Milliardenbetrüger vor Gericht:Ab in den Knast

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Schuldig im Sinne der Anklage: Milliardenbetrüger Madoff bestätigt am ersten Verhandlungstag alle Anklagepunkte. Der Richter lehnt eine Kaution ab, er muss ins Gefängnis.

M. Koch u. N. Piper

Es ist der Tag der Opfer. "Wenn Bernard Madoff unbehelligt den Gerichtssaal verlassen sollte, gibt es hier einen Aufstand," prophezeit Judith Welling. Die Rentnerin aus Manhattan hat etwas über eine Million Dollar verloren und ist an diesem Morgen in die Pearl Street im Süden Manhattans gekommen, um den Verbrecher erstmals selbst zu sehen. Unzählige andere Opfer haben es ihr gleichgetan. Der Saal 11 A im 24. Stockwerk des Distriktgerichts ist bis auf den letzten Platz besetzt. Gut 300 Opfer, Anwälte und Journalisten mussten mit einen Ausweichsaal vorlieb nehmen, in den die Gerichtsverhandlung auf großen Leinwänden übertragen wurde.

Milliardenbetrüger Bernard Madoff (rechts) bekennt vor dem Gericht in New York seine Schuld. (Foto: Foto: AP)

In einem Punkt ist den Opfern an diesem Morgen Genugtuung widerfahren: Richter Denny Chen sperrte Madoff direkt nach Ende der Verhandlung ins Gefängnis, wo er nach menschlichem Ermessen für den Rest seines Lebens bleiben muss. Auch nach seiner Verhaftung am 11. Dezember hatte er im Penthouse einer Familie in Manhattans vornehmer Upper East Side gewohnt, zuletzt unter Hausarrest und mit einer elektronischen Fessel versehen. Doch nun lehnte der Richter eine weitere Kaution ab. Wegen der Schwere der Schuld muss er hinter Gittern auf den 16. Juni warten, an dem das Gericht über das tatsächliche Strafmaß entscheidet.

Bernhard L. Madoff, der Mann, der seine Anleger vermutlich um 60 Milliarden Dollar betrogen hat und so zum größten Betrüger in der Geschichte der Wall Street wurde, ist schon im Morgengrauen, lange vor Prozessbeginn, in der Pearl Street vorgefahren. Ein paar Opfer beobachten, wie er im anthrazitfarbenen Anzug und versteinerter Miene aus dem Auto stieg. Stunden später sitzt der 70-Jährige an der Seite seines Anwalts Ira Sorkin vor dem Richter. Sorkin hatte schon am Dienstag angekündigt, dass sein Mandant sich schuldig bekennen und so dem Staat und den Steuerzahlern einen langen und teuren Prozess ersparen werde.

Als Madoff schließlich mit zu reden beginnt, ist es totenstill im Gerichtssaal. Seine dunkle Stimme ist anfangs etwas belegt, er ringt mit dem Händen, scheint sich dann jedoch zu fassen und spricht sicher und verständlich. Der bis vor kurzem noch hoch angesehene Finanzmanager - er war Jahre lang Chef des Verwaltungsrates der Computerbörse Nasdaq - gibt zu, über Jahrezehnte ein Schneeballsystem betrieben zu haben. Seit vielen Jahren habe er das Geld der Anleger nicht mehr in Aktien investiert, sondern auf ein Konto bei der Chase-Manhattan-Bank in New York getragen. Aus diesem Konto zahlte er Anleger aus, die ihr Geld zurück haben wollten, außerdem genehmigte er sich selber hohe Gebühren.

"Ich schäme mich"

Er habe geahnt, dass das System nicht mehr lange würde durchzuhalten sein, sagt er. "Ich bin tatsächlich dankbar für die Möglichkeit, mich öffentlich zu meinen Verbrechen zu äußern, die mir leid tun und für die ich mich schäme." Fünfzehn Minuten lang liest Madoff seine Erklärung vom Blatt und gegen Ende versichert er nochmals: "Ich kann nicht angemessen ausdrücken, wie leid es mir tut." Niemand kann sagen, was in einem Mann vorgeht, der 4800 Menschen, viele davon aus seinem engen sozialen Umfeld jahrelang betrogen, viele ins Unglück gestürzt und mindestes einen in den Selbstmord getrieben hat. Gestik und Tonfall jedenfalls passen nicht zu der nach außen demonstrierten Zerknirschung. Er liest sein Schuldeingeständnis vor, so als handele es sich um eine wissenschaftliche Abhandlung. Außerdem stellt er die Dinge in ein paar entscheidenden Punkten anders dar als die Staatsanwälte.

