Lohn-Zuschläge für Leiharbeiter:Gleicher als gleich

Von heute an bekommen Leiharbeiter mehr Geld: In einigen Branchen werden bei längerer Betriebszugehörigkeit Zuschläge bezahlt. Das ist ein Erfolg der Gewerkschaften in ihrem Kampf, das Lohngefälle zwischen Leiharbeitern und Stammbelegschaften zu verringern. Doch nicht alle profitieren davon.

Sibylle Haas und Thomas Öchsner

Seit dem heutigen 1. November ist es soweit. Eine zentrale Forderung der Gewerkschaften wird zumindest teilweise Wirklichkeit: die bessere Bezahlung von Leiharbeitnehmern. Erstmals in der deutschen Tarifgeschichte bekommen sie in einigen Branchen einen Zuschlag, wenn sie länger als sechs Wochen in ein und demselben Betrieb arbeiten. Damit verkleinert sich die Verdienstlücke zwischen Stammbelegschaften und Leiharbeitnehmern in einer bestimmten Firma.

Ihr Ziel haben die Gewerkschaften allerdings nicht ganz erreicht. Denn ursprünglich wollten sie eine sogenannte Equal-Pay-Lösung erreichen und damit durchsetzen, dass Leiharbeiter und Festangestellte eines bestimmten Betriebs grundsätzlich gleich behandelt werden. Zunächst schloss auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eine gesetzliche Regelung nicht aus. Doch nach dem Veto der Liberalen und der Arbeitgeberverbände rückte sie davon ab und kündigte an, auf ein Gesetz zu verzichten, wenn sich Gewerkschaften und Arbeitgeber eigenständig einigen.

Im Mai hatten sich die Arbeitgeberverbände der Zeitarbeit zunächst mit der IG Metall auf die tariflichen Zuschläge verständigt. Später kamen ähnliche Regelungen mit der IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) sowie mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hinzu. Damit könnte Schätzungen zufolge gut die Hälfte der etwa 850 000 Zeitarbeitnehmer in Deutschland in den Genuss eines Branchenzuschlags kommen.

Die Zuschläge sind zeitlich gestaffelt. Je nach Dauer ihres Einsatzes können Leiharbeiter bis zu 50 Prozent mehr Lohn erhalten. Ein Leiharbeitnehmer etwa, der in der Lohngruppe 1 des Tarifvertrags für die Zeitarbeit eingruppiert ist, erhält einen Stundenlohn von 8,19 Euro. Nach neun Monaten Arbeit in einem Chemiebetrieb bekommt er einen Zuschlag von 50 Prozent und erreicht damit einen Stundenlohn von 12,29 Euro. Ein vergleichbarer Arbeiter, der etwa in einer hessischen Chemiefirma angestellt ist, bekommt einen Tariflohn von 13,39 Euro.

Wenigstens ein bisschen Gleichheit

"Das enorme Entgeltgefälle zwischen Stammbelegschaften und Leiharbeitnehmern wird ein kräftiges Stück abgetragen", sagt Peter Hausmann, Tarifpolitiker der IG BCE. Seine Kollegin von der IG Metall, die Tarifexpertin Helga Schwitzer, ist sicher, dass Firmen mit den Zuschlägen kein Problem haben, wenn sie Leiharbeit aus Gründen der Flexibilität einsetzen, etwa um Auftragsspitzen abzufangen. "Das Geschäftsmodell Lohndumping darf sich nicht mehr lohnen", betont Schwitzer.

Mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gibt es dagegen noch keine Einigung. "Die einfachste und gerechteste Lösung wäre eine Equal-Pay-Regelung vom ersten Tag an", sagt ein Verdi-Sprecher. Anders als in der Metall- oder der Chemieindustrie seien im Dienstleistungsbereich die Leiharbeitnehmer im Schnitt höchstens drei Monate im Entleihbetrieb eingesetzt. Gerade im Handel, bei Logistik- und Speditionsfirmen sowie im Gesundheitsbereich seien die Entleihzeiten kurz.

Manchmal handele es sich nur um wenige Tage. "Es ist für uns nicht vorstellbar, einen Branchenzuschlag zu tarifieren, von dem die Mehrheit der betroffenen Leiharbeitsbeschäftigten nicht profitieren würde", so der Sprecher. Verdi prüfe andere Möglichkeiten: So könnten die Zuschläge an die zeitliche Zugehörigkeit eines Leiharbeiters an die Zeitarbeitsfirma gekoppelt werden. Nicht nur im Dienstleistungsbereich, auch in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, in der Leiharbeit viel stärker verbreitet ist, gibt es noch keine Lösung.

Arbeitsrechtler Jörg Hennig ist mit den Branchenzuschläge auch nicht zufrieden. Er meint sogar, dass sie das Lohngefälle unter den Zeitarbeitnehmern deutlich vergrößern werden. Denn während ein Metallhelfer nach neun Monaten 50 Prozent mehr Lohn bekomme, gehe ein Helfer in der Lebensmittelbranche noch leer aus. "Der Lohn hängt also häufig vom Zufall ab, in welcher Branche man eingesetzt wird", sagt Hennig, der sich auf die Leiharbeit spezialisiert hat und Zeitarbeitsfirmen vertritt. Für diese werde die Berechnung der Gehälter nun sehr kompliziert, weil sie für jeden Zeitarbeitnehmer individuell ausrechnen müssten, was er bei seinem Einsatz verdient. "Eine einheitliche Equal-Pay-Regelung wäre da definitiv sinnvoller", sagt Hennig.

Ob es für die Leiharbeiter ein Gesetz geben wird, das ihre Bezahlung im Vergleich zu Stammarbeitskräften verbessert, ist nach wie vor offen. Die großen Zeitarbeitsverbände BAP und IGZ setzen alles daran, die Branchenzuschläge auf andere Branchen auszuweiten. Sie wollen auf jeden Fall verhindern, dass die Bundesregierung die Leiharbeit stärker reguliert. Bundesarbeitsministerin von der Leyen setzt darauf, dass sich die Tarifpartner einig werden. Sie hat ihnen bis November Zeit gegeben.

Das wird knapp. DGB-Chef Michael Sommer weist darauf hin, dass viele Leiharbeiter nach wie vor von den Zuschlägen nicht profitieren, weil es in ihren Branchen noch keine Tarifverträge für gleiche Bezahlung gibt. Er fordert auch, per Gesetz eine Höchstdauer vorzuschreiben, bis zu der ein Betrieb Leiharbeiter ununterbrochen einsetzen darf.

Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, betont indessen, dass schon jetzt in den meisten Lohngruppen der Leiharbeit bereits mehr als zehn Euro Stundenlohn gezahlt werde. "Wir brauchen deshalb kein Gesetz", sagt er und stellt die Frage: "Was soll der Gesetzgeber besser wissen als die Tarifparteien?"

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