Mein erstes Mal (IV):Die Schwaben und das Sparbuch

Warum mein Sparbuch völlig zerlesen ist - und im Allerheiligsten aufbewahrt wird.

Martin Reim

Irgendwann ist es soweit. Man hat etwas Geld. Doch wie um Himmels Willen legt man es an? SZ-Redakteure berichten, wie es war - beim ersten Mal. Folge IV.

Kennen Sie den? Neulich in einem schwäbischen Dorf. Zur Seitenwahl bei einem Fußballspiel wirft der Schiedsrichter eine Münze in die Luft. Resultat: 2000 Verletzte. Das ist natürlich eine verzerrte Darstellung - in Wirklichkeit zeigt sich bei uns der Drang zum Geld noch extremer.

So ist es ganz normal, dass ich (gebürtig in Bayerisch-Schwaben) schon im Alter von wenigen Tagen mein erstes Sparbuch bekam. Das ist für Schwaben so wichtig wie der Abstammungsnachweis, weshalb es bei mir in der Kassette für wichtige Familiendokumente liegt.

Mickerzinsen

Ein Blick in das zerlesene Büchlein zeigt erstens: Es gibt viele blöde Sprüche über Geld. Zum Beispiel steht auf Seite acht: "Sparen schafft Vermögen und Wohlstand" - wenige Zentimeter darüber beweisen ein paar Mark Mickerzinsen die traurige Realität.

Zweitens ist zu erkennen, dass mir der Umgang mit Geld in die Wiege gelegt wurde. In den ersten Wochen meines Lebens gingen sage und schreibe 234 Mark ein. Das war 1965 eine große Summe - und sie wuchs stetig. Sage und schreibe 14 Jahre lang gab es nur Einzahlungen, ich habe die ganze Zeit über keinen einzigen Pfennig abgehoben.

Ich erinnere mich gut an das wohlige Gefühl, als ich regelmäßig den Katalog des Versandhauses Quelle durchblätterte und mir vorstellte, was ich mir alles kaufen könnte. Besonders die elektronischen Geräte hatten es mir angetan.

Zuerst war ein Kofferradio in Reichweite, dann eine Stereoanlage, ein Schwarz-Weiß-Fernseher, ein Farbgerät. Schön, all dies zu besitzen, aber noch schöner, es sich bloß vorzustellen. Das teuerste Produkt war eine Filmkamera für 1600 Mark. 1973 hatte ich es geschafft - 1602,70 Mark Guthaben.

Gekauft habe ich mir die Kamera trotzdem nicht, und auch nichts von den anderen Sachen, denn das hätte mir ja die Möglichkeit genommen, von ihnen zu träumen. Und je mehr ich hatte, desto stärker wurden meine Verlustängste. Auf Seite sechs des Büchleins steht: "Spargeld macht das Kaufen leichter." So ein Unsinn.

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