Mehr Stabilität für Finanzmärkte:Die bessere Steuer

A demonstrator, dressed as a 'corporate zombie' walks with others taking part in an Occupy Wall Street protest in lower Manhattan in New York

Nach der Bankenkrise gab es heftige Proteste gegen die Finanzpolitik. Auch heute ist nach Ansicht von Kritikern die Gefahr eines Crashs nicht gebannt.

(Foto: Mike Segar/Reuters)

Physiker wollen den Finanzmarkt stabilisieren - mit einer neuen Abgabe aufs Risiko. Im Erfolgsfall sollen Bankencrashs der Vergangenheit angehören und die Steuer würde sich selbst abschaffen.

Von Verena Ahne, Wien

Im Herbst 2008 knickte Alan Greenspan ein. Schreckensbleich bekannte der damalige US-Notenbankchef, dass die Theorien, auf denen all seine Entscheidungen beruht hatten, nichts taugen.

Seither ist klar: Die bisherigen Patentrezepte wirken nicht. Es müssen völlig neue Lösungen her. Vorschläge, die das Bankensystem sicherer machen, die verhindern, dass erneut eine Finanzkrise ausbricht und die gesamte Wirtschaft mit in die Tiefe reißt. So manches wurde bereits auf den Weg gebracht, darunter auch die Finanztransaktionssteuer, die demnächst in elf Euro-Ländern eingeführt werden soll.

Bis heute gibt es harte Meinungskämpfe über die Effekte dieser "Tobin Tax". Ein Hin und Her, dem Stefan Thurner nun ein Ende bereiten möchte. Der Leiter des Instituts "Wissenschaft komplexer Systeme" in Wien hat ihre Auswirkungen mit realen Daten simuliert. "In ihrer jetzigen Form führt sie zu Liquiditätsverlust, höheren Kreditkosten und Produktivitätseinbrüchen", fand er und schlägt stattdessen eine andere, neue Steuer vor: die Systemic Risk Tax, die das komplexe System "Bankenmarkt" so verändern soll, dass es sich von innen heraus selbst stabilisiert.

Zehn Jahre Analysen und Tüftelei

Zehn Jahre tüftelte der heute 45-jährige Wissenschaftler an dieser Lösung. Mit Ökonomen aus Zentralbanken in Österreich und Mexiko hatte er die Struktur des Interbankenmarktes analysiert, also aller Kredite, die Banken einander geben, und entdeckt, dass jeder Markt systemisches Risiko aufweist - eine typische Eigenschaft von Netzwerken, jener Gebilde, die überall zu finden sind, vom Ökosystem bis zum Finanzmarkt.

Erstmals ist es den Forschern gelungen zu berechnen, wie systemisches Risiko durch Vernetzung und Wechselwirkung entsteht und wie es sich ausbreitet. "Zentral ist: Jede noch so kleine Veränderung kann Auswirkungen bis in die letzten Seitenarme des Netzwerks haben", erklärt der Physiker.

Ein Beispiel: Eine brave Landsparkasse ohne systemische Bedeutung borgt sich bei einer Zockerbank Geld. Deren systemisches Risiko ist hoch, was heißt, ein Großteil des Systems bräche zusammen, stieße dieser Bank etwas zu. Durch den Kredit "erbt" die Kleinbank einen Teil davon. Geht sie nun bankrott, reißt sie die Zockerbank mit in den Abgrund - und mit ihr das gesamte Netzwerk. Es geht dabei also nicht darum, dass ein Kredit ausfallen könnte. Es geht um die Verknüpfung der Risiken untereinander. "Selbst winzige Rädchen können zu systemischen Katastrophen führen", betont Thurner.

Erst das Risiko jeder Bank feststellen ...

Doch wie damit umgehen? "Regulierungen wie Basel II werden dessen nicht Herr", so der Komplexitätsforscher, der auch promovierter Ökonom ist. "Man muss das Netzwerk selbst umbauen: so, dass sich das systemische Risiko gleichmäßig darin verteilt. Das verringert drastisch die Gefahr eines Dominoeffekts."

Klingt simpel, war aber lange unlösbar. Erst 2012 gelang es dem Physiker Stefano Battiston in Zürich, Banken mit hohem systemischen Risiko in einem Bankennetzwerk herauszufiltern. Thurner will das Netzwerk aber nicht nur abbilden, er will es gezielt umstrukturieren. Das, sagt er, schaffe seine Systemic Risk Tax.

Um sie zu bestimmen, wird, Schritt eins, das systemische Risiko jeder einzelnen Bank festgestellt. "Wir haben eine Maßzahl entwickelt, die angibt, wie hoch der Beitrag jeder Bank zum Gesamtschaden wäre, wenn der Finanzmarkt kollabiert." Eine Großbank könnte etwa 45 Prozent des Ausfallschadens, ein kleines Institut nur 0,2 Prozent verantworten.

