Liechtensteins Staatsfeind Heinrich Kieber:Henry, das gefährliche Heimkind

"Ein notorischer Hochstapler und verurteilter Verbrecher": Heinrich Kieber gilt als Liechtensteins Staatsfeind Nummer eins, seit er Daten von Steuersündern für Millionen verkauft hat. Eine Biographie will ihn nun als gestörte Persönlichkeit entlarven.

Uwe Ritzer

Als Heinrich Kieber freudestrahlend seinem Onkel Guntram erzählt, dass er neuerdings bei der Liechtensteiner Fürstenbank LGT arbeitet, will der ihm nicht glauben. "So blöd können doch nicht einmal die sein, dass sie dich einstellen", antwortet er dem Neffen unverblümt.

LIECHTENSTEIN-GERMANY-TAX-FRAUD-WARRANT

Er hat Hunderte Steuersünder verraten und dafür Millionen kassiert: Henry Kieber hat in der Steueroase Liechtenstein für große Aufregung gesorgt und beschäftigt seither Geheimdienste und Behörden weltweit.

(Foto: AFP)

Es ist das Jahr 1999 und Onkel Guntram, ein kleiner Lebensmittelhändler, scheint zu ahnen, dass sich da etwas zusammenbraut. Etwas Beispielloses. Neun Jahre später wird Heinrich Kieber einen spektakulären Steuerskandal lostreten, der in der Steueroase Liechtenstein für große Aufregung sorgt und fortan Geheimdienste und Behörden weltweit beschäftigt. Kieber verrät Hunderte Steuersünder und kassiert dafür Millionen. Nachahmungstätern dient er bis heute als Vorbild. Zuhause in Liechtenstein ist er der verhasste Staatsfeind Nummer eins, der das Bankgeheimnis aufweichte.

"Ausgewiesener Lügner und Hochstapler"

Einen "an Sprechdurchfall leidenden Zappelphilipp", nennt ihn Sigvard Wohlwend. Es gibt wohl niemanden, der mehr über Heinrich Kieber weiß, als der Liechtensteiner Journalist Wohlwend. Drei Jahre hat er Kiebers Leben recherchiert, mit mehr als 100 Menschen in gut einem Dutzend Ländern gesprochen und unzählige Briefe, E-Mails und andere Dokumente ausgewertet. Nur mit Kieber selbst konnte er nicht sprechen. Der ist mit falscher Identität untergetaucht. Spuren führen in die USA und in australische Ferienparadiese, wo er im Sommer 2011 seiner Enttarnung gerade noch entgehen konnte. 2010 hat Wohlwend mit seinem Kollegen Sebastian Frommelt einen Dokumentarfilm über ihn veröffentlicht, auf den nun die Biografie aufsetzt: "Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal der Geschichte auslöste."

Kieber sei "ein ausgewiesener Lügner und Hochstapler", schreibt Wohlwend in seinem spannend erzählten Buch, "ein notorischer Hochstapler und verurteilter Verbrecher." Kein Held, sondern ein Manipulator, der es meisterhaft verstünde, Legenden um sich zu schmieden, Tatsachen mit Fiktion zu vermischen, sich knapp an der Wahrheit entlang zu hangeln und von eigenem Fehlverhalten abzulenken, wenn es denn seinem Vorteil dient.

Vordergründig klingt das harte Urteil danach, als würde sich der Liechtensteiner Autor opportunistisch einreihen in die Wagenburg, zu der sich viele der 35 000 Einwohner des alpinen Fürstentums seit dem 14. Februar 2008 zusammengerottet haben, um ihren Finanzplatz gegen das böse Ausland zu verteidigen. An besagtem Donnerstag feierte Landesfürst Hans-Adam II. in Vaduz seinen 63. Geburtstag, während in Köln Staatsanwälte, Polizisten und Steuerfahnder in der Villa des damaligem Deutsche-Post-Chefs Klaus Zumwinkel anrückten.

Sein Name war der prominenteste auf einer CD mit Daten deutscher LGT-Kunden, die Kieber für 4,6 Millionen Euro dem Bundesnachrichtendienst verkauft hatte. Zumwinkel trat zurück; ein Gericht verurteilte ihn später zu zwei Jahren auf Bewährung und eine Million Euro Strafe.

Mehr als schillernd

Heinrich Kieber ging es nie um Zumwinkel. Auch nicht um die vielen hundert anderen Deutschen, Franzosen, Briten, Amerikaner, Australier, Dänen oder Italiener, die durch seinen Datenklau aufflogen. Davon ist Buchautor Wohlwend überzeugt. Heinrich Kieber ging es immer um Heinrich Kieber. "Henry", das Heimkind, von der Mutter verlassen und vom Vater vergessen. Schützling der Landesfürstin Gina, der Mutter von Hans-Adam. Vagabund, der als junger Kerl mit dem Moped nach Spanien düste, sich als Spross der milliardenschweren Liechtensteiner Industriellenfamilie Hilti ausgab und standesgemäß auf einem teuren Internat landete.

Akribisch zeichnet Sigvard Wohlwend die oft hektischen Reisen des erwachsenen Kieber nach, der sich mit Bindungen aller Art schwer tut. Und der kriminelle Energie entfaltet. Mal klaut er Geld, mal bleibt er es schuldig, mal betrügt er die Autoversicherung, mal haut er bei Immobiliengeschäften Freunde über's Ohr. Ihn nur schillernd zu nennen, griffe wohl zu kurz. Wohlwend zitiert einen Kriminalpsychologen, der ihn für eine zutiefst gestörte Persönlichkeit hält. Heinrich Kieber - durchgeknallt?

Eine Entführung in Argentinien wird sein großes Trauma. Zwielichtige Gestalten, denen er Geld schuldet, locken ihn in die Falle, entführen und sperren ihn ein. Er entkommt ihnen raffiniert - und legt sie ein zweites Mal herein. Zurück in Liechtenstein will die Justiz dem Fall nicht nachgehen. Da kommen ihm die Jahre zuvor gesammelten LGT-Kundendaten recht. Als Leiharbeiter und später als fest angestellter LGT-Mitarbeiter hat er sie gestohlen. Nun erpresst er damit den Fürsten und seine Bank und droht mit dem Verkauf nach Deutschland.

In dem Zusammenhang schildert Wohlwend den Monarchen Hans-Adam II. als relativ skrupellos, wenn es um seine eigenen Vorteile geht. Der mit Untertanen und Gegnern nicht zimperlich umgeht, das Rechtssystem ungeniert für seine Interessen nutzt und verbal aufdreht, wenn ihm jemand in die Quere kommt. An solchen Stellen wird aus der spannenden Biografie eine Beschreibung des Nährbodens, auf dem einer wie Kieber prächtig gedeihen konnte.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: