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Milliardenfehler bei Bad Bank der HRE:Zu viele Nullen

Plus und minus zu verwechseln, kostet jeden Grundschüler die Versetzung: Die 55-Milliarden-Panne bei der Bad Bank der Hypo Real Estate wirft ein schlechtes Licht auf die täglichen Milliardendeals der Finanzmärkte und zeigt: Die Regierungen müssen jetzt erst recht damit anfangen, die Branche zu zähmen.

Alexander Hagelüken

Und schon wieder ein Fall, der das Gefühl vieler Bürger verstärken wird, dass sie den Finanzmärkten ausgeliefert sind. Da hat sich die Resteverwaltung der staatlich geretteten Hypo Real Estate (HRE) mal kurz um 55 Milliarden Euro verrechnet - so viel wie die gesamten Hartz-IV-Ausgaben für eineinhalb Jahre und fünf Millionen Menschen. Ein ganzes Jahr lang fiel diese Panne keinem der vom Steuerzahler hochdotierten Fachleute auf.

Das wirft ein schiefes Licht auf die täglichen Milliardendeals der Finanzmärkte, die sich völlig von der realen Wirtschaft abgekoppelt haben, der sie doch dienen sollen. Es ist dieselbe Branche, die sich anmaßt, per Renditediktat über das Schicksal von Firmen und Millionen Arbeitsplätzen zu entscheiden - und neuerdings über ganze Staaten.

Was im Bermuda-Dreieck zwischen Skandalbank HRE, Resterampe und Wirtschaftsprüfern geschah, klärt sich gerade auf. Fest steht, dass die Buchhalter gigantische Posten addiert haben, statt sie voneinander abzuziehen. Diese Leistung fiel der Resterampe, die die faulen Wertpapiere der HRE zu verkaufen versucht, jetzt erst auf. Die Buchhaltungspanne passierte bei der Skandalbank selbst. Und was die Wirtschaftsprüfer für ihr Millionenhonorar alles nicht geleistet haben, wird gerade ermittelt.

Dieses organisierte Chaos lässt Schlimmes für die Zukunft einer Bank befürchten, in die der Steuerzahler schon viel Geld gesteckt hat - und in der er noch viel verlieren könnte. Wenn sie die faulen Wertpapiere, darunter viele Staatsanleihen maroder Euro-Staaten, nicht gut verkauft, summieren sich die Verluste locker auf 50 Milliarden Euro - eben das, was der Staat für eineinhalb Jahre Hartz IV benötigt. Woher das Geld nehmen? Noch mehr Schulden?

Es wirkt grotesk, dass eine solche Panne beim Immobilienfinanzierer HRE vorkommt, den der Steuerzahler mit so hohen Garantien und Hilfen retten musste wie keine andere deutsche Bank. Die HRE war mit völlig falscher Finanzierung in den Lehman-Crash 2008 geraten - wie ein Kanufahrer, der bewusst auf einen Tsunami zupaddelt. Ausbaden durfte das der Steuerzahler, während sich der Ex-Chef darauf konzentrierte, von der Bank Millionen zu fordern. Auch einige der nächsten Manager fielen durch hohe Gehaltsansprüche auf, um die sie erbittert stritten - vielleicht fehlte deshalb Zeit, um die Arbeit anständig zu erledigen. Nach der 55-Milliarden-Panne muss die Bundesregierung nun Konsequenzen bei der Bank ziehen. Plus und minus zu verwechseln, kostet jeden Grundschüler die Versetzung.

Europas Regierungen handeln wie primitive Kulturen

Es gibt Hinweise darauf, dass das Finanzministerium der Zahlenakrobatik schneller hätte misstrauen können. Minister Schäuble hat sich in eine schwierige Lage manövriert. In dem Moment, da er von der Panne erfuhr, hätte er die Öffentlichkeit informieren sollen. Stattdessen haben die Medien das Ganze enthüllt. Schäuble, der ein Geheimniskrämer ist und alles alleine im Blick behalten will, steht wie ein Vertuscher da.

Und der Bürger? Er staunt über die Praktiken einer Branche, die in den vergangenen Jahren immer mächtiger wurde. In der Finanzkrise lösten die Wetten der Investoren ein Weltbeben aus, das Millionen Arbeitsplätze kostete. In der Eurokrise sehen sich die Regierungen anonymen Spekulanten gegenüber, die sie nach Art primitiver Kulturen mit Opfern zu besänftigen suchen.

In den USA kracht gerade eine Brokerfirma zusammen, die mit Euro-Anleihen spekulierte. Hunderte Millionen Kundengelder fehlen, es ist die größte Bankpleite, seit der Lehman-Crash die Welt an den Abgrund führte. Egal, ob die Milliardenjongleure in einer verstaatlichten deutschen Bank sitzen oder an der Wall Street: All diese Vorgänge zeigen, dass die Zeit für die Zähmung der Finanzmärkte nicht vorbei sein darf, wie es die Branche fordert. Die Regierungen müssen erst richtig damit anfangen.

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SZ vom 02.11.2011/jab
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