Martin Blessing:"Banken dürfen Probleme nicht beim Staat abladen"

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Martin Blessing, Chef der Commerzbank, über ein neues Programm gegen die Kreditklemme - und den Staat als Schutthalde.

H. Freiberger, M. Hesse, U. Schäfer

Er kommt nicht mit der Limousine zum Interview, sondern mit dem Taxi. Er trägt einen schwarzen Rucksack, keine Aktentasche: Martin Blessing, 46, der Chef der Commerzbank, wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein typischer Banker. Dabei stammt der ehemalige McKinsey-Berater aus der Banker-Familie schlechthin in Deutschland: Sein Großvater Karl Blessing war Präsident der Bundesbank, sein Vater Werner Blessing saß im Vorstand der Deutschen Bank, seine Frau Dorothee ist Investmentbankerin bei Goldman Sachs und sein Schwager Axel Wieandt versucht als Vorstandschef die Skandalbank Hypo Real Estate zu sanieren.

"Manche Banken betreiben nichts anderes als einen Hedgefonds. Unsere Kunden wollen das nicht." (Foto: Foto: Robert Haas)

SZ: Herr Blessing, Kanzlerin Angela Merkel hat gesagt, manche Banker riskierten schon wieder "eine große Lippe". Fühlen Sie sich da angesprochen?

Martin Blessing: Ich glaube nicht, dass sie das auf mich bezogen hat.

SZ: Auf wen dann?

Blessing: Da müssen Sie die Kanzlerin schon selber fragen ...

SZ: Hinter Merkels Worten steht der Vorwurf, dass viele Banker jetzt so weitermachen wie vor der Krise. Haben die Banken nichts gelernt?

Blessing: Ich glaube, dass die Banken technisch eine Menge aus der Krise gelernt haben. Sie managen jetzt ihre Risiken und ihre Liquidität besser, auch die Vergütungssysteme werden zunehmend nachhaltig ausgerichtet. Aber es gibt noch Fragezeichen, was die Rolle der Banken in der sogenannten realen Wirtschaft betrifft: Wie bringt man das Gewinnstreben auf der einen und das Interesse der Kunden auf der anderen Seite in eine vernünftige Balance? Wie sehen tragfähige Geschäftsmodelle aus?

SZ: Ein wichtiges Fragezeichen haben Sie vergessen: die hohen Boni.

Blessing: Natürlich haben wir ein Thema, wenn ein amerikanischer Derivate-Händler von seiner Bank einen Bonus von 100 Millionen Dollar bekommt. So gut kann ein einzelner Banker, bei allem Verständnis für die Leistung des Einzelnen, nicht sein. Aber die Boni sind nicht das eigentliche Problem bei der Reform des Finanzsystems. Wichtiger ist zum Beispiel, dass die Banken künftig mehr Eigenkapital bereithalten.

SZ: Wie hoch dürfen die Boni sein?

Blessing: Die G-20-Staaten haben auf dem Weltfinanzgipfel in Pittsburgh erklärt, dass Boni künftig nach nachhaltigeren Kriterien vergeben werden sollen. Was die Staaten nicht regeln werden, ist die absolute Höhe der Vergütung, die in Extremfällen weiten Teilen der Gesellschaft nicht mehr vermittelbar ist. Das ist ein Problem.

SZ: Und wie sollte man dieses Problem lösen? Sollte der Staat die Gehälter der Banker deckeln?

Blessing: Dann müsste man alle Gehälter deckeln, auch in der Industrie. Etliche Vorstandsvorsitzende etwa von Dax-Konzernen verdienen mehr als die meisten Banker. Aber solch ein gesetzliches Limit für Gehälter passt nicht in eine Marktwirtschaft.

SZ: Was dann?

Blessing: Man könnte sehr hohe Einkommen stärker besteuern. Die andere Möglichkeit wäre, die Basis für überhöhte Gehälter zu beschneiden, also die Gewinne der Banken durch eine stärkere Regulierung zu begrenzen.

SZ: Hielten Sie eine schärfere Regulierung insgesamt für richtig?

Blessing: Ja, denn es hat eindeutig Fehlverhalten im Bankensektor gegeben, und die bestehende Regulierung hat dieses Fehlverhalten erleichtert. Schärfere Regeln werden sich natürlich auch auf die Profitabilität der Banken auswirken. Wir brauchen dabei aber für unterschiedliche Typen von Banken auch einen unterschiedlichen Härtegrad an Regulierung. Wer riskantere Geschäfte macht, muss stärker reguliert werden. So ist es ja zum Beispiel auch im Energiesektor: Dort werden Wasserkraftwerke auch anders reguliert als Atomkraftwerke.

SZ: Wenn man dem Bild folgt, wären Investmentbanken wie die Deutsche Bank also Atomkraftwerke und die Commerzbank ist ein Wasserkraftwerk?

Blessing: Nein, ich will damit nur deutlich machen, dass nicht alle Geschäfte gleich behandelt werden sollten. Hochspekulative Anlagen sind eben etwas anderes als ein Mittelstandskredit. Außerdem dürfen wir natürlich auch Wasserkraftwerke nicht unreguliert lassen, um im Bild zu bleiben. Auch da muss man darauf achten, wie hoch und wie dicht die Dämme sind. Man muss überall genau hinschauen, wo Gefahren drohen.

SZ: Und wo sehen Sie diese Gefahren?

Blessing: Ein Problem zum Beispiel ist, dass Anlagen im Handelsbuch von Banken mit vergleichsweise wenig Kapital unterlegt werden müssen. Für eine Bank ist es daher sinnvoll, einen Kredit im Handelsbuch zu halten - mit dem Ziel, ihn irgendwann zu verkaufen. So kann die Bank Vorteile aus den Vorgaben der Finanzaufsicht ziehen.

SZ: Nicht jeder Banker fordert als Antwort auf die Krise einen stärkeren Staat. Es gibt auch viele in Ihrer Branche, die sagen, die Banken wüssten selber am besten, was zu tun sei. Kann solch eine Selbstbeschränkung funktionieren?

Blessing: Ich bin skeptisch, ob eine Branche, die sich ja im Wettbewerb befindet und in der jeder eigene Interessen verfolgt, eine Selbstbeschränkung hinbekommt, die dem Einzelnen weh tut. Wir würden ja auch nicht erlauben, dass die Betreiber von Atomkraftwerken über ihre eigene Regulierung entscheiden. Das muss schon der Staat machen.

SZ: Wenn es nach Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann geht, soll der Staat etwas anderes machen und gemeinsam mit den Banken einen Notfallfonds finanzieren, der marode Banken auffangen und abwickeln soll. Eine gute Idee?

Blessing: Ich kenne die Details nicht. Unabhängig davon brauchen wir ein Instrumentarium, um künftig ähnliche Probleme, wie sie bei der Hypo Real Estate oder der WestLB aufgetreten sind, besser lösen zu können. Dazu müsste man auch das Insolvenzrecht ändern.

SZ: Müsste man nicht auch die Größe von Banken beschränken, um die Schäden bei einer Pleite zu reduzieren?

Blessing: Das geht an der Realität in unserer Branche vorbei. Wir brauchen große Banken, um die großen Unternehmen in unserem Land mit Krediten zu versorgen. Das können kleine Banken nicht. Zu glauben, wir hätten das beste System der Welt, wenn wir die Finanzierung unserer Unternehmen komplett über kleine Sparkassen und Volksbanken abwickeln, ist naiv.

SZ: Aber man könnte das Investmentbanking vom Kredit- und Einlagengeschäft trennen, wie es in den USA nach der Wirtschaftskrise in den 30er Jahren geschehen ist und bis 1999 Gesetz war.

Blessing: Das ist heute schwieriger. Wenn eine Bank einem Unternehmen einen Kredit anbietet, aber nicht auch eine Anleihe dieses Unternehmens am Kapitalmarkt platzieren kann, wird dies den heutigen Anforderungen der Firmen nicht gerecht. Anders verhält es sich mit dem sogenannten Eigenhandel, also dem eher spekulativen Geschäft. Manche Banken betreiben da ja nichts anderes als einen Hedgefonds, deshalb sollte man diesen Teil des Investmentbanking auch angemessen mit Kapital unterlegen. Natürlich wird dann ein Teil des Geschäfts von den Banken zu den Hedgefonds abwandern - aber da gehört es ja auch hin.

SZ: Im Investmentbanking werden wieder Milliarden verdient, während die Commerzbank auf ihren Kreditrisiken sitzt. Haben Sie das Investmentbanking im falschen Moment heruntergefahren?

Blessing: Wir haben vor allem den Eigenhandel runtergefahren, wir sind kein Hedgefonds. Ich glaube, auch unsere Kunden und Aktionäre wollen das nicht. Sonst müssten sie zu Banken gehen, die dieses Geschäftsmodell anbieten. Als Privat- und Firmenkundenbank machen wir uns unglaubwürdig, wenn wir aufgrund einer günstigen Marktsituation jedem Gewinntopf hinterherlaufen.

SZ: Die Commerzbank hat von der EU gleichwohl die Auflage, auf die Hälfte zu schrumpfen. Andere wie die Deutsche Bank können weiter zukaufen. Können Sie da im Wettbewerb noch mithalten?

Blessing: Wir haben schon bei der Bekanntgabe der Dresdner-Bank-Übernahme im Herbst 2008 angekündigt, dass wir die Bilanzsumme von 1,1 Billionen auf 800 Milliarden Euro reduzieren. Der einzige Unterschied ist jetzt, dass wir die Eurohypo abgeben müssen. Dort ist die Bilanzsumme hoch, aber die Gewinnmargen sind eher niedrig.

SZ: Sie sind offenbar nicht traurig, dass Sie die Eurohypo wieder loswerden, keine vier Jahre, nachdem Sie diese übernommen haben.

Blessing: Die Auflagen der EU-Kommission sind hart, aber akzeptabel.

SZ: Das eine sind die EU-Auflagen, das andere ist die Beteiligung des Bundes. Wie sehr nimmt die Regierung Einfluss?

Blessing: Der Bund hat Informationsrechte wie jeder Aktionär. Er hält 25 Prozent. Wir müssen im Interesse aller Aktionäre arbeiten, das ist auch der Regierung klar. Der Vorstand führt die Geschäfte, daran ändert sich nichts.

SZ: Wenn der Staat ein so angenehmer Aktionär ist, mussten Sie sich also auch nicht schämen, Staatshilfe in Anspruch zu nehmen?

Blessing: Die Frage hat sich nie gestellt. Wir Banken waren in einer schwierigen Situation und sind es noch. Die Alternative für uns wäre eine massive Einschränkung der Kreditvergabe gewesen.

SZ: Politiker warnen immer lauter vor einer Kreditklemme, an diesem Mittwoch findet dazu ein Gipfel bei Bundeskanzlerin Angela Merkel statt. Verstehen Sie die Sorgen der Politik?

Blessing: Wir sehen aktuell noch keine Kreditklemme. Aber die Gefahr wächst in den nächsten Monaten. Im Abschwung brauchen viele Unternehmen weniger Kredite, weil sie erst einmal ihre Lagerbestände herunterfahren. Doch bald muss der Aufschwung finanziert werden. Und gerade in dieser Situation, also etwa ab Februar nächsten Jahres, werden viele Unternehmen für 2009 schlechte Ergebnisse vorlegen. Dadurch sinkt ihr Rating. Das müssen die Banken berücksichtigen und dadurch werden sie bei der Kreditvergabe eingeschränkt.

SZ: Was tut die Commerzbank gegen die Kreditklemme?

Blessing: Wir werden bei der Kreditvergabe künftig die mittelfristigen Aussichten einer Firma stärker berücksichtigen. Selbst wenn ihre Lage 2009 und 2010 noch schwierig ist, sie aber grundsätzlich eine positive Perspektive hat, können wir dann einen Kredit geben. Wir blicken also nicht nur in den Rückspiegel und auf die Gegenwart, sondern schalten das Fernlicht ein, damit wir auch in schwierigen Zeiten aussichtsreichen Firmen Kredite gewähren können.

SZ: Heißt das, dass Sie mal ein Auge zudrücken und mehr Kredit geben?

Blessing: Wir werden ab Januar das Kreditangebot für Firmen mit 2,5 bis 500 Millionen Euro Umsatz um fünf Milliarden Euro erhöhen. Mit diesem zusätzlichen Plafond werden wir als Marktführer unserer besonderen Verantwortung für den Mittelstand gerecht. Das kann allerdings nicht heißen, dass jeder Kunde jeden Finanzierungswunsch erfüllt bekommt. Es gibt etwa bei den Automobilfirmen und ihren Zulieferern weltweit Überkapazitäten, leider werden hier nicht alle Firmen überleben. Aber Unternehmen, die gute Chancen haben, dürfen nicht durch einen Liquiditätsengpass in Schwierigkeiten geraten.

SZ: War Ihr neues Kreditprogramm ein Wunsch von Frau Merkel?

Blessing: Das braucht sich niemand von uns zu wünschen, denn die Commerzbank lebt, anders als manche andere Bank in Deutschland, sehr stark vom Kundengeschäft. Zusätzlich schaffen wir ab Januar die Position eines Sonderbeauftragten für Mittelstandskredite, der in strittigen Fällen vermittelt. Dieser Sonderbeauftragte wird direkt an den Vorstand berichten und mit einem eigenen Team noch mal draufschauen, wenn ein Unternehmen, das einen Kredit nicht bekommen hat, dies wünscht.

SZ: Die Regierung erwägt, den Banken Kreditbündel abzukaufen, also sie zu verbriefen, um die Bankbilanzen zu entlasten. Würde Ihnen das helfen?

Blessing: Ich weiß nicht, ob es diese Pläne gibt. Der Markt für Verbriefungen ist vor zwölf Monaten praktisch zusammengebrochen und existiert nicht mehr. Wenn wir diesen Markt wieder öffnen könnten, dann würde das den Banken zusätzlichen Spielraum geben. Aber es darf nicht sein, dass Banken unter dem Deckmäntelchen der Verbriefung ihre Problemkredite beim Staat abladen.

SZ: Aus diesem Grund könnte man auch zu dem Schluss kommen, Verbriefungen ganz zu verbieten. Verbriefungen waren Teil des Schattenbanksystems, das die Krise mitverursacht hat. Sollten die Banken ihre Kredite also nicht lieber in der Bilanz behalten?

Blessing: Natürlich ist es problematisch, wenn Banken Kredite komplett an Investoren weiterverkaufen können, kaum dass sie vergeben wurden. Das führt dazu, dass sie viel zu wenig auf die Risiken achten. Deshalb sollten sie zumindest einen Teil dieser Kredite in ihren Büchern behalten.

SZ: Wie hoch sollte dieser Anteil sein?

Blessing: Die G-20-Staaten haben einen Selbstbehalt von fünf Prozent beschlossen. Besser wären zehn oder 20 Prozent gewesen. Ein Selbstbehalt von 100 Prozent wäre aber zu viel. Denn wenn eine Bank, die einen Großkredit initiiert, die Risiken voll auf den Büchern behalten muss, kommen diese Kredite erst gar nicht zustande. Und darunter würden vor allem große Unternehmen leiden.

© SZ vom 02.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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