Modellprojekt:Kleiner Kreislauf

Modellprojekt: In Abwasserrohren vermischt sich üblicherweise kaum verunreinigtes Grauwasser mit dem Abwasser aus WCs. Das verschwendet Ressourcen.

In Abwasserrohren vermischt sich üblicherweise kaum verunreinigtes Grauwasser mit dem Abwasser aus WCs. Das verschwendet Ressourcen.

(Foto: imago)

In einem Hamburger Neubauquartier wird das Abwasser getrennt und wiederverwertet. Auch Strom und Wärme werden erzeugt.

Von Rainer Müller

Hamburg ist für ein innovatives Abwasserkonzept ein guter Standort. Schließlich wurde hier 1856 eine der ersten modernen Kanalisationen Europas errichtet. Bis heute ist das Prinzip weitgehend unverändert: Alle Abwässer werden zentral gesammelt und - gemäß dem jeweiligen Stand der Technik - gereinigt und in den nächstbesten Fluss geleitet. Das soll sich jetzt im Hamburger Stadtteil Jenfeld ändern. Dort entsteht auf dem Gelände einer ehemaligen Bundeswehrkaserne das Neubaugebiet Jenfelder Au. Anders als sonst üblich, wird das Abwasser in diesem Quartier je nach Verschmutzungsgrad getrennt.

Regenwasser versickert in den Grünflächen oder sammelt sich in eigens angelegten Gräben, Mulden und Teichen, die mit dem Flüsschen Rahlau verbunden sind. Das sogenannte "Grauwasser", also das wenig belastete Abwasser aus Duschen und Waschmaschinen, wird an Ort und Stelle gereinigt und in die Gräben geleitet oder als Brauchwasser genutzt. Das stark verschmutzte "Schwarzwasser" aus den Toiletten hingegen wird mitsamt seiner Fracht als Biomasse in Strom und Wärme umgewandelt. Hamburg Wasser, das städtische Versorgungsunternehmen, realisiert dieses "Hamburg Water Cycle" genannte Entwässerungskonzept jetzt erstmals im großen Stil. Kleinere Pilotanlagen zeigen bereits, dass die Technik grundsätzlich funktioniert.

Bis 2020 sollen alle 1000 Wohnungen in Jenfeld gebaut sein. Im Sommer sind die ersten Bewohner eines Wohnprojekts bereits in geförderte Mietwohnungen eingezogen. In den kommenden Monaten und Jahren beginnen die Arbeiten auf weiteren Baufeldern. Südlich grenzt das Quartier an eine Großwohnsiedlung aus den Siebzigerjahren. Der Stadtteil Jenfeld gilt als sozialer Brennpunkt. Das Neubaugebiet "Jenfelder Au" dagegen soll ein durchmischtes Quartier zum Wohnen und Arbeiten für unterschiedliche Einkommensschichten und Altersgruppen werden. Viele Grün- und Wasserflächen prägen das Quartier und dienen nicht nur dazu, einen Großteil des Abwassers abzuleiten, sondern auch die Aufenthaltsqualität und das Mikroklima zu verbessern. Erfolgt die Entwässerung eines Quartiers üblicherweise nach dem Prinzip "Aus den Augen aus dem Sinn", ist sie in der Jenfelder Au elementarer Bestandteil des Städtebaus und der Landschaftsarchitektur.

Regenwasser fließt in Teiche, das Abwasser aus Toiletten in ein Kraftwerk

Die meisten Neubauten des Quartiers werden mit Vakuumtoiletten ausgestattet, die mit Unterdruck arbeiten und einem Bruchteil des üblichen Spülwassers auskommen. Im Gewerbegebiet am Rande des Quartiers errichtet Hamburg Wasser schrittweise einen Betriebshof, auf dem mit Fortschreiten der Wohnbebauung die verschiedenen Bausteine des "Water Cycles" hinzukommen. Die Unterdruckpumpen laufen und sorgen für das benötigte Vakuum im fast 3,5 Kilometer langen Rohrsystem. Gleich neben der Vakuumstation werden als Nächstes ein Blockheizkraftwerk und ein sogenannter Fermenter gebaut, in dem die Fäkalien zusammen mit anderer Biomasse vergären. Das entstehende Methan soll im Kraftwerkwerk in Strom und Heizwärme umgewandelt werden. Nach den Berechnungen des Unternehmens werden die späteren Bewohner etwa die Hälfte der von ihnen verbrauchten Energie selbst erzeugen.

