Möbel:Das zweite Leben nach der Show

Shifting Shift Illustrationen

Seating Island heißt das Projekt, das Kindern von zwei bis sechs Platz zum Sitzen und Klettern bietet.

(Foto: Jan Regett)

Wie aus Exponaten in einer Ausstellung von Volkswagen alltagstaugliche Möbelstücke für ein Berliner Kinderhaus wurden. Und was der Autohersteller damit bezweckt.

Von Steffen Uhlmann

Die Kinder der Berliner Arche dürfen bei dem Projekt mitmachen, und sie sind mit Begeisterung dabei.

Lucas ist acht Jahre, er baut aus Legobausteinen ein Boot. Die elfjährige Tatjana versucht sich beim Zeichnen an einer Couch - "mit einem Radio drin", sagt sie und lacht. Mateusz aber, der schon zwölf ist, hat größere Entwürfe im Kopf: "Ein Baumhaus mit Rutsche und eine Seilbahn, die über ein verschachteltes Labyrinth kreist, habe ich vorgeschlagen", sagt er. "Aber das hat dann doch nicht so recht für unsere Arche gepasst." Auch Lucas ist mit seinem Boot in den vielen anderen Vorschlägen der Kinder "untergegangen". Tatjanas Sofa-Idee aber ist mit in das Projekt "Seating Island" eingeflossen - einem Platz mit unterschiedlichen Ebenen zum Liegen, Sitzen, Lesen oder Klettern. "Seating Island" sei ein "Vehikel für Kreativität", sagt Professor Jan Regett von der Bau International, einer privat finanzierten Hochschule für Design und Innenarchitektur in Berlin. "Und diese Insel wird so zur Plattform für Interaktion."

Interaktion ist wohl auch das Stichwort, das für die Zusammenarbeit des Berliner Ausstellungsforums Drive der Volkswagen Group mit dem Kinder- und Jugendhilfswerk Arche und den beiden Hochschulen Bau International beziehungsweise Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) steht. Als die Ausstellungsmacher von Deutschlands größtem Autobauer darüber nachdachten, wie sie in Zeiten des lange noch nicht vollständig aufgearbeiteten Dieselskandals das Thema Nachhaltigkeit aufgreifen können, ohne Spott und Häme zu ernten, haben sie sich erst einmal kritisch selbst befragt. Nicht zuletzt mit der Frage, wie man den bei VW beginnenden Wandel zum nachhaltigen Mobilitätsdienstleister nicht nur umfassend erlebbar, sondern auch glaubhaft darstellen kann. Eine Antwort darauf war die Ausstellung "Shift", die zwischen November 2017 und Februar 2018 im Berliner Showroom des Konzerns stattfand und in der sich VW erstmalig öffentlich dem Thema Nachhaltigkeit stellte.

Wirklich neu war für die Ausstellungsmacher, zu denen auch ihre Berliner Partneragentur Archimedes Exhibitions gehörte, die Absicht, den Exponaten nach dem Ende der Show ein zweites "Leben" zu schenken. "Das war dann auch der Ansatz für unsere Zusammenarbeit", sagt Regett, der vor seiner Hochschulkarriere als Industriedesigner bei Archimedes gearbeitet hatte. Und da sei der Ausstellungsname irgendwie Programm gewesen - schließlich bedeute ja Shift verändern, bewegen oder eben auch verschieben. Mit diesem Ziel im Kopf wurde beim Bau der Exponate streng darauf geachtet, nur wiederverwendbare Materialien zu verwenden. "Unbehandeltes Holz und Metalle waren die Hauptmaterialien", erklärt Regett. "Auf Folien wurde ganz verzichtet, Grafiken gleich direkt auf die Fläche gedruckt und Metallverbindungen nur geschraubt und nicht etwa geschweißt." So sei bei Drive ein modulares Ausstellungssystem entstanden, das danach mit eher geringem Aufwand weiterverarbeitet werden konnte.

