Süddeutsche Zeitung

Lehman Brothers: Untersuchungsbericht:Die Tricks des Gorillas

Ein Untersuchungsbericht zeigt: Die US-Investmentbank Lehman hat übel getrickst - bis zum Untergang. Womöglich hat sich Bankchef Fuld - der "Gorilla - dabei strafbar gemacht.

Tobias Dorfer und Hans von der Hagen

Er hatte Lehman Brothers erst groß gemacht - und dann in den Untergang geführt: Richard S. Fuld. Ein jetzt veröffentlichter Untersuchungsbericht des vom Gericht bestellten Gutachters Anton Valukas belegt, dass der "Gorilla", wie Fuld aufgrund seines oft brachialen Auftretens genannt wurde, getrickst hat, um die verheerende Lage seiner Bank zu vertuschen. Womöglich haben er und andere Führungskräfte sich damit sogar strafbar gemacht.

Denn während Fuld nach außen noch den starken Mann gab, schwächelte in Wirklichkeit sein Institut schon enorm. In den ersten Quartalen 2008 lagerte die Bank beispielsweise 50 Milliarden Dollar aus der Bilanz aus, um die wahre Verschuldung zu verbergen.

Das Vertrauen war futsch

Valukas äußerte sich zwar nicht direkt zur Rechtmäßigkeit des Handelns, mutmaßte aber, dass es zu einer Strafverfolgung führen könnte.

Er wirft dem Management dabei kein umfassendes Fehlverhalten vor. Fuld ist aber offenbar über die schmutzigen Bilanztricks informiert worden, und Lehman-Verantwortliche sollen intern vor dem Prozedere gewarnt haben.

Wörtlich heißt es in dem Bericht: "Lehmans finanzielle Notlage und die damit einhergehenden Konseqenzen für Lehmans Gläubiger und Aktionäre sind von den Lehman-Führungskräften verschlimmert worden." Die Bankchefs hätten teils fehlerhafte, aber nicht strafbare Entscheidungen gefällt, zugleich aber auch die Bilanz so manipuliert, dass die Manager dafür belangt werden könnten.

Weitere Gründe für die Lehman-Pleite sieht Valukas in dem Geschäftsmodell der Bank, dass die Übernahme exzessiver Risiken vor allem ab dem Jahr 2006 belohnt habe. Fuld suchte das Risiko, weil er unbedingt zum verhassten Rivalen Goldman Sachs aufschließen wollte. Diesem Ziel ordnete der Banker offenbar alles andere unter. "Es ist Krieg. Wir gegen sie" - so wird der Lehman-Chef und Eigner eines ausgestopften Gorillas, zitiert.

Die Chefetage der Lehman-Zentrale wurde zur Gefahrenzone: Fuld soll von seinen Mitarbeitern ausschließlich positive Meldungen geduldet und ihnen das auch deutlich gemacht haben. In einem Spiegel-Bericht vom Frühjahr 2009 wird der Fall von Mike Gelband geschildert. Der Chef der Abteilung "Kommerzielle und Wohn-Immobilien" soll Fuld bereits 2006 gesagt haben, dass Lehman Brothers bei seinen Immobiliengeschäften zu hohe Risiken eingehe und die Kredite auf die Häuser nicht mehr gesichert seien. Der Boss antwortete: "Du bist zu konservativ. Du willst keine Risiken mehr eingehen." Wenig später war Gelband gefeuert. Die Härte des Chefs trieb die Mitarbeiter zu Höchstleistungen an - und zur Unvorsichtigkeit.

Valukas-Report listet noch weitere Gründe für den Niedergang von Lehman Brothers auf. Denn auch die Behörden trügen Schuld - sie hätten die Probleme erkennen und entschärfen müssen.

Verhängnisvoll sei vor allem gewesen, dass Lehman kurzfristige Verbindlichkeiten laufend erneuern musste. Das funktionierte nur, solange die Bank das Vertrauen der Gläubiger besaß. Als das Vertrauen im Lauf der Krise wegