Miniatur-Welten:Modellversuch

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Bevor groß gebaut wird, entstehen Häuser oft zunächst im Miniaturformat. Die Digitalisierung krempelt das traditionelle Handwerk um. Einfacher wird es dadurch aber nicht unbedingt.

Von Andreas Remien

Der Roboterarm schwenkt flink um den Kunststoffblock, mal nach links, dann nach rechts, rauf und wieder runter. Die beiden Mitarbeiter vor dem Glaskasten, in dem das Hightechgerät von allen Seiten das weiche Material bearbeitet, schauen der Maschine begeistert bei der Arbeit zu. Mit Zukunftstechnologie entstehen im Osten Berlins traditionelle Produkte, analog, zum Anfassen: Das Unternehmen Werk5 stellt hier Modelle her, Bürotürme, Wohnquartiere oder ganze Stadtviertel im Miniaturformat.

Maßstabsgetreu verkleinerte Nachbildungen sind ein altes Mittel, um Ideen in die physische Wirklichkeit zu holen - Architekten werben mit Modellen in Wettbewerben für ihre Entwürfe, Stadtplaner zeigen ihre Konzepte, Projektentwickler buhlen um Investoren. Die Methoden der Modellbauer aber haben sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Wer die Räume von Werk5 am Spreeufer betritt, kann sich jedenfalls von romantischen Werkstattklischees verabschieden. Es riecht nicht nach Holz, an den Wänden hängen weder Hobel noch Hammer, auf dem Boden liegen keine Sägespäne. In der Haupthalle stehen vor allem viele Schreibtische mit sehr vielen und sehr breiten Bildschirmen. Vor den hochauflösenden Monitoren bearbeiten die Mitarbeiter Gitternetzmodelle und Höhenprofile. Was daraus mal werden könnte, zeigen die Modelle und Bauteile, die verstreut auf den Ablagen rund um den Konferenztisch liegen: Ganze Gebäude oder Fragmente im Miniaturformat, ein paar Zentimeter Fassade hier, ein kleines Geländer dort. Vom Hotel in Katar über Hochhäuser in Frankfurt, Bürobauten in Berlin bis hin zu Wohnhäusern in Stockholm: Mit den Arbeiten aus der Werkstatt ließe sich eine veritable Modellmetropole bauen. Sogar ein Fußballstadion ist dabei, aus Bordeaux, dessen Verein Girondins zuletzt eher Mittelmaß, aber Mitte der Achtziger eine große Nummer war.

Die Nachbauten sind aufwendiger geworden. Das liegt auch an den Ideen der Architekten

An alte Zeiten kann sich auch Gunnar Bloss, Geschäftsführer von Werk5, noch gut erinnern. "Da bekamen wir die Pläne von den Architekten noch per Kurier oder Fax", berichtet Bloss, ganz ohne dabei nostalgisch zu werden. Im Anschluss hätten die Mitarbeiter erst mal Holzklötzchen gesägt. Im Laufe der Jahre kamen die Computer, an denen die Modellbauer erst 2D-Modelle, später dann 3D-Modelle zeichnen konnten. Die Rechner wurden immer schneller, die Programme immer komplexer. Die wichtigsten Maschinen in der Berliner Werkstatt sind heute die computergesteuerten Fräsen, eine davon drei Meter breit, damit sie zum Beispiel das Geländeprofil eines Stuttgarter Stadtteils aus einem einzigen Kunststoffblock modellieren kann. Mit digitalen Plänen gefüttert, stellen die Apparate heute weitgehend automatisch Modellbauteile in extremen Präzisionsbereichen her. "Die Digitalisierung hat den ganzen Beruf revolutioniert", sagt Bloss, der selbst neben dem Ingenieurstudium noch eine Tischlerlehre gemacht hat. Heute müssen die Azubis nicht an die Säge, sondern an den Computer.

Wie kann man ein Heizkraftwerk in einen Wohnturm umwandeln? Das haben Architekten zunächst als Modell gezeigt. (Foto: Werk5)

Einfacher ist die Arbeit der Modellbauer aber nicht unbedingt geworden. "Es ist ja nicht so, dass wir auf einen Knopf drücken, und die Fräse spuckt das fertige Ergebnis aus", betont Bloss. Zwar haben die Architekten mittlerweile oft sehr präzise Pläne darüber, wie ihre Bauten später einmal aussehen sollen. Daraus ein Modell zu konzipieren, ist aber doch eine ganz andere Arbeit. Welche Komponenten müssen wie gebaut und wie montiert werden? Wie lassen sich komplizierte Formen herstellen? Die Planung eines Modells ist eine ziemlich komplexe und oft auch kreative Angelegenheit. Nicht zuletzt, weil mit den neuen Möglichkeiten auch die Ansprüche der Auftraggeber gestiegen sind. Mit einem Holzklötzchen ist heute jedenfalls kein Kunde mehr zufrieden. Die Modellbauer brennen daher mit Lasern Mikrostrukturen in die Fassaden, verbauen Geländer aus hauchdünnem Aluminium und montieren Beleuchtungen, die auf Berührungen reagieren. Der Hang mancher moderner Architekten zu möglichst außergewöhnlichen und geschwungenen Bauwerken hat den Arbeitsalltag auch nicht gerade einfacher gemacht - die Modellbauer müssen dann mit aufwendigen Tiefzieh- und Thermoverfahren asymmetrische Formen herstellen, die früher Expressionisten auf Leinwände, aber nicht Architekten in ihre Baupläne gezeichnet haben.

