Mittelstand:Hausgemachte Pleiten

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Zu viele Fehler: Insolvenzen sind die Folge von oft jahrelangem Missmanagement. Nicht nur bei Rosenthal wurde schon vor der Krise viel Porzellan zerbrochen.

Varinia Bernau

Es war eine schnelle Schlussfolgerung - und sie sollte sich als falsch herausstellen: Nur wenige Tage nachdem der irische Konzern Waterford Wedgwood unter seinen Schulden zusammengebrochen war, musste auch die deutsche Tochtergesellschaft Rosenthal Anfang Januar die Pleite eingestehen.

Horrend hohe Sach- und Beratungskosten, Fehlkalkulationen - bei Rosenthal begann der Abstieg in die Pleite lange vor der Krise. Managementfehler bringen viele Mittelständler in Existenznot. (Foto: Foto: ddp)

Eine "Auswirkung aus der Insolvenz der Muttergesellschaft" nannte Insolvenzverwalter Volker Böhm die Schieflage unmittelbar nachdem bekannt wurde, dass das Traditionsunternehmen im fränkischen Selb zahlungsunfähig war.

Einige Wochen später musste er sich korrigieren: In einem vertraulichen Bericht listete er eine ganze Reihe von Managementfehlern der vergangenen Jahre auf. Von einem ausgeklügelten Berichtswesen, das tatsächlich nur auf dem Papier existierte, war da die Rede. Von Fehlkalkulationen, von falsch gebuchten Rohstoffen und Beständen sowie horrend hohen Sach- und Beratungskosten.

Rosenthal ist kein Einzelfall. 800 mittelständische Firmen mit einem Jahresumsatz zwischen zehn und 600 Millionen Euro haben sich die Berater der Munich Strategy Group angeschaut.

Das Ergebnis: Jedes fünfte Unternehmen ist von der aktuellen Wirtschaftskrise bedroht. Kein einziger dieser Wackelkandidaten allerdings hat in den vergangenen vier Jahren seinen Umsatz oder seinen Gewinn steigern können.

Schuld ist nicht die Krise

Die Pleite kommt nicht über Nacht, sie ist die Folge langjähriger Managementfehler. In dem Moment aber, in dem sich - so wie es derzeit täglich geschieht - Kreditgeber zurückziehen und Absatzmärkte wegbrechen, ist für viele dieser Wackelkandidaten die Pleite unausweichlich.

Die Wirtschaftskrise löst die sich häufenden Insolvenzen nicht aus, sie beschleunigt die Auslese. Auch wenn es in den vergangenen Monaten spektakuläre Großpleiten gab, das Gros der Insolvenzen trifft kleine und mittlere Firmen. Drei Viertel aller Pleiten im ersten Halbjahr 2009 hatten nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Creditreform noch nicht einmal fünf Mitarbeiter im Unternehmen.

Als der Wäschehersteller Schiesser im vergangenen Februar in die Insolvenz ging, machte das Unternehmen dafür auch Fehler aus der Vergangenheit verantwortlich. Schiesser werde "durch hohe finanzielle Verpflichtungen, die für nicht zum Kerngeschäft gehörende und zwischenzeitlich eingestellte Geschäftsfelder aufgebaut wurden, nachhaltig belastet", hieß es in einer Mitteilung.

Fehler bei der Feinripp-Firma Schiesser

Vor allem Lizenzverträge mit anderen Markenherstellern wie Puma oder Hilfiger kosteten Schiesser, auch wegen handwerklicher Fehler, viel Geld. Die Feinripp-Firma hatte Schulden in Höhe von 65 Millionen Euro angehäuft.

Etwa 70 Prozent der insolventen Unternehmen, die die Munich Strategy Group untersucht hat, sind seit vier Jahren Wackelkandidaten und auch die übrigen 30 Prozent rangierten allenfalls am unteren Ende der Wirtschaftlichkeit.

Viele Familienunternehmen halten ihre Zahlen jedoch unter Verschluss. Selbst Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die zur Offenlegung verpflichtet sind, zahlen häufig lieber eine Strafe, als sich in die Bilanzen schauen zu lassen.

Hertie, Schiesser & Co.
:Abschied von alten Bekannten

Quelle, Escada, Rosenthal: Pleiten von Traditionsunternehmen sorgen in Deutschland immer wieder für Aufsehen - weil oft Hunderte, manchmal Tausende Jobs einfach wegfallen. Spektakuläre Pleiten in Bildern.

Der langjährige Insolvenzverwalter Volker Grub, der auch den Fall Schiesser betreut, sagt, dass sich vier von fünf Insolvenzfällen auf das mangelhafte Management zurückführen ließen.

