Merkel: Regierungserklärung:Das Sparmonster spricht, der Minister gähnt

Angela Merkel versucht vergeblich ihre Haltung zur Euro-Rettung plausibel zu erklären - und was macht Finanzminister Wolfgang Schäuble? Er kämpft mit der Müdigkeit. Oder ist es doch einfach nur Desinteresse?

Thorsten Denkler, Berlin

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gähnt schon nach Minute drei der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) zur Euro-Rettung. Er könnte einfach nur müde sein und erschöpft. Vielleicht aber hat er auch einfach keine Lust, seiner Chefin zuzuhören an diesem Mittwochmorgen im Deutschen Bundestag.

Angela Merkel

Vogelperspektive: Angela Merkel verlässt den Bundestag nach ihrer Regierungserklärung.

(Foto: AP)

Beide liegen in der Euro-Frage erkennbar weit auseinender. Hier der CDU-Politiker westdeutscher Prägung, für den die Europa-Frage von derart existentieller Bedeutung ist, dass er alles dafür tun würde, um ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union zu verhindern. Schäuble will mehr Europa und arbeitet auf eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik hin.

Dort die ostdeutsche Angela Merkel, die sich Europa lediglich unter einem Gesichtpunkt anschaut: Was nützt es Deutschland? Mit den tiefergehenden Wurzeln Europas als Modell des Friedens und der Stabilität hat sie wenig am Hut.

Ein schwerer Vorwurf in einer Partei, die sich immer als Europa-Partei verstanden hat. Und so versucht Merkel diesem Eindruck wortgewaltig entgegenzuwirken.

Der tiefere Grund für die Euro-Rettung liege in der "grandiosen Friedens- und Freiheitsidee der Europäischen Einigung". Von einem "Vermächtnis" an die heutige Politikergeneration spricht sie, dem sie sich "persönlich verpflichtet fühle". Und zwar als "Mensch, aber auch als Kanzlerin der wirtschaftlich stärksten Nation" in der EU.

Das ist wohl ein bisschen zu dick aufgetragen, um noch glaubwürdig zu sein.

Merkel fühlt sich wohler, als sie nüchtern-technokratisch jene Punkte vorstellt, mit denen die Europäische Union auf ihrer Ratsitzung in den kommenden beiden Tagen in Brüssel den Euro stabilisieren will.

Merkel pocht auf einen dauerhaften Euro-Rettungsfonds. Geld daraus soll es nur geben, wenn ein Staat erwiesenermaßen seinem Schuldendienst nicht mehr nachkommen kann. Darüber sollen die Europäische Kommission, der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank befinden. Wenn dem so ist, sollen auch private Gläubiger im Einzelfall in die Haftung genommen werden.

Schäuble schaut dabei irgendwohin, nur nicht zu Merkel. Mal überprüft er seine Brille auf Flecken. Mal starrt er derart angestrengt auf sein Pult, als hätte dort jemand die Weltformel eingeritzt.

Einiges von dem, was Merkel hier als Erfolg präsentiert, wollte sie ursprünglich ganz anders oder gar nicht. Ihre Vorschläge reichten vom Ausschluss einzelner Staaten aus der Euro-Zone, über den Entzug des Stimmrechts bis hin zur generellen und automatischen Mithaftung privater Gläubiger. Sie irritiert damit ihre europäischen Partner und die Märkte gleichermaßen. Am Ende kann sie nichts von dem so durchsetzen.

Was ihr einige EU-Staaten aber vor allem übel nehmen, ist, dass sie ihre Haltung in einem Vier-Augen-Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy über Bord geschmissen hat, ohne sich mit denen abzustimmen, die sie zuvor an Bord geholt hatte.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ätzt gegen dieses Vorgehen: Frankreich und Deutschland hätten zuweilen "vor einem EU-Gipfel Probleme erst geschaffen". Dann seien sie nach Brüssel gekommen und hätten "theatralisch gezeigt: Wir haben die Probleme gelöst und Europa vorangebracht". Und: "Deutschland wird verstehen, dass diese Theaterauftritte der vergangenen Monate nicht von Nutzen sind". Was wohl noch zu beweisen sein wird.

Prüfen? Warum das denn?

Die Opposition im Bundestag ärgert vor allem, dass Merkel eine Idee des Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker nicht mal prüfen will. Juncker will sogenannte Euro-Bonds einführen, Euro-Anleihen mit denen sich angeschlagene Staaten wie Irland und Portugal günstige Kredite sichern können. Juncker sieht in Merkels Absage eine "uneuropäische Haltung". Er hatte schon zuvor ungewohnt heftig die deutsche Regierung kritisiert und Merkel "simples Denken" unterstellt.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier dagegen will solche eng begrenzten Eurobonds einsetzen. Grünen-Kollege Jürgen Trittin sekundiert, Euro-Bonds könnten durchaus so konstruiert werden, dass sie scharfen Druck auf die Länder ausüben, die sie in Anspruch nehmen wollen. Jedenfalls habe Merkel den Vorschlag Junckers nicht ernsthaft geprüft und "auf Zuruf der Bild-Zeitung einfach vom Tisch gewischt".

Steinmeier will überdies einen "intelligenten Haircut", wie er sagt. Gemeint ist eine Teilentschuldung betroffener Staaten auf Kosten der privaten Gläubiger. Sein eigentliches Ziel aber ist - ganz ähnlich wie bei Schäuble - ein höheres: eine "politische Union". Auf dem Weg dahin müssten die EU-Staaten jetzt den Mut haben, Mindeststandards in Arbeits- und Sozialpolitik sowie in der Steuerpolitik zu setzen.

Ein Mut, der Merkel fehle. Sie wolle lediglich eine "kleine Vertragsänderung, die niemandem so richtig wehtut", moniert Steinmeier. Das aber sei "keine Antwort auf die tiefste Krise Europas, die jedenfalls ich jemals erlebt habe". Merkel habe sich verstrickt in ein "Geflecht von Ankündigungen Halbwahrheiten und Lebenslügen".

FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger wird an diesem Morgen der Einschätzung ihres Parteifreundes Wolfgang Kubicki gerecht, dass bei dem, was sie sagt, offenbar "niemand das Bedürfnis hat, dass auch zu transportieren". Sie wiederholt schlicht, was Linie der FDP ist. Kein Mitgliedsstaat soll sich auf Kosten der anderen Mitgliedsstaaten gesundstoßen können.

Was allerdings im krassen Gegensatz zu Merkel steht. Die hatte wenige Minuten zuvor gesagt: "Niemand in Europa wird allein gelassen. Niemand wird fallengelassen." Homburger muss das nicht weiter stören. Merkels Aussage steht ja auch im Gegensatz zu dem, was Merkel sonst noch in ihrer Regierungserklärung verkündet hat.

Grünen-Fraktionschef Trittin bringt auf den Punkt, wie Merkel in vielen EU-Mitgliedsstaaten inzwischen gesehen wird: als "teutonisches Sparmonster".

Und Schäuble? Der hat zwischendurch nur mal kurz einen Angriff Steinmeiers mit einer Handbewegung abgewehrt und sich ansonsten seinem Pult gewidmet. Steinmeier hatte schlicht festgestellt, dass Merkel und Schäuble gerne mit unterschiedlichen Zungen in Europa sprächen. Selbst zu dieser Handbewegung musste Merkel Schäuble per Blickkontakt auffordern.

Aber gut. Vielleicht war Schäuble ja tatsächlich einfach nur müde.

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