Leitzinsen:Niedrige Zinsen sind das kleinere Übel

Gerade Kleinsparer leiden unter der Extrem-Strategie der Notenbanken in Washington und Frankfurt. Trotzdem ist sie richtig.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Die Leidenszeit für Kleinsparer geht also weiter. Obwohl die amerikanische Wirtschaft in diesem Jahr solide wachsen dürfte, die Arbeitslosenquote Richtung fünf Prozent sinkt und die Inflationsrate sich Stück für Stück von der Nulllinie entfernt, verzichtet die US-Notenbank darauf, die Leitzinsen erstmals seit siebeneinhalb Jahren wieder zu erhöhen und damit einen Schritt in Richtung geldpolitischer Normalisierung zu gehen. Die Angst davor, die Konjunktur durch einen symbolisch aufgeladenen Beschluss doch noch abzuwürgen, ist einfach zu groß.

Da sich viele Notenbanken der Welt an der Fed orientieren, werden auch die Menschen außerhalb der USA mit den Folgen der Entscheidung zu leben haben. Fest eingeplante Sparbuchzinsen bleiben weiterhin aus, und die Lebensversicherung wird auch dieses Jahr einen Brief schreiben, in dem sie mitteilt, dass die Ausschüttung im Alter leider noch einmal geringer ausfallen wird als gedacht. Auch wird die soziale Ungleichheit weiter wachsen, denn das billige Notenbankgeld befeuert die Börsen - und es sind in der Regel nicht die einfachen Bürger, die auf dicken Aktienpaketen sitzen.

Warum die Extremstrategie der Notenbanker richtig ist

Kritiker haben stets gewarnt, dass es viel einfacher ist, auf einen geldpolitischen Radikalkurs einzuschwenken als ihn wieder zu verlassen. Das stimmt, und dennoch gilt: Die Extremstrategie der Notenbanker in Washington und Frankfurt war, ist und bleibt trotz aller damit verbundenen Probleme richtig. Natürlich muss die Fed irgendwann - und irgendwann heißt unter den gegebenen Umständen: in den nächsten Monaten - die Wende einleiten, damit sie in der nächsten Rezession nicht mit leerem Waffenschrank dasteht. Dass jemand umkehren muss, heißt aber noch nicht, dass er sich verlaufen hat. Ohne Wasser in die Wüste zu rennen, ist gefährlich, zweifellos. Stehen zu bleiben, wenn ein Rudel Löwen im Anmarsch ist, aber auch.

Was die Kritiker von Fed und EZB nämlich bis heute unterschlagen, ist die Beantwortung der Frage, wie denn das Alternativszenario ausgesehen hätte. Natürlich ist das Spekulation. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass die Weltwirtschaft mit einer sehr viel orthodoxeren Geldpolitik dauerhaft in jene Abwärtsspirale aus Stagnation und sinkenden Preisen geraten wäre, die etwa die japanische Wirtschaft seit mehr als 20 Jahren lähmt, wäre riesengroß gewesen. Zugespitzt könnte man sagen, dass der Kleinsparer die Wahl hatte zwischen niedrigen Zinsen und Arbeitslosigkeit - was das kleinere Übel ist, ist offensichtlich.

Das eigentliche Problem der Niedrigzinsphase ist, dass die Politik vielerorts, nicht nur in Griechenland, die Zeit, die ihr erkauft wurde, nicht für Reformen genutzt hat. Die Frage der sozialen Ungleichheit etwa ist keine, die Notenbanker beantworten können. Das können nur Regierungen und Parlamente - etwa indem sie Kapitalerträge endlich genauso rigoros besteuern wie Arbeitseinkommen. Aber einfacher ist es natürlich, sich im Chor mit hochdekorierten Professoren über vermeintliche Hallodris und Falschmünzer in Washington und Frankfurt zu echauffieren.

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