder zeigen, auch Rundumansichten und Videos. Mit diesen technischen Mitteln punkten wir auch bei vielen Neukunden", sagt Müller.

Auch die stationären Möbelhäuser haben sich im Lockdown auf ihre Online-Präsenz besonnen. Vielerorts wurden angesichts der zunehmenden Nachfrage in Windeseile Prozesse, wie etwa IT-Anpassungen und die Logistik optimiert, um lieferfähig zu sein. Einen Onlineshop hatte vorher zwar schon fast jeder gehabt, aber er wurde oftmals nur geführt, weil man heutzutage eben auch online erkennbar sein muss. Das angebotene Sortiment umfasste meistens Kleinmöbel und ansonsten vorwiegend Dekorations- und Haushaltsgegenstände. Das Hauptgeschäft lief über die Fläche. "Der Online-Umsatz ist während des Lockdowns stark angestiegen, aber er konnte die Verluste durch die Schließung nicht ausgleichen. Die Online-Präsenz ist ja erst in der Entwicklung", sagt Holger Wetzel, Kommunikationschef bei Porta.

Bei Ikea gingen die Umsätze während der Schließung erst mal um 90 Prozent zurück. Durch Ausweitung des Online-Geschäfts konnten schließlich immerhin rund 40 Prozent des geplanten Umsatzes realisiert werden. Damit ein solch großer Anteil überhaupt möglich war - Ikea machte vorher nur knapp zehn Prozent seines Umsatzes von zuletzt 5,3 Milliarden Euro im Online-Geschäft - wurden die Abwicklungen neu organisiert. Jeder der 53 IkeaMärkte diente als sogenanntes Fulfillment-Center, stellte also die Bestellungen zusammen und organisierte den Transport zum Kunden. Aus Sicht des Unternehmens hat sich diese Anstrengung ausgezahlt. "Wir gehen davon aus, dass die Erfahrungen, die unsere Kunden während der Corona-Krise mit E-Commerce bei Ikea gemacht haben, dazu beitragen werden, dass dieser Kanal zukünftig noch stärker genutzt wird", heißt es im Unternehmen.

Bei Möbeln gibt es weniger Retouren als bei anderen Waren

Deutschland ist Europas größter Möbelmarkt. Möbel werden hier über verschiedene Vertriebskanäle verkauft, neben großen Möbelcentern auch in kleineren Einrichtungshäusern und in Baumärkten. Der Gesamtumsatz lag 2019 bei 37,6 Milliarden Euro. Das Online-Geschäft trug dazu nach Angaben von PwC sieben Milliarden Euro bei. Das Beratungshaus hat seine Wachstumsprognose inzwischen angepasst. Aktuell rechnen die Experten damit, dass bis 2023 jährlich mehr als zehn Prozent des Gesamtumsatzes aus dem Online-Möbelhandel kommen wird.

Mit den zunehmenden Bestellungen übers Internet steigen auch die Retouren. Das belastet die Bilanzen, die Verkehrswege und die Umwelt. Für die Kunden ist das Zurückschicken der Ware außerdem lästig, vor allem, wenn die Artikel groß, schwer und sperrig sind. Tendenziell gibt es bei Möbeln weniger Retouren als bei anderen Warengruppen. Sogenannte Auswahlbestellungen, bei denen Kunden zum Beispiel drei Hemden bestellen, aber von vornherein nur eins kaufen wollen, sind selten. "Die Retourenzahl ist zwar mit zunehmenden Bestellungen auch gestiegen, dank unserer Investments in Produkt-, Verpackungs- und Prozessqualität nicht im Verhältnis zum aktuellen Ausliefervolumen, sondern unterproportional", sagt Wittekind von Home 24. Auch bei Otto hat man festgestellt, dass die Retouren relativ zur Bestellmenge abnehmen. Das mag damit zu tun haben, dass ein Kunde in Corona-Zeiten weniger kritisch ist und schon froh, überhaupt Ware zu bekommen. Aber die Zahl liegt dort niedriger, wo der Anbieter viel Aufwand betreibt, um die Produkte im Internet gut darzustellen und zu beschreiben, die Verpackungen zu verbessern, kurz: wo der Serviceanteil am ganzen Prozess höher ist.

Ist der wachsende Online-Handel nun der Anfang vom Ende des Möbelhauses? "Mir ist nicht angst und bange, dass das, was jetzt in den Online-Handel fließt, dem stationären Handel fehlt", sagt Christof Gerpheide, Gesamtbetriebsleiter bei Segmüller. Wenn sich zum Beispiel ein Kunde im Möbelhaus ein Stück angesehen habe und es dann im Internet kaufe, müsse sich der Verkäufer im Geschäft schon fragen, warum er ihn nicht gehalten habe. Der stationäre Handel müsse sich etwas einfallen lassen. Segmüller rückt beispielsweise vom klassischen Abteilungsverkauf ab und setzt mehr auf Konzepte, wie das von ausgestellten Wohnbildern, vollständigen Räumen mit Möblierung, Beleuchtung, Dekoration. Auch habe der stationäre Handel gerade im beratungsintensiven Geschäft mit Küchen noch auf längere Sicht Vorteile. Und schließlich biete die Verknüpfung der Online- und Offline-Aktivitäten Wachstumschancen.

Derzeit hoffen sowohl stationäre Möbelhäuser als auch Online-Möbelshops auf einen Nachfrageschub durch die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer. Viele Anbieter geben die drei Prozent nicht nur an die Kunden weiter, sondern setzen nach eigenen Angaben noch weitere Rabatte drauf. Sie alle haben den Herbst 2006 im Blick. Damals hatte die Ankündigung der Mehrwertsteuererhöhung zum Jahresbeginn 2007 einen spürbaren Nachfrageschub ausgelöst.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2020
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