Zumindest beim Zusammenbauen eines Modells gibt es noch ein wenig klassische Werkstattromantik. Montieren, putzen, sortieren, polieren: In der Montagehalle ist Handarbeit gefragt. Mitarbeiter kleben kleine Häuser auf die Berliner Museumsinsel, setzen winzige Kunststofffenster in eine Fassade ein oder befestigen eine Steuerungsplatine für die Beleuchtung unter einem abnehmbaren Dach. Hin und wieder kommt eine handelsübliche Zahnbürste zum Einsatz. Doch auch die ist gefährdet. Mittelfristig könne er sich gut vorstellen, dass Roboter einen Teil der Montage übernehmen, sagt Bloss, der die Veränderung seines Berufs mit wenig Wehmut, dafür mit viel Pragmatismus sieht: "Roboter sind keine Bedrohung. Je mehr redundante Arbeiten wegfallen, desto mehr Zeit bleibt für anderes." Arbeitsplätze fielen dadurch nicht weg, sagt der Geschäftsführer. Pro Roboter werde sogar mindestens eine neue Stelle geschaffen.

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(Foto: Werk5)

Bei der Herstellung der Miniatur-Gebäude kommen heute auch Roboter zum Einsatz.

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(Foto: Werk5)

Beim Montieren der Teile ist aber noch viel Handarbeit gefragt.

Die Digitalisierung lässt alte Arbeitsprozesse verschwinden. Ob das gleiche Schicksal auch dem Architekturmodell selbst droht? Im digitalen Zeitalter sind schließlich aufwendige Simulationen möglich, die der Realität sehr nahekommen. Nein, nein, sagt Bloss entspannt, die Computersimulation könne ein Modell niemals ersetzen. "Wenn etwas physisch wird, bekommt es eine ganz andere Bedeutung", betont er. Modelle seien sehr anschaulich - und vor allem kommunikativ. Jury-Mitglieder eines Architekturwettbewerbs zum Beispiel können sich um die Modelle gruppieren und diskutieren. "Am Ende schaut niemand auf die Pläne", sagt Bloss. Das Modell sei außerdem der erste Realitätscheck eines Entwurfs.

Der Geschäftsführer ist wahrscheinlich auch deshalb ziemlich gelassen, weil es im Modellbau ohnehin oft nicht darauf ankommt, einen Entwurf bis ins letzte Detail möglichst realitätsnah darzustellen. Es gehe darum, eine Idee zu transportieren, betont Bloss, damit grenze man sich auch von den "Eisenbahner-Modellen" ab. Mancher Märklin-Freund mag das vielleicht ein wenig herablassend finden, aber eine kleine Lokomotive, die durch ein Architekturmodell braust, ist eben eine genauso bizarre Vorstellung wie ein minimalistisches Designerhochhaus in einer bunten Styroporlandschaft. Es sind zwei unterschiedliche Welten. Klare Formen, keine oder allenfalls nur wenige und dezente Farben, hochwertige Materialien, eine eigene Ästhetik: Ein Architekturmodell ist oft auch ein Kunstwerk für sich. Oder soll es sein. Die Architektenwelt scheint sich stillschweigend darauf geeinigt zu haben, dass ein gutes Modell abstrahieren muss, um die kreative Botschaft des Gebäudeentwurfs adäquat in den Kunststoff zu fräsen.

Jedes Modell ist ein Unikat, das Geschäftsmodell der Werkstätten funktioniert aber vor allem über die Masse. "Im Durchschnitt verlässt jeden Tag ein Modell unseren Betrieb", sagt Bloss. Kleinere Arbeiten sind nach ein paar Tagen, große Projekte nach einigen Monaten fertig. Auch weil in Deutschland wieder viel gebaut wird, laufen die Geschäfte gut.

Um die Werkstatt für die Zukunft zu wappnen, wollen sich die Modellbauer vor allem weiter an neuen Produktionsverfahren probieren. 3D-Druck? "Ist für uns derzeit nur eine Ergänzung", sagt Bloss. Zum Beispiel, um schnell mal eine kleine Wendeltreppe auszudrucken. "Wir wissen noch nicht genau, wo die Reise hinführt", sagt Bloss, "sehr spannend ist aber der weitere Einsatz von Robotik". Auf der Internationalen Handwerksmesse Mitte März wollen die Modellbauer und die Technische Universität Berlin zeigen, wie die Robotik einfach zugänglich wird und sich in Arbeitsprozesse integrieren lässt. Was sich am besten wie umsetzen lässt, haben die Mitarbeiter zuletzt immer wieder ausprobiert. So lassen sich zum Beispiel schwere Teile mit dem Roboterarm montieren. In der Vorweihnachtszeit haben sich die Modellbauer an eine besondere Verbindung zwischen Tradition und Technik gewagt. Statt kleinen Gebäudeteilen durfte der Roboter Plätzchen ausstechen. Das hat er, berichtet Bloss, ziemlich gut gemacht.

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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