Süddeutsche Zeitung

Mieter-Mobbing und Entmietung:Verniedlichung des Problems

Gerade sozial schwache Mieter lassen sich einschüchtern von Vermieter-Klagen. Renate Schneider vom Mieterbeirat der Stadt München fordert deshalb einen viel stärkeren Einsatz von Politikern und Richtern.

Immer mehr, immer brutalere Fälle von Entmietung wurden in den vergangenen Wochen und Monaten bekannt. Die SZ sprach über das Mieter-Mobbing mit Renate Schneider, Vorstandsmitglied des Mieterbeirats der Stadt München. Dessen Recherchen lösten umfangreiche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen zwei Anwälte einer Münchner Kanzlei wegen des Verdachts der systematischen Entmietung aus.

SZ: Ist Mieter-Mobbing und Entmietung an der Tagesordnung in München?

Renate Schneider: Ich habe den Eindruck, dass es schlimmer geworden ist. Dabei dürften die brutalen Geschichten, über die in den letzten Tagen berichtet wurde, eher Einzelfälle sein. Weit verbreitet sind dagegen die subtilen Formen des Mobbings. Hier ist eine gewisse Enthemmtheit bei Vermietern zu beobachten. Denen ist auch egal, wenn Familien mit Kindern auf der Straße landen.

SZ: Was verstehen Sie unter subtil?

Schneider: Zum Beispiel vorgeschobene Eigenbedarfskündigungen. Oder das Rausmodernisieren. Ein Phänomen in München ist, dass die gesetzlich festgelegte Modernisierungsumlage von elf Prozent oft exakt zu der vom Eigentümer angepeilten ortsüblichen Vergleichsmiete führt. Das ist vom Gesetzgeber so aber nicht gewollt.

Wir vermuten, dass dieses Verfahren von Spekulanten genutzt wird, die sagen: Da kann uns juristisch nicht viel passieren, und die Mieter können sich kaum wehren. Oft reicht schon die Ankündigung, dass die Miete wegen der Modernisierung um bis zu 100 Prozent steigen werde. Gerne verkalkulieren sich Vermieter dabei nach oben, doch die Mieter erschrecken und ziehen schon vor der Endabrechnung "freiwillig" aus.

SZ: Ist das illegal?

Schneider: Zumindest moralisch verwerflich. Dazu kommt, dass sich die Münchner Gerichte für Mieter-Mobbing und Entmietung missbrauchen lassen. Bestimmte Vermieter versuchen erst gar nicht, etwas außergerichtlich zu lösen, sondern benutzen gleich das Amtsgericht, indem sie zig Kündigungen und Klagen verschicken. Oft wegen Belanglosigkeiten oder erfundener "Vergehen". Ziel des Vermieters ist in solchen Fällen weniger das Gewinnen des Prozesses, als vielmehr die Mieter mit jahrelangen Gerichtsverfahren mürbe zu machen und rauszuekeln.

SZ: Wie kann sich das Mietgericht dagegen wehren, missbraucht zu werden? Ein Richter muss jede Klage ernst nehmen und verhandeln.

Schneider: Die Methode funktioniert nur, wenn am Amtsgericht niemandem etwas auffällt. Und das wundert mich schon sehr. Allein unsere Recherchen haben ergeben, dass ein bestimmter Vermieter in den vergangenen Jahren mindestens 50 Klagen eingereicht hat. Ich wünsche mir, das Amtsgericht würde genauer hinschauen.

SZ: Und dann?

Schneider: Wenn sich im Lauf eines Verfahrens herausstellt, dass das Gericht wissentlich mit der Unwahrheit bedient wird, sollte das Folgen für die Vermieter haben und als versuchter Prozessbetrug verfolgt werden.

SZ: Was ja inzwischen geschieht, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Entmietung. Dennoch beteuert Justizminister Weiß, dass weder an den Gerichten noch in seinem Haus Fälle von Entmietung bekannt seien.

Schneider: Das hört sich nach Verharmlosung an. Vielleicht will man im Hinblick auf die Wahlen den Deckel drauf halten und sagen: Es ist alles wunderbar. Tatsache aber ist: Es ist nichts wunderbar! Mieter-Mobbing und Entmietung betrifft viele Menschen. Man sollte das nicht kleinreden. Entmietung in München ist ein gesellschaftspolitisches Phänomen vor dem Hintergrund der Wohnungsnot. Wenn man von "bedauerlichen Einzelschicksalen" spricht, verniedlicht man das Problem.

SZ: Was erwarten Sie von der Politik?

Schneider: Sie müsste der Staatsanwaltschaft, die ja weisungsgebunden ist, klar machen: In München gibt es Entmietung, deshalb müssen Anzeigen von Mietern ernst genommen und dürfen nicht immer auf den Privatklageweg verwiesen werden. Es ist zynisch, wenn man dem Rückgang der Sozialwohnungen zusieht und die Menschen dem Markt aussetzt. Man kann den Wohnungsbau nicht allein der renditeorientierten Wirtschaft überlassen.

Und: Ich erwarte von den Politikern Solidarität mit den sozial schwachen Mietern. Denn die sind ja in erster Linie die Leidtragenden, für sie gibt es nur noch wenige Refugien mit billigen Mieten. Ich fürchte, dass das Problem des Mieter-Mobbings und Entmietung noch nicht ins Bewusstsein der Politiker gedrungen ist.

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Quelle:
Interview: Bernd Kastner
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