Lösegeld-Policen:Einer wird bezahlen

Die Verträge sind streng geheim: Mögliche Entführungsopfer können Lösegeld-Policen abschließen. Wissen darf das keiner, sonst steigt das Risiko weiter - ein Geschäft mit der Angst.

T. Fromm und L. Ross

Das Büro von André Körner ist ein Büro wie jedes andere. Wäre da nicht dieser große Tresor gleich neben dem Schreibtisch. Manchmal öffnet der Allianz-Manager die schwere Türe des Stahlschranks, holt einen Versicherungsvertrag heraus und verriegelt den Tresor gleich wieder.

Robert Redfort, dpa

In dem Film "Anatomie einer Entführung" aus dem Jahre 2004 wird Wayne Hayes alias Robert Redford (links) von seinem Entführer (Willem Dafoe) in einen Wald getrieben.

(Foto: Foto: dpa)

Denn was hier lagert, ist streng geheim. Es geht um besondere Policen: um Versicherungen gegen Erpressungen und Entführungen. Wer einen dieser raren Verträge unterschrieben hat, bekommt im Falle einer Entführung das Lösegeld erstattet. Oder die Erpressungssumme. Und vor allem: Er wird ärztlich betreut.

"Verschwiegenheit ist hier Gesetz", erklärt André Körner. "Nur vier bis fünf Personen in der Allianz sind über die Verträge informiert." Körner will nicht einmal sagen, wie viele Policen es genau sind.

Selbst die Versicherer schweigen

Nur so viel: In seinem Tresor und einigen anderen Stahlschränken lagern einige hundert Policen. Verträge, für die die Kunden zwischen 2000 und 20.000 Euro im Jahr bezahlen. Je nach Risiko, je nach Deckungssumme.

Es ist ein seltsames Geschäft, und auch die Versicherer selbst, die sonst gerne über ihre Angebote reden, werden schweigsam, wenn es um diese Sondersparte geht. Bis Juni 1998 waren Lösegeldversicherungen hierzulande verboten. Man befürchtete, dass Versicherte mit hohen Deckungssummen erst recht zu Entführungsopfern würden.

Wirklich gebracht habe das Verbot nie etwas, sagt Körner. Wer wollte, habe sich am Londoner Broker-Markt eine solche Police besorgen können. Denn in den USA und Großbritannien gab es kein Verbot, und so haben die Versicherungskonzerne AIG und Lloyd's schon seit jeher sogenannte "Kidnapping & Ransom"(K&R) -Deckungen im Portfolio.

Das Geschäft, das früher auf dem Index stand, über das heute nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird und dessen Verträge im Tresor aufbewahrt werden, könnte bald boomen. Immer mehr Leute verreisen in Risiko-Länder in Afrika, im Nahen Osten und in Südamerika.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum mit der Wirtschaftskrise die Gefahr steigt.

Der Preis der Teil-Sicherheit

Und auch in Deutschland steigt die Kriminalität an - vor allem in diesen Zeiten. "Erfahrungsgemäß folgt einer Wirtschaftskrise eine Zunahme der Kriminalität", sagt Körner. "Wenn es Entlassungen gibt, muss man auch mit Kurzschlusshandlungen rechnen."

Wut auf zockende Banker, Ärger über gefallene Manager, die Millionenabfindungen einstreichen - die Kluft in der Gesellschaft vergrößert sich. Und mehr Menschen als früher fühlen sich bedroht.

Die Auflagen für die Versicherer sind groß. Es darf nicht gezielt für die Lösegeldversicherung geworben werden. Meist kämen die Kunden ohnehin von sich aus auf ihn zu, sagt Körner. "Der Kunde hat sich schon im Vorfeld Gedanken gemacht, und wir müssen nicht erst Interesse wecken."

Zudem dürfen die Policen für das Spezialprodukt nur für eine Laufzeit von einem Jahr abgeschlossen werden. Bevor es zu einem Abschluss kommt, wird der Kunde zu einer professionellen Krisenmanagementberatung geschickt. Er soll über sein Leben berichten. Über seine Alltagsrituale, die großen und die kleinen, den Weg zur Arbeit. Und über seine Freunde und Feinde.

Am Ende kommt es dann zu einer komplexen Preiskalkulation, in die bis zu 20 Kriterien einfließen. Zum Beispiel die Frage, wohin die Versicherten reisen. Oder wie viele Mitarbeiter versichert werden sollen. Eine Frage, die man sich immer stelle, so Körner, sei diese: "Stehen die Personen jeden Tag auf der Titelseite von Bild und Gala?"

Vor allem muss ein Unternehmen auch gewisse Sicherheitsvorkehrungen nachweisen. Ansonsten lehnt die Allianz auch schon mal einen Kunden ab. Ebenso fließt in die Berechnung ein, wie hoch die Deckungssumme sein soll. Bei der Allianz rät man zu mindestens einer Million Euro.

Das Geschäft mit der Absicherung gegen Entführungen ist nach wie vor eine Nischenangelegenheit. "Lösegeldversicherung ist ein hochspezielles Geschäft, das nicht in erster Linie preisgetrieben ist", erklärt Versicherungsexperte Körner.

Neben der Allianz gibt es nur zwei weitere deutsche Wettbewerber, die in diesem Feld aktiv sind. Zum einen die Europäische Reiseversicherung (ERV) aus dem Ergo-Konzern, die in Kooperation mit PIA-Nassau Europe eine "Kidnapping & Ransom"-Versicherung anbietet.

Marktführer unter den drei Anbietern hierzulande ist HDI-Gerling. Die Tochter des Talanx-Konzerns kann in diesem Spezialbereich einen Kundenbestand im oberen Hunderterbereich vorweisen. Nachfrage nach dieser Spezial-Versicherung besteht vor allem bei europäischen und deutschen Mittelständlern.

Sie machen 60 Prozent des Kundenstammes von Lösegeldversicherungen bei der Allianz aus. 15 Prozent sind internationale Unternehmen, der Rest Privatpersonen und Familien.

Express-Kidnapping in Mexiko

Eine Seltenheit sind Erpressungen und Entführungen nicht. Im vergangenen Jahr registrierte das Bundeskriminalamt in Deutschland insgesamt 5200 Erpressungsfälle. Dazu kommen die Risiken bei Auslandsreisen.

In Mexiko etwa, weiß Körner, hat sich seit einigen Jahren eine ganz spezielle Art von Entführungen entwickelt: Das sogenannte Express-Kidnapping, bei dem Ausländer am späten Abend überfallen und zu einem Bargeldautomaten verschleppt werden. Dort zwingt man sie zum Abheben der maximal möglichen Geldsumme.

Danach werden die Personen bis Mitternacht festgehalten, kurz nach 24 Uhr geht es zurück zum Automaten, um einen weiteren Tagessatz abzuheben. Im Allgemeinen seien Entführungen aber von langer Hand geplant, meist über zwei Jahre. Körner rät: "Wichtig ist es deshalb, als gefährdete Person keine zu regelmäßigen Abläufe im Alltag zu haben."

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