Margot Käßmann:"Kirchen sind für die Menschen da"

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(Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Die evangelisch-lutherische Theologin und Pfarrerin über Umnutzung und Abriss von Gotteshäusern.

Interview von Sabine Richter

SZ: Zu allen Zeiten wurden Kirchengebäude umgenutzt. Die jüngste Welle scheint sich von früheren Epochen zu unterscheiden. Nimmt das Thema Tempo auf?

Margot Käßmann: In der Tat, solche Phasen hat es immer gegeben. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es beispielsweise einen großen Schub an Kirchbauten, weil viele Flüchtlinge in eine konfessionelle Minderheitensituation kamen und ein eigenes Gotteshaus für sich wünschten. Viele dieser Kirchen werden heute nicht mehr gebraucht, das sehe ich an der Kirche, in der ich konfirmiert wurde - sie ist jetzt ein Jugendzentrum. Beunruhigend ist nicht die Frage der Gebäude, sondern die Abnahme christlicher Verbundenheit und dass Familien unseren Glauben nicht mehr weitergeben an die nachwachsende Generation.

Wohnungen, Restaurant, Altenheim, Bibliothek oder Kindergarten . . . Die Nutzungsmöglichkeiten kennen anscheinend keine Grenzen. Wo liegen diese für Sie?

Wir haben gewisse Grundregeln aufgestellt. Wenn ein Gebäudeverkauf ansteht, dann eher das Pfarrhaus als die Kirche. Wenn die Kirche nicht mehr benötigt wird, ist eine Umwidmung, die dem Ursprung nicht krass entgegensteht, etwa in ein Kulturzentrum zu bevorzugen. Es tut einer Gemeinde ja sehr weh, ihr Gotteshaus aufzugeben, in dem sie gebetet und getrauert hat, in dem Kinder getauft und Paare getraut wurden. Ich habe in Hannover eine Umwandlung in eine Synagoge erlebt, auch das war ein schmerzhafter Prozess für die Gemeinde, aber in vielen Gesprächen ist es gelungen, das zu einer wirklich guten Umwidmung werden zu lassen. Als die Thorarollen hineingetragen wurden, war das auch ein Glücksmoment. Ich muss sagen, dass es mir weiterhin schwerfällt, wenn eine Kirche zum Restaurant wird.

Wäre die Umwandlung in eine Moschee für Sie akzeptabel?

Moschee-Gemeinden haben in der Regel ebenso Probleme damit, eine Kirche zu übernehmen, wie Kirchengemeinden, ihre Kirche als Moschee freizugeben. So etwas braucht behutsame Gespräche und ist nicht generell zu entscheiden.

Würden Sie im Extremfall eher den Abriss befürworten? Immerhin sucht jeder zweite Deutsche als Lieblingsort eine Kirche auf.

Es kommt doch sehr auf das Gebäude an! Eine historische Kirche aus dem 13. Jahrhundert ist etwas anderes als ein Zweckbau aus dem 20. Wir haben in Hannover beispielsweise eine Kirche zum Abriss freigegeben, dort entstand dann sozialer Wohnungsbau, ganz im Konsens mit der Gemeinde.

Fast die Hälfte der über 3500 von der Stiftung Denkmalschutz geförderten Bauwerke sind Kirchen. Reduziert nicht jeder Eingriff den Denkmalwert?

Nun, Kirchen sind für die Menschen da. Manchmal wird das bei der Denkmalpflege vergessen. Ich denke an Kirchen, die schlicht zu groß geworden sind. Wenn die Gemeinde dann einen Sakralteil abtrennt und den Rest als Begegnungsraum, Kita oder Café nutzt, ist das doch gut.

Wo sehen Sie Wege zur Rettung von Kirchen, sollten sie sich zum Beispiel stärker dem Stadtteil öffnen?

Es gibt ja klare Kriterien, erst andere Gebäude zu veräußern und zuallerletzt die Gottesdiensträume. Und längst gibt es vielfältige kreative Umnutzungen oder auch Mitnutzungen, etwa als Kulturzentren, interreligiöse Begegnungsorte, Ausstellungsräume und anderes mehr. Es geht aber auch darum, dass Menschen Kirchen nicht nur als Gebäude von historischem Interesse ansehen, sondern wieder Freude daran finden, sie zu nutzen als Orte, die für Gotteslob, Gottesdienst, Gesang, Gebet und Verkündigung genutzt werden. Das ist doch der Kern. Kirchen sind zuallererst durchbetete Räume, und das ist ihnen abzuspüren, finde ich.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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