In der aktuellen Krise aber will er nicht mehr nur den Managern die Schuld an den Pleiten geben: "Eine derart heftige Absatzkrise konnte niemand voraussehen."

Grubs Einschätzung deckt sich mit dem Ergebnis einer Umfrage unter den wichtigsten Insolvenzverwaltern, die etwa 210.000 laufende Verfahren betreuen. Das Zentrum für Insolvenz und Sanierung (ZIS) an der Universität Mannheim hat diese gemeinsam mit dem Kreditversicherer Euler-Hermes befragt. Ihr Befund: Die weltweite Rezession hat jede dritte Insolvenz ausgelöst.

Die Rolle, die Missmanagement nach wie vor bei Pleiten spielt, bezweifeln die Insolvenzverwalter nicht. Doch welche Fehler in die Insolvenz führen - das hat sich verändert.

Strategie? Nebensache

Waren es vor drei Jahren, als das ZIS zuletzt eine ähnliche Umfrage durchgeführt hat, vor allem betriebswirtschaftliche Faktoren wie etwa ein fehlendes Controlling, so sind es jetzt strategische Aspekte.

Die Krise der Autozulieferer zeigt das am anschaulichsten: Gerade im Südwesten der Republik, so die Beobachtung von Insolvenzverwalter Peter Depré, seien Zuliefererbetriebe, die bis zu 90 Prozent ihrer Produktion an einen einzigen Hersteller geliefert haben, keine Seltenheit.

Und dieser Autohersteller habe noch dazu überwiegend teure Wagen im Angebot. Bei kleinen Mittelständlern mit einer solch engen Ausrichtung, berichtet er, seien die Aufträge um die Hälfte geschrumpft. Zudem fehle es gerade dem Mittelstand an Rücklagen oder auch an Mitarbeitern, die sich nur strategischen Überlegungen widmen.

Den meisten Familienbetrieben, sagt Berater Sebastian Theopold von der Munich Strategy Group, mangle es an der Fähigkeit, aus den Kennzahlen die richtigen Konsequenzen abzuleiten. "Besonders der Mittelstand ist oft zu blauäugig", so auch die Einschätzung des Insolvenzverwalters Grub.

"Viele wachsen zu schnell und bei dem wirtschaftlichen Erfolg sind langfristige Strategien zunächst nicht notwendig." Das gehe so lange gut, wie der Laden läuft. Grub stand schon in Unternehmen, in denen es nicht einmal Liquiditätspläne über voraussichtliche Ausgaben und Einnahmen gab oder in denen der Chef vergessen hatte, Aufträge abzurechnen.

"Diese Krise kann kein Unternehmer aussitzen", betont Theopold. Es ist eine Warnung an jene Unternehmen, die zwar nicht akut gefährdet sind, sich aber bereits Versäumnisse im Management geleistet haben - seiner Studie zufolge immerhin 40 Prozent der Mittelständler.

Ein weiterer Befund der Untersuchung: Die Branche ist kein Kriterium, um für die Krise gewappnet zu sein. Und selbst in gesättigten Märkten wie der Herstellung von Haushaltswaren sind noch gute unternehmerische Leistungen möglich.

Das seit mehr als 100 Jahren bestehende Unternehmen Hansgrohe im schwäbischen Schiltach behauptet selbst in Krisenzeiten seinen Platz als einer der Weltmarktführer in der Herstellung von Duschköpfen.

Weg von der Masse

Auch Grub zeigt sich überzeugt, dass erfolgreich ist, wer sich eine Nische sucht und sich auf seine Kernkompetenz stützt. "Firmen verzetteln sich, wenn sie überall mitmischen. Und dort, wo sich die breite Masse bewegt, ist auch der Preiswettbewerb härter."

Die erfolgreichen Unternehmen, prognostiziert Theopold, könnten die Krise sogar nutzen, um ihren Vorsprung auszubauen. So hätten vor fünf Jahren Mittelständler Kredite nur gegen fünf Prozent Zinsen erhalten, heute seien zwei Prozent möglich.

Andere Experten halten diese Sicht für zu optimistisch. Vier von fünf der befragten Insolvenzverwalter berichteten dem ZIS, dass Banken derzeit selbst solchen Unternehmern Finanzierungszusagen verweigern, die sie schon lange und gut kennen.

"Die Kreditverweigerung trotz guter unternehmerischer Projekte verschärft die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage", sagt Georg Bitter vom ZIS.

© SZ vom 16.07.2009/kfa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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