Leo Kirch: Prozess in München:Mann mit einer Mission

Über Jahre ließ sich Leo Kirch nicht in der Öffentlichkeit blicken. Doch die Pleite seines Imperiums zwingt ihn ins Gericht. Dort sitzt Rolf Breuer, der Ex-Chef der Deutschen Bank. Es ist sein Feind.

Hans von der Hagen

Es gibt da diese Szenen in dem Film "Der englische Patient". Schwer verletzt liegt der Hauptdarsteller Graf Almásy im Bett und erzählt einer jungen Krankenschwester sein Leben. Schleppend, stockend. Er gibt nicht auf, weil er eine Mission hat. Er will alles erklären und richtigstellen, um eine Geschichte in seinem Sinne zu Ende zu führen.

Leo Kirch erscheint vor Gericht

Sie haben sich nichts zu sagen: Leo Kirch (li.) und Rolf Breuer

(Foto: dapd)

Auf seltsame Weise gleicht der erste öffentliche Auftritt des Medienunternehmers Leo Kirch seit fast einer Dekade dem Auftritt des verletzten Almásy im Film: Stimmlos fast quält sich Kirch an diesem Freitag durch den Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht. Auch er hat eine Mission: Er will Genugtuung von der Deutschen Bank, dafür, dass ihn "der Rolf erschossen" hat. "Der Rolf" ist Rolf Breuer, früher Chef bei der Deutschen Bank. Nach Ansicht von Kirch hat er die Pleite seines Konzerns herbeigeführt.

Breuer hatte im Februar 2002 in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg auf die Frage nach Kirch gesagt: "Was man darüber lesen und hören kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen." Der Satz wurde von der Nachrichtenagentur verkürzt als Eilmeldung an die Redaktionen geschickt: "Breuer sagt, Kirch bekommt keine weiteren Kredite mehr". Zwei Monate später musste die Kirch-Gruppe Insolvenz anmelden. Deswegen sagt Kirch: Breuer ist schuld.

Zwei Männer, kein Wort

Lange war unklar, ob Kirch überhaupt vor Gericht erscheinen würde. Formell ist er als Zeuge in der Klage gegen die Deutsche Bank geladen, die von der KGL Pool geführt wird, in der wiederum 17 Kirch-Firmen gebündelt sind.

Ein "Kommt er wirklich?" hängt im Sitzungssaal 411 des Gerichts und erst um zehn vor 10 Uhr wird die Frage beantwortet. Gelbgetönte Brille, grauer Trachtenjanker, den Blick eigentümlich nach oben gerichtet: der Kirch. Er wird im Rollstuhl in den Saal gerollt, wo die Fotografen den so selten Gesehenen schier endlos wirkende zehn Minuten in die Mangel nehmen.

Ein ungläubiges Lächeln rutscht manchem anwesenden Deutsche-Bank-Vertreter ins Gesicht, immerhin war Kirch gleich zwei Mal der Einladung des Gerichts nicht gefolgt und schien mit seiner Abwesenheit auch die Bedeutung des Prozesses zu unterminieren - selbst wenn die Abwesenheit aus gesundheitlichen Gründen erfolgte. Kirch ist 84 Jahre alt, an Diabetes erkrankt und offenbar kaum in der Lage, noch irgendetwas zu sehen.

Zum ersten Mal seit Jahren treffen sich nun die beiden Kontrahenten. Breuers Blick läuft ins Leere, als Kirch herangerollt wird. Die Arme sind vor der Brust verschränkt, die beiden Männer haben sich nicht ein Wort zu sagen. Kirch unterhält sich lieber mit der Frau an seiner Seite: Es ist Gertrude Barrera-Vidal, ein Mitarbeiterin, die an diesem Tag sein Sprachrohr ist. Als Beruf gibt sie "Vorleserin" an.

Nun ist wichtig: Wie eng standen sich die Deutsche Bank und Kirch? Durfte Breuer so über einen möglichen Kunden reden? Hat er es womöglich absichtlich getan, um die Kirch-Gruppe zu schwächen und darum später leichter ins Geschäft zu kommen? Das Gericht muss dazu klären, ob Breuer auch ohne konkreten Vertrag Kirch als möglichen zukünftigen Kunden schützen musste und ob die Deutsche Bank womöglich einen internen Plan verfolgte, um auf ruppigere Art ins Geschäft zu kommen.