Von den Studenten wurden modulare Sitz-, Raumteiler- und Regalsysteme entworfen

In diesem Falle zu alltagstauglichen Möbeln und Ausrüstungen für die Kinder der Arche. Arche-Gründer Bernd Siggelkow, dessen Hilfswerk in Deutschland 24 Einrichtungen für Kinder aus sozial schwachen Familien betreibt, lobt das gemeinsame Projekt. "Als wir vor zwei Jahrzehnten starteten habe ich mir rustikale, stabile Möbel für die Arche gewünscht", sagt er. "Heute freue ich mich über ganz andere Sachen - etwa, dass die Kinder in unserem Haus in Berlin-Hellersdorf jetzt bald über Designer-Möbel verfügen können, die sie selbst mit entworfen haben." Siggelkow betont das gern. Schließlich ist für ihn und seine Mitstreiter Betreuung viel mehr als nur Aufbewahrung und Versorgung von Kindern. "Es ist auch Training, Hilfe und Vorbereitung für und auf das Leben", sagt David Kallmeter, der in der Hellersdorfer Arche zum Erzieher- und Betreuungsteam gehört, das täglich bis zu 200 Kinder und Jugendliche im Alter von zwei bis 18 Jahren unter seine Fittiche nimmt. Und dabei ausschließlich durch Spenden finanziert wird.

In mehreren Treffen haben die Studenten und Kinder zueinander gefunden. Beim ersten in der Arche brachten die künftigen Designer einen Sack voll Legosteine mit. "Während des Workshops mit 15 Kindern wurden erste Ideen zusammengetragen und viele von ihnen mit Hilfe der Legosteine dann auch gebaut", erzählt Kallmeter. Und Regett ergänzt: "Wir haben dann die Treffen weiter fortgesetzt - mal bei ihnen, mal bei uns in der Uni." Regett ist froh, dass diese Zusammenarbeit mit den Kindern zustande gekommen ist. "Für die beteiligten Studenten aus dem zweiten und vierten Semester war es eine immens wichtige und glückliche Erfahrung, wie ihre Entwürfe eine reale Zukunft und damit eine soziale Relevanz erhielten - und eben nicht in einer Schublade verschwunden sind."

Von den Studenten beider Hochschulen entworfen und jetzt gebaut werden unter anderem modulare Sitz-, Raumteiler- und Regalsysteme. Mit "Grow, Grill and Chill" entsteht eine ganze Freizeitlandschaft im Außenbereich der Hellersdorfer Arche, oder eben die "Seating Island" für die kleinsten Kinder der Arche. Einfache Verbindungselemente wiederum erlauben es den Kindern, ihre neuen Spieltische immer wieder anders zu konfigurieren, ohne dass Erwachsene dabei helfen müssen.

Allein wären Studenten und Arche-Mitarbeiter mit dem Bau und Einbau des Mobiliars und der Ausrüstungen überfordert gewesen. "Geholfen hat uns der Berliner Dienstleister und Messebauer Lenz & Lorenz, der schon eine ganze Weile mit Archimedes zusammenarbeitet", sagt Regett, der die von Volkswagen getragenen Projektkosten auf bis zu 300 000 Euro schätzt. Viel wichtiger aber ist für den Designprofessor die "Strahlkraft" der gemeinsamen Unternehmung für die Studenten, die Hochschule überhaupt, die Aussteller von Volkswagen und natürlich für die Kinder selbst. "Wir jedenfalls würden sofort wieder mitmachen, sollte es neue Projekte in Sachen Nachhaltigkeit geben", sagt der Hochschulprofessor. Zunächst aber geht es darum, die Arbeiten abzuschließen. Spätestens im September werde alles fertig sein, glaubt Kallmeter. Und dann werde man feiern - ein großes Fest in der Arche, mit den Kindern als Gastgeber.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: