Modellbau:Zug zurück

In der Welt der Modelleisenbahner dominiert die Architektur der Vergangenheit. Hersteller haben fast keine modernen Immobilien in ihren Sortimenten. Das liegt nicht nur an der geringen Nachfrage.

Von Jochen Bettzieche

Neu gibt es seit diesem Jahr zum Beispiel: eine verschneite Berghütte, ein historisches Brückenhaus, ein verfallenes Fachwerkgebäude. Passend dazu finden sich in den Katalogen der Modellbauhersteller zum Beispiel Karl der Große oder die Bremer Stadtmusikanten als Statuen. Das einzig Moderne in hiesigen Modellbauwelten sind oft die Züge. Entlang der Gleiskörper in den Spurweiten H0, N oder Z ist moderne Architektur nicht sonderlich gefragt. Das liegt auch an der teuren Produktion der Spritzgussformen, in der Branche Werkzeuge genannt. Neue Produktionsverfahren und Digitalisierung ermöglichen allerdings neue Ansätze, bis hin zum individuell gestalteten Haus.

Der Modellbau hat seine eigene Zeitrechnung. Die ist in sechs Epochen eingeteilt. Eins bis drei, das entspricht der Zeit von den Anfängen der Eisenbahn bis circa 1970. Epoche sechs, die modernste Epoche, beginnt je nach Hersteller in den Jahren 2005 bis 2007. Und die ist nicht so gefragt. Zwar wollen viele Hobby-Eisenbahner die Welt in ihren Modellen möglichst nah am Original darstellen. "Das meiste spielt sich aber in den älteren Epochen ab", berichtet Egbert Pitz, Assistent der Geschäftsführung beim Unternehmen Viessmann Modelltechnik in Hatzfeld-Reddighausen, zu dem die Marken Kibri und Vollmer gehören. Wissenschaftler sehen in Modelleisenbahnen eine spezielle Form des Eskapismus: In einer immer schnelleren und kompetitiven Gesellschaft sind die historischen, analogen Modellwelten ein entschleunigtes Gegenmodell. "Die meisten Modellbahner ziehen noch immer romantische Fachwerkhäuser den kubischen Gebäuden im Bauhaus-Stil für ihre Anlage vor", sagt auch Richard Storch, Industriedesigner bei Busch in Viernheim.

Modellbau Häuser

Die Welt im Kleinen: Fachwerkhäuser - hier von der hessischen Firma Busch - sind bei Modelleisenbahnern besonders beliebt.

(Foto: Busch GmbH)

Das war schon mal anders. In den vergangenen Jahrzehnten setzten die Hersteller neue Baustile schneller um. So brachte Vollmer in den Achtzigerjahren moderne Stadtgebäude auf den Markt. Und von Faller stammte 1961 das Modell eines damals modernen Landhauses im Tessin mit realem Vorbild in Ambri, an der Straße vom Gotthard nach Lugano. Dieses Modell ist heute noch so begehrt, dass Faller es neu aufgelegt hat. Bei modernen Gebäuden hingegen trifft schwache Nachfrage auf hohe Kosten. Ältere Modelle können die Hersteller oft leicht variieren und mit bereits vorhandenen Formen produzieren. Ein neuer Baustil hingegen erfordert neue Werkzeuge. Und die kosten schnell mal einen fünfstelligen Betrag.

Storch rechnet das an zwei Beispielen vor. 1998 brachte das Unternehmen einen Verkaufsturm für Smart-Autos auf den Markt, 2003 ein dazu passendes Autohaus. Um möglichst nah am Original zu bleiben, fahren die Mitarbeiter bei solchen Projekten vorab an Ort und Stelle, machen Fotos, messen Abstände und vergleichen die Farben des Gebäudes mit einem Farbfächer. Dann gehen sie mit einer Konstruktionssoftware über die Bilder. Unter Umständen müssen sie noch korrigieren, damit das Modell nicht zu groß wird. Allein die Arbeitsstunden hierfür beliefen sich beim Turm auf 143, beim Autohaus auf 355. Im nächsten Schritt fertigten Spezialisten die Formen für den Spritzguss. Das dauerte 584 beziehungsweise 863 Arbeitsstunden. Die Kosten vor dem Start der Fertigung beliefen sich daher auf mehr als 25 000 Euro für den Turm und circa 38 000 Euro für das Autohaus. Kein Wunder also, dass Gebäude für die Modelleisenbahn teuer sind. So hat die Viessmann-Tochter Kibri ein Modell des modernen Busbahnhofs in Halle an der Saale im Angebot. Wer es in seine Miniaturwelt integrieren will, benötigt ziemlich viel Platz - immerhin misst es stolze 33 auf 85 Zentimeter. 895,95 Euro kostet der Bausatz laut unverbindlicher Preisempfehlung, Lieferzeit auf Anfrage. Dafür erhält der Hobby-Eisenbahner mehrere Bussteige mit Wartehäuschen und LED-Beleuchtung.