Das gesamte Projekt wird von drei Bundesministerien gefördert: Das Bauministerium gibt Geld für die städtebauliche Konzipierung, das Wirtschaftsministerium unterstützt die technische Entwicklung und das Forschungsministerium die wissenschaftliche Begleitung. Auch die EU ist finanziell beteiligt. Das politische Interesse ist groß.

Dafür gibt es mehrere Gründe: Da ist zum einen der Aspekt Ressourcenschonung. Zwar herrscht in Hamburg oder Mitteleuropa generell kein Wassermangel - in anderen Regionen aber schon. Und genau dort könnte die Technik später auch zum Einsatz kommen. Ein wesentlicher Aspekt des Vorhabens in Hamburg ist die praktische Erprobung komplexer technischer Systeme und die Förderung der deutschen Exportwirtschaft. Nicht zu vergessen: Trinkwasser muss in Deutschland mit hohem Energie-Einsatz aufbereitet werden.

Etwa 120 Liter sauberes Trinkwasser verbraucht jeder Deutsche durchschnittlich pro Tag, und etwa ein Drittel davon spült er durch die Toilette. Anders gesagt: Kaum verunreinigtes Grauwasser macht etwa 70 Prozent des Abwassers aus. Dennoch werden beide Arten vermischt, zusätzlich mit Regenwasser weiter verdünnt und dann gemeinsam behandelt. Auch dabei wird viel Energie verbraucht - Energie, die stattdessen aus dem Schwarzwasser gewonnen werden kann, wenn es denn möglichst konzentriert ist.

"In einer wachsenden Stadt wie Hamburg mit seinen zwei zentralen Klärwerken ist es sinnvoll, die begrenzten Kapazitäten zu entlasten", erklärt Jörg Londong, Professor für Siedlungswasserwirtschaft an der Bauhaus-Universität Weimar. Er und seine Kollegen koordinieren die wissenschaftliche Begleitforschung des Projekts. "In schrumpfenden Regionen dagegen haben zentrale Anlagen Überkapazitäten." Dort müssen die zu groß dimensionierten Abwasserleitungen mit Trinkwasser durchgespült werden, damit die Fäkalien nicht liegen bleiben. Ob Schrumpfung oder Wachstum - dezentrale Anlagen seien flexibler und "demografiefester", wie Londong das nennt.

"Was wir hier machen, ist ein Demonstrationsprojekt für Neubauquartiere", sagt Michael Beckereit, Geschäftsführer von Hamburg Wasser. "Wir zeigen, dass die Technik für ganze Siedlungen einsatzbereit ist." Das Unternehmen hat dabei auch den Auslandsmarkt im Blick, etwa China mit seinen schnell wachsenden Megacitys. Stets wollen die potenziellen Geschäftspartner mit eigenen Augen sehen, dass die Kopplung von regenerativer Energiegewinnung mit innovativer Stadtentwässerung auch im Siedlungsmaßstab funktioniert.

Was bei Neubauvorhaben, bei denen die gesamte Infrastruktur von Grund auf neu geplant wird, relativ einfach zu sein scheint, ist bei Bestandsgebäuden und beim Umbau alter Quartiere wesentlich komplizierter. "Aber auch das geht", ist Londong überzeugt. Ein dezentrales Entwässerungssystem lässt sich auch in bestehenden Strukturen installieren. In der Nähe von Weimar laufen jetzt im Rahmen der dortigen Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen die Vorarbeiten für den entsprechenden Umbau zweier kompletter Dörfer. Ein Anfang mit symbolträchtigem Namen: Einer der Orte heißt ausgerechnet Rohrbach.

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