... und es dann besteuern

In Schritt zwei "will man so viel Geld auf die Seite legen, dass ein solcher Schaden gedeckt wäre". Dieses Geld bringt die Systemic Risk Tax herein, deren Höhe sich am systemischen Risiko der einzelnen Finanztransaktion bemisst. Sie wird mit Thurners Algorithmus von der Zentralbank errechnet und den Kreditkosten aufgeschlagen. Eine Finanztransaktion mit hohem systemischem Risiko wird hoch, eine ohne wird gar nicht besteuert. Die dafür nötigen Daten liegen vielen Zentralbanken, denen jeder Bankkredit ab einer gewissen Höhe gemeldet werden muss, bereits vor. Die Steuer müsste zudem in den Bankbilanzen aufscheinen, eine Transparenz, die Banken zur Wahl des je billigsten - und damit risikoärmsten - Angebots zwingt.

Und genau diese Wahl setzt den gewünschten Umbau des Netzwerks in Gang: Die Banken schichten um von hohen Risiken zu niedrigen Risiken. Nicht, weil sie plötzlich Gutmenschen geworden sind, sondern weil es billiger ist. Dadurch wird das System stabiler.

Doch ist es wirklich so einfach? "Es gibt keine Welt ohne Risiko!", bezweifelt Dorothea Schäfer die Behauptung, Dominoeffekte seien dadurch nicht mehr möglich. "Die Formel", so die Finanzmarktexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, "ist aus einer Theorie heraus geboren, die in der Finanzwirtschaft erst kurz eine Rolle spielt und deren theoretische und empirische Basis noch dünn ist. Es muss erst einmal bewiesen werden, dass die Effekte tatsächlich so eintreten."

"Flugsimulator" für Zentralbanken

Thurner freilich ist überzeugt, den Beweis zu haben: Seine Gruppe entwickelte das Modell einer Zentralbank, Teil eines riesigen Simulators der Finanz- und Realwirtschaft, der unter Leitung des US-Physikers Doyne Farmer derzeit in Oxford entsteht. Ähnlich einem Flugsimulator sollen mit "Crisis" Regulationsszenarien getestet werden. Teile wie Kreditmarkt, Preisbildung oder Zentralbank sind bereits fertig. "Damit können wir Dinge rechnen, die vor fünf Jahren undenkbar waren."

Wie die Auswirkung der Finanztransaktionssteuer, die die Wiener in ihren Simulator speisten. "Die Tobin Tax verbessert nichts", berichten sie. "Das systemische Risiko schrumpft nur so viel, wie das Kreditvolumen abnimmt; die Ansteckungsgefahr bleibt gleich." Ganz anders bei Thurners Tax: "Das Risiko sackt um Größenordnungen ab", zeigt der Physiker seine Graphen. "Ausfälle - die es weiterhin geben wird, etwa wenn eine Firma bankrottgeht und ihre Hausbank mitreißt - sind keine Bedrohung mehr für das System." Auch das Kreditvolumen bleibt so hoch wie ohne Steuer. Durch die Tobin Tax sinkt es - ein unerwünschter Effekt.

Die Simulationen zeigen, dass große, risikoreiche Banken durch die neue Steuer schrumpfen, was in mancher Chefetage auf wenig Gegenliebe stoßen dürfte. Thurner plädiert deshalb für eine Übergangsphase, in der die Banken ihr Risiko umbauen könnten. Schäfer sieht hier Probleme: "Sind Großbanken betroffen, schicken die doch sofort ihre Lobbyisten los, um über die Steuer und ihre furchtbaren Konsequenzen zu reden. Abgesehen davon, dass die Formel für die Mehrheit der Entscheider nicht zu durchschauen ist, würde es das schwierig machen, Politiker davon zu überzeugen."

Aufgeschlossene Branchengrößen

Ein paar Größen der Finanzwelt, darunter George Soros oder Andy Haldane, Chefökonom der Bank of England, sind da aufgeschlossener: Sie luden die Komplexitätswissenschaftler gerade zum zweiten Mal nach London, um die Systemic Risk Tax zu diskutieren.

"Belassen wir das System, wie es ist, können wir jederzeit wieder in eine Krise schlittern", warnt Thurner und legt die neueste Studie seiner Gruppe vor: Ihr zufolge ist das systemische Risiko in manchen Ländern heute bis zu viermal höher als vor 2008. Ein Crash würde somit das Vierfache kosten. "Die Systemic Risk Tax wurde einzig dafür entwickelt, das System zu stabilisieren. Wir sollten also ein Interesse daran haben, sie großflächig einzuführen, in einem Währungsraum oder, besser, in den USA und Europa gleichzeitig." In den Augen von Thurner ist ein sicherer Finanzmarkt in greifbare Nähe gerückt.

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