So glaubt die Staatsanwaltschaft, Madoff habe sein Betrugssystem seit den frühen achtziger Jahren betrieben, Madoff selbst behauptet, alles habe erst Anfang der neunziger Jahre begonnen. In der damaligen Rezession habe er die Erwartungen von Anlegern nicht mehr erfüllen können und die Erträge der einen mit den Anlagen der anderen zu bezahlen. Er habe gehofft, nur für kurze Zeit auf verbotene Methoden zurückgreifen zu müssen, doch er sei dann aus dem Betrug nicht mehr herausgekommen.

In dieser Darstellung macht sich der Anlagebetrug menschlicher, fast ein wenig harmlos aus. Viele Betrügereien beginnen so ähnlich: Jemand fälscht die Bücher ein klein wenig, um eine Notlage zu überbrücken, und ist dann plötzlich im Verbrechen gefangen. Mit seiner Geschichte könnte Madoff eines der großen Rätsel seine Falles lösen: Warum macht einer so etwas überhaupt, ein Mann, der eine sehr profitable und vollkommen legale Finanzfirma betreibt, und der es wirklich nicht nötig hätte. Die Geschichte ist nur nicht sehr plausibel. Oder ist es vorstellbar, dass Madoff wissentlich gemeinnützige Stiftungen, wie die von Nobelpreisträger Elie Wiesel vernichtet und Tausende von Anlegern in die Armut stürzt, wenn das Ganze nur als kleiner Notbetrug begonnen hat?

Madoff bekannte sich schuldig in allen elf Punkten, die ihm die Staatsanwälte zur Last legten, unter anderem Wertpapierbetrug, Urkundenfälschung, Geldwäsche, Meineid und Diebstahl aus einem Pensionsfonds für Arbeitnehmer. Verschwörung stand nicht auf der Liste. Hätte sich Madoff der Verschwörung für schuldig bekannt, dann hätte er die Namen von Komplizen nennen müssen: Niemand kann sich vorstellen, dass jemand jahrzehntelang ein so umfangreiches Betrugssystem ohne Komplizen betreiben kann. Zumindest unter den Opfern glauben viele, dass Madoff seine Frau Ruth, seinen Bruder und seine Söhne schützt.

Richter Chin versichert, dass es keinen "Deal" gebe, dass das Strafmaß ausschließlich von dem abhängen wer, was bis dahin an Erkenntnissen über den Betrug vorliegt. Den Beschuldigten Madoff weist der Richter mehrfach auf die Konsequenzen eine Schuldspruchs hin: Er ist nicht revidierbar, er kann einige Bürgerrechte außer Kraft setzen: das aktive und passive Wahlrecht, das Recht eine Schusswaffe zu besitzen. "Bekennen Sie sich schuldig, weil sie schuldig sind?" fragt Chin. "Ja, euer Ehren," antwortet Madoff. Ihm drohen, rein rechnerisch, 150 Jahre Gefängnis. Es wird auf jeden Fall Lebenslang werden.

Gemessen daran, wie viel ohnmächtige Wut Madoff in Amerika ausgelöst hat, ist es im Gerichtssaal am Donnerstag bemerkenswert ruhig. Unruhe und Gelächter kam zum ersten Mal auf, als Madoffs Anwalt Sorkin erklärte, Ruth, die Frau der Beschuldigten, habe "aus eigenen Mitteln" ein Sicherheitssystem in der Wohnung installiert. In der Tat ist "eigene Mittel" ein lustiger Begriff, wenn jemand den Rest der Menschheit um 50 Milliarden Dollar erleichtert hat. Und dann klatschen einige dankbar Beifall, als Richter Chin entschied, dass Madoff unmittelbar ins Gefängnis wandert.

Für einige Opfer ist der Tag im Bezirksgericht trotzdem enttäuschend. Viele hatten sich darauf vorbereitet, eine Erklärung abzugeben, gefragt war an diesem Tag aber nur, wer sich gegen die Haft für Madoff aussprechen wollte - und so jemanden gab es natürlich nicht -, oder aber Stimmen dafür, dass der Richter das Schuldeingeständnis Madoffs zurückweist. Dafür spricht sich tatsächlich eine Frau aus: Maureen Ebel, eine 60-Jährige Witwe aus Florida, deren gesamtes Vermögen von sieben Millionen Dollar Madoff auf dem Gewissen hat, plädierte für einen großen Prozess: "Nur dann kann Amerika der Welt zeigen, dass wir aus unseren Fehlern lernen."

Judith Welling aus Manhattan, hofft unterdessen, "dass Madoffs Zelle sehr klein ist und dass er von dort ständig die Opfer sehen kann". In den nächsten Wochen hat sie allerdings anderes zu tun, als sich mit dem Täter zu befassen: Sie muss versuchen, vom Finanzamt die Steuern zurückzuholen, die sie seit 1992 für nicht existierende Zinserträge gezahlt hatte. Aber sie weiß, dass anderen noch schlechter dran sind. "Wir haben wenigstens noch anderes Vermögen.

Wir sind Überlebende, keine Opfer."

© SZ vom 13.32009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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