Mieter-Strom:Vom Dach in die Steckdose

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Auf dem Luitpoldblock in München ist eine Photovoltaik-Anlage installiert. Der Solarstrom fließt nicht ins allgemeine Netz, sondern versorgt die Bewohner. (Foto: Polarstern)

Immer mehr Immobilieneigentümer geben ihren Bewohnern die Möglichkeit, sich günstig mit hausgemachter Energie zu versorgen. Solche Angebote könnten künftig stark zunehmen.

Von Ralph Diermann

Der zweihundert Jahre alte, denkmalgeschützte Luitpoldblock nahe dem Odeonsplatz gehört zu den besten Adressen Münchens. Ein altehrwürdiges Café und exklusive Geschäfte stehen für Tradition und Beständigkeit. Bei der Energieversorgung ist das Geschäftshaus in Familienbesitz jedoch echte Avantgarde: Der Luitpoldblock zählt deutschlandweit zu den ersten Gebäuden, deren Mieter Strom vom eigenen Dach beziehen können. Dort oben ist eine große, für Passanten unsichtbare Photovoltaik-Anlage montiert. Der Solarstrom fließt nicht in das allgemeine Netz, sondern direkt ins Haus.

"Mieterstrom" heißt dieses noch recht neue Modell, das derzeit in der Immobilienwirtschaft wie in der Energiebranche viel Aufmerksamkeit findet. Das Prinzip: Die Eigentümer oder von ihnen beauftragte Dienstleister installieren ein Solarsystem oder ein Blockheizkraftwerk (BHKW). Den erzeugten Strom verkaufen sie an die Mieter. Da keine öffentlichen Leitungen genutzt werden, entfallen die Netzentgelte und auch die Stromsteuer. Deshalb können sie den Strom zu günstigen Preisen anbieten. Produzieren die Anlagen nicht genug Energie, um den Bedarf zu decken, wird die Lücke mit Strom aus dem Netz aufgefüllt. Das geschieht automatisch, sodass die Kunden stets sicher versorgt sind. Wie bei einem Standard-Stromtarif erhalten die Mieter nur eine Rechnung. Ob sie das Mieterstrom-Angebot des Eigentümers oder seines Partners annehmen, bleibt ihnen selbst überlassen. Auch in Wohnungseigentümergemeinschaften lässt sich dieses Modell realisieren.

In Aubing zahlen Haushalte etwa zehn Prozent weniger als bei konventionellen Tarifen

"Mit Mieterstrom steigern Eigentümer die Attraktivität ihrer Immobilien, da die Nebenkosten sinken", erklärt Florian Henle, Geschäftsführer von Polarstern Energie. Das Unternehmen hat für die Besitzer des Luitpoldblocks die Solaranlage errichtet und die Versorgung der Mieter übernommen. Gerade bei gewerblich genutzten Objekten habe das Modell für die Kunden neben der niedrigeren Stromrechnung aber noch einen weiteren Vorteil. "Manchen Mietern ist es sehr wichtig, dass die Immobilie über eine klimafreundliche Energieversorgung verfügt, weil sich dies positiv in ihrer CO₂-Bilanz niederschlägt", sagt Henle.

Etwa drei Dutzend Mieterstrom-Modelle sind in Deutschland bereits realisiert worden, die meisten davon in Wohngebäuden - in kleinen Mehrparteienhäusern mit wenigen Einheiten genauso wie in großen Wohnblocks. Oft handelt es sich dabei um Gebäude aus dem sozialen Wohnungsbau. Deren Bewohner profitieren besonders von günstigen Stromtarifen, da sie einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Haushaltseinkommens für Energie ausgeben müssen.

Eines der größten Mieterstrom-Projekte im geförderten Wohnungsbau ist Ende des vergangenen Jahres im Münchener Stadtteil Aubing an den Start gegangen. Mehr als hundert Haushalte beziehen dort jetzt Strom, der an Ort und Stelle in einer 92-Kilowatt-Solaranlage und einem BHKW erzeugt wird. Dafür zahlen sie circa zehn Prozent weniger als bei konventionellen Stromtarifen. Das kleine Heizkraftwerk mit einer elektrischen Leistung von zwanzig Kilowatt hatte der Bauherr GVD Immobilien ohnehin vorgesehen - für die Wärmeversorgung. "Da lag es nahe, die Mieter nicht nur mit Wärme, sondern auch mit Strom aus dem BHKW zu beliefern", erklärt Geschäftsführer Hendrik Schlune. Um das Angebot noch umweltfreundlicher zu gestalten, sei dann die Photovoltaik-Anlage dazu gekommen.

