Licht:Wider die Dunkelheit

Skyline Frankfurt

Hell erleuchtet: Die Skyline von Frankfurt.

(Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Beleuchtete Städte waren früher ein Luxus. Heute ist Licht eine Selbstverständlichkeit. Eine kleine Kulturgeschichte.

Von Oliver Herwig

Winterzeit ist Kerzenzeit, wir kuscheln uns mit lieben Menschen und einem Glas Glühwein ans domestizierte Feuer. Doch nicht überall in Europa gilt die Gleichung: Temperaturen runter, Kerzenverbrauch rauf. Die Dänen verbrauchen 4,3 Kilogramm Kerzen pro Jahr und Kopf. Das entspricht rund 500 Stunden Kerzenschein bei unserem nördlichen Nachbarn. Hygge-Rekord! Mediterrane Länder wie Spanien, Italien, Frankreich und Griechenland verbrauchen kaum ein Viertel davon. Deutschland liegt gerade so im oberen Mittelfeld. Erstaunlich, dabei leidet ein Viertel der Bundesbürger unter SAD, der Seasonal Affective Disorder, dem Winterblues. Antriebslosigkeit und Stimmungsschwankungen haben einen Grund. Es fehlt an Licht, das den sogenannten circadianen Rhythmus des Körpers steuert. Da helfen keine Kerzen, da muss eine veritable Tageslichtleuchte her.

Was heute selbstverständlich zu sein scheint, mal das Licht anzuknipsen, war die längste Zeit eher ein Problem. Je tiefer wir in der Kulturgeschichte zurückgehen, desto düsterer wird es: Licht ist und bleibt der beste Indikator für Zivilisation. Und da sah es Jahrtausende trübe aus. Stockfinster sogar. Europa war noch in der frühen Neuzeit gebunden an den natürlichen Rhythmus von Tag und Nacht. Nach Sonnenuntergang patrouillierten Nachtwächter durch stockdunkle Gassen, und hinter Butzenscheiben qualmten rußende Talgkerzen, Öllampen oder glühten Kienspäne, die hellsten Hölzer des Herdfeuers. Licht war Luxus.

Erst Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu einer kleinen Revolution in der Beleuchtungstechnik. 1783 stellte der Erfinder Aimé Argand den nach ihm benannten Brenner vor, der einen röhrenförmigen Docht durch einen Glaszylinder führte. Die unten offene Öllampe nutzte den Kamineffekt und entwickelte kaum mehr Rauch, da der Docht bei höherer Temperatur vollständig verbrannte. Zeitgenossen schwärmen vom "außerordentlich hellen, lebhaften, ja beinahe gleißenden Licht". Fast 100 Jahre blieben weiterentwickelte Argandlampen ein unersetzlicher Bestandteil des Haushalts. Parallel entwickelte die Industrie die Gasbeleuchtung. Das "Leuchtgas" entstand bei der Verkoksung von Steinkohle. Es dauerte nicht lange, bis das einstige Abfallprodukt ganze Städte mit Gas versorgte, allerdings mussten findige Unternehmer dafür erst ein Leitungsnetz installieren und ständig warten.

In Theatern klagten Besucher über Kopfweh. Schwefel und Ammoniak griffen Tapeten an

Ganz vorne dabei: London. 1814 gab es dort einen einzigen Gasometer, acht Jahre später teilten sich vier Gesellschaften das Geschäft mit 200 Meilen Hauptleitungen und 47 Gasometern, die zusammen eine Million Kubikfuß fassten. Gas war der überlegene Leuchtstoff, Zeitzeugen beschrieben das Gaslicht als "blendend weiß" oder als "künstliche Sonne". Es hatte nur einen Nachteil - sah man von Explosionen oder Vergiftungen einmal ab: Gaslicht entzog dem Raum Sauerstoff. In Theatern, die die neue Technik besonders verschwenderisch einsetzten, klagten Besucher über Kopfschmerzen und Schweißausbrüche während der Aufführung, dazu griffen Schwefel und Ammoniak Tapeten und Decken an.

Dicke Luft war für elektrisches Licht kein Thema. Am 4. September 1882 eröffnete Thomas Alva Edison in der New Yorker Pearl Street das erste Kraftwerk der Vereinigten Staaten. Edison war Geschäftsmann. Er wusste: Ohne Strom war seine drei Jahre zuvor gemachte Erfindung, die Glühbirne, wertlos. Dann ging es Schlag auf Schlag. Lunaparks und Weltausstellungen trieben mit irrwitzigen Inszenierungen die Entwicklung neuer Lichtwelten voran. "Wie rothglühende Lava wälzt sich das Wasser über Felsen herab", beschreibt ein Zuschauer die Frankfurter Elektrizitätsausstellung von 1891. Die Menschen sind elektrisiert vom "eigenthümlichen Erregungszustand der Materie". Strom veränderte alles, vor allem die Wahrnehmung der Großstädter. Scheinwerfer richteten sich während der Weltausstellung vom 15. April bis zum 12. November 1900 auf den Eiffelturm. Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich die Attraktionen der Nacht: 1901 leuchtete die Pan-American Exposition in Buffalo, 1903 der Luna Park auf Coney Island, 1904 die Louisiana Purchase Exhibition in St. Louis. In Amerika liegen die Grundlagen für das, was heute Lichtplanung heißt. "Bei Nacht erhellt das Strahlen von Millionen elektrischer Lichter den Himmel; sie erglühen an jedem Punkt, jeder Linie und Kurve der Umrisse dieser prächtigen Spielstadt und heißen den heimkehrenden Seemann schon dreißig Meilen vor der Küste willkommen", analysiert Stararchitekt Rem Koolhaas in "Delirious New York" die Architektur der Nacht.

Der beißende Smog der Braunkohlenheizungen verzog sich, und die Hauptstadt des 20. Jahrhunderts lockte mit blinkenden Reklamen und hell erleuchteten Avenuen. Nachtschwärmer strömten durch die Clubs unter dem flirrenden Licht der Leuchtreklamen. Neon machte die Metropole lesbar. "Es war überhaupt die stärkste religiöse Erfahrung", erinnert sich der Lichtkünstler Keith Sonnier, "spät nachts vom Tanzen zu kommen und plötzlich Wellen von Licht zu sehen, die sich im dichten Nebel auf und ab bewegten." Die Großstadt wurde plötzlich selbst zur Bühne, mit grellbunten Reklamen und Auslagen.

Der Lichtstrom ebbte nicht ab, im Gegenteil. Spätestens mit dem Siegeszug der LED, der Light Emitting Diode, gelten die Gesetze der Chip-Fertigung auch für die Leuchtenindustrie. Das Moore'sche Gesetz besagt, dass sich die Leistung verdoppelt, während sich die Preise halbieren. Bis zu 100 000 Stunden brennen die 1962 eingeführten Miniaturleuchten inzwischen. Sie lassen damit Niedervolt-Halogen-Glühlampen, Leuchtstofflampen und Halogen-Metalldampflampen weit hinter sich. Geholfen bei ihrem Siegeszug hat natürlich auch das sogenannte Glühlampenverbot der Europäischen Union von 2009. Die sechste und letzte Stufe der EU-Verordnung trat in diesem September in Kraft. Seither müssen alle "Lampen mit ungebündeltem Licht" mindestens die Energieeffizienzklasse B aufweisen. Experten weisen darauf hin, dass dies auch das Ende der Hochvolt-Halogenlampen bedeute.

Wenigstens einige Schreckensszenarien der Designer sind nicht aufgegangen. Lichtpoet Ingo Maurer klagte 2008: "Ein mörderischer Gedanke, dass sie die Glühbirne umbringen wollen. Ich kann nur hoffen, dass Gott uns beisteht, dass dieser Kelch an uns vorübergeht." Es hat zwar Jahre gedauert, aber mittlerweile können Leuchtdioden auch bei der Farbwiedergabe mit der alten Glühbirne mithalten, ja übertreffen sie sogar.

Die LED kehrt einige Gewissheiten um. Sie trennt Licht und Wärme immer besser, und sie wird bei zunehmender Leistung immer preiswerter. Inzwischen halten Leuchtmittel wesentlich länger als jede Leuchte, zumindest was den Geschmack angeht. Eigentlich könnten Innenarchitekten und Designer nun über Licht an sich nachdenken - ohne den Umweg der Leuchten. Sie könnten Stoffe zum Leuchten bringen oder ganze Wände. Doch offenbar brauchen wir noch immer ein sichtbares Objekt, eine kleine Sonne, die wir perfekt kontrollieren. Das kostbare Licht von einst jedenfalls ist ziemlich gewöhnlich geworden. Da können wir ja mal probeweise per Handbewegung oder Sprachbefehl die Beleuchtung ausschalten und eine Kerze anzünden. Einfach so.

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