Häuser Modelleisenbahn

Die Ausnahme: Das moderne "Architektenhaus" von Faller.

(Foto: Faller)

Manchmal geht es aber auch günstiger. So bietet Viessmann passend zum Skandinavientrend ein Schwedenhaus an mit roten Wänden und weißen Fensterrahmen und Eckpfosten. Der Hersteller nutzt hier vorhandene Formen für ein Südstaatenhaus und verwendet nur andere Farben, erklärt Pitz: "Ich habe auch einen kubischen Bau angeregt, aber die Nachfrage ist zu gering."

Wer moderne Häuser haben will, kann sie vom 3D-Drucker bauen lassen

Konkurrent Faller kommt dem mit seinem "Architektenhaus" noch am nächsten. Das könnte so tatsächlich in einer Neubausiedlung stehen, freistehend oder als Reihenhaus. Auch den Bahnhof Horrem, ein CO₂-neutrales Vorzeigeprojekt der Deutschen Bahn, hat der Hersteller im Programm, inklusive Solaranlage auf dem Dach. Aber kubische Wohngebäude findet der Modellbauer auch hier nicht.

Wer moderner bauen will, muss selbst aktiv werden. Digitalisierung und 3-D-Druck machen es möglich. Bei Faller können Hobby-Eisenbahner ihre Wunschimmobilien mithilfe einer Konstruktionssoftware ganz gemütlich zu Hause am Computer entwerfen. Ein reales Vorbild braucht es dafür nicht. Die Kunden setzen die Außenwände und wählen ein Dach aus. Im nächsten Schritt können die Hobby-Modellbauer bestimmen, wie die Wände aussehen - geklinkert oder glatt -, sowie die Art und Farbe der Dachziegel. Dann noch Fenster, Türen und Zubehör, beispielsweise eine Wäscheleine oder ein gemauerter Grill - fertig ist die Konstruktionszeichnung.

Häuser Modelleisenbahn

Retro: Tankstelle mit Oldtimern.

(Foto: Busch)

Die Software ermittelt den Preis. Ist der Kunde damit einverstanden, drückt er auf den Bestellknopf. Dann geht sein individuelles Modell in die Produktion. "Korpus des Hauses, Anbauten und Dächer kommen aus dem 3-D-Druck-Verfahren", erläutert Firmensprecher Stefan Rude. Fenster, Türen und Zubehör wie der Briefkasten stammen aus dem Standardsortiment. Jetzt heißt es nur noch warten, bis das Paket mit dem Minigebäude eintrifft, und dann kann der ICE auch durch moderne Wohnviertel brausen.

Lasercut ist günstiger als Spritzguss, kommt aber nicht immer gut an

Eine andere Herstellungsform ist Lasercut. Dabei werden die Bauteile aus speziellem, stabilem Karton mit einem Laser vorgefertigt. Das ist deutlich günstiger als im Spritzgussverfahren. Einige Hersteller haben moderne Stadthäuser im Angebot. Allerdings stößt das Verfahren in der Modellbauszene nicht nur auf Freunde. Manchen fehlen Details, manchen sind die Modelle nicht genau genug, manchen sagt das Material nicht zu. Kunststoffbausätze sind haptisch angenehmer.

In den regulären Sortimenten der Hersteller hat jedoch nicht alles ein Vorbild in der Realität. Es entstehen auch Produkte, die lediglich modern aussehen. Dafür nutzen die Hersteller schon mal vorhandene Formen und schaffen Gebäude, die einen anderen Nutzungszweck haben als ursprünglich vorgesehen. Zwei Beispiele dafür nennt Industriedesigner Richard Storch von der Firma Busch: "Der moderne Containerbahnhof nach Mannheimer Vorbild wurde in abgewandelter Form auch zu den Fantasiemodellen Hallenbad und Sporthalle."

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