Schlune macht keinen Hehl daraus, dass für sein Unternehmen bei der Entscheidung für das Mieterstrom-Modell neben dem Klimaschutz und den niedrigeren Mietnebenkosten noch etwas anderes zählte. "Es ist natürlich auch ein Imagegewinn, wenn wir solch ein innovatives, mieterfreundliches Projekt vorweisen können", sagt der Geschäftsführer. Derzeit plant GVD Immobilien ein weiteres Objekt im sozialen Wohnungsbau mit sechzig Einheiten, ebenfalls in München. Auch hier sollen die Mieter die Möglichkeit bekommen, hausgemachten Strom zu beziehen.

Experten des Bremer Marktforschungsunternehmens trend:research haben ausgerechnet, das etwa 1,5 Millionen Wohnungen in Deutschland mit Mieterstrom versorgt werden könnten. Die Trendforscher erwarten, dass die Zahl der Angebote in den nächsten Jahren stark steigen wird. In bis zu 670 Objekten soll 2020 Mieterstrom verfügbar sein wird, sofern sich die gesetzlichen Bedingungen bis dahin nicht grundlegend ändern.

Schub könnte dabei auch durch die KfW kommen. Wer von der staatlichen Bank Zuschüsse nach dem neuen, ab April dieses Jahres gültigen Programm "KfW-Effizienzhaus 40+" erhalten will, braucht nicht nur einen guten Wärmeschutz, sondern auch eine Photovoltaik-Anlage oder ein mit Biogas betriebenes BHKW sowie einen Speicher. Der Strom muss dann vorrangig im Gebäude verbraucht werden. Bei derart geförderten Mietshäusern dürfte die lokale Stromvermarktung damit zum Standard werden.

Der Immobilienwirtschaftsverband GdW zeigt sich allerdings deutlich skeptischer. Präsident Axel Gedaschko geht davon aus, dass die Zahl der Mieterstrom-Angebote nur in geringem Maße zunehmen wird. "Die Potenziale werden bei Weitem nicht ausgeschöpft", sagt Gedaschko. Schuld sei ein steuerliches Problem. Denn während der Stromverkauf als gewerbliche Tätigkeit eingestuft wird, ist das Kerngeschäft der Wohnungsunternehmen - die Vermietung - von der Gewerbesteuer ausgenommen. Gedaschko fürchtet nun, dass Mieterstrom-Angebote die Inanspruchnahme dieser Befreiung gefährden. "Damit ist dann für das Wohnungsunternehmen nicht nur die Stromerzeugung gewerbesteuerpflichtig, sondern auch das gesamte Vermietungsgeschäft", sagt der GdW-Präsident.

Allerdings gibt es mittlerweile eine Reihe von Anbietern, die im Auftrag der Immobilienunternehmen auf eigene Rechnung im Gebäude Strom erzeugen und an die Haushalte verkaufen - so wie es Polarstern Energie im Luitpoldblock tut und auch in der Aubinger Wohnanlage von GVD Immobilien geschieht. Das Steuerprivileg der Vermieter ist damit nicht gefährdet. Allerdings entgehen ihnen dann auch die Gewinne durch den Energievertrieb. Den Eigentümern bleibt als Anreiz aber die Aufwertung ihrer Immobilie. In diesem neuen Markt konkurrieren Versorger wie Naturstrom, Lichtblick, RWE oder EnBW mit Energie-Dienstleistern wie Urbana, Techem oder die Berliner Energie-Agentur. Sie lösen nicht nur das steuerliche Dilemma der Eigentümer, sondern verfügen auch über das nötige energiewirtschaftliches Know-how, das den Immobilienunternehmen in der Regel fehlt.

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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