Um das herauszubekommen, will der Vorsitzende Richter Guido Kotschy wissen, was in den Verhandlungen zwischen der Deutschen Bank und der Kirch-Gruppe in den Monaten vor dem Interview besprochen wurde.

Seltsame Beziehung

Die Beziehung zwischen Kirch und der Deutschen Bank, soviel kristallisiert sich dabei heraus, ist seltsam. Kirch nennt in einer vorbereiteten Erklärung den später ermordeten Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen einen langjährigen, persönlichen Freund. Beide seien aber überein gekommen, keine Geschäfte zu machen. Auch Herrhausens Nachfolger Kopper habe ihm mitgeteilt, dass er keine Geschäftsbeziehung mit Kirch wünsche.

Das wurde ebenfalls weitgehend durchgehalten. 1998 gewährte die Deutsche Bank zwar einer weiteren Kirch-Gesellschaft, der Print Beteiligungs GmbH einen Kredit, doch die Finanzierung der Beteiligung am Springer-Verlag ist in diesem Verfahren nicht relevant.

Dann 2001 gab es - aus Kirchs Sicht plötzlich - einen Sinneswandel. Die Deutsche Bank wolle nun doch ins Geschäft kommen, weil sie den Medienbereich als strategisch bedeutsam einschätze. Getragen worden sein soll die neue Strategie von Breuer und seinem Mann für das Investmentbanking: Michael Cohrs.

Doch wie weit sollte die Beziehung künftig gehen? Kirch sagt, dass von einer Hausbankbeziehung die Rede gewesen sei, was auf ein enges Verhältnis hindeuten würde. Klar ist das aber nicht, zumal in der Deutschen Bank offenbar ein Machtkampf tobte: Hilmar Kopper, der zu der Zeit Chefaufseher bei dem Institut war, wollte Kirch noch immer nicht als Kunden haben, zumindest nicht als Kreditkunden. Ein lukrativer Beratungsvertrag ohne großes Risiko - das schien noch in Ordnung, ein Kredit aber nicht.

Nicht mehr verhandlungsfähig

Das Gericht will es dann genauer wissen: Was wurde wann besprochen, in welcher Sprache wurde geredet, welche Unterlagen wurden übergeben? Kirch kann das kaum beantworten, die Worte verheddern sich zuweilen - warum spricht er von Kartoffeln, als es um Unterlagen geht? Will er damit andeuten, dass er sich mit solchen Details nicht abgab? Einigermaßen vernehmbar ist allenfalls Kirchs "Nein". Zum Beispiel, als er gefragt wurde, ob Altbundeskanzler Helmut Kohl die Gespräche mit Breuer initiiert habe. "Nein!". sagt Kirch. Die Nachfragen nach Ereignissen, die neun Jahre zurückliegen, überfordern ihn sichtlich: "Die Schärfe, mit der sie hier versuchen, einen bestimmten Gesprächsinhalt abzufragen, kann ich nicht mit einem Satz beantworten."

Kurz darauf greift Kirchs Hausarzt ein: Richter Kotschy bricht nach anderthalb Stunden "die Vernehmung des Zeugen Dr. Kirch" wegen "Eintritts der Vernehmungsunfähigkeit" ab. "Dann ist das für sie heute erledigt", sagt er.

Der Kirch-Mitarbeiter und Zeuge Dieter Hahn kann vieles von dem, was Kirch nicht wusste, am Ende genauer erläutern. Misstrauisch machte ihn, Hahn, seinen Angaben zufolge die Hinhaltetaktik der Deutschen Bank. Er habe zwar immer wieder gehört, dass Breuer und Cohrs für Kirch kämpfen würden und die Pläne auf gutem Weg seien, doch er hört auch, dass es da noch einen anderen Plan B geben würde. "Ich fragte Cohrs nach dem Plan B, er sagt mir jedoch, er könne mir hierzu nichts sagen", formuliert Hahn.

An diesem Freitag deutet Richter Kotschy an, dass ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis wohl nicht bestand - was gut für die Deutsche Bank wäre. Aber es bleibt offen, ob das Geldinstitut Kirch vorsätzlich sittenwidrig geschadet haben könnte.

Kirch sieht das wohl so. Für ihn ist der Fall jedenfalls noch lange nicht erledigt - mag er noch so krank sein. Am 20. Mai geht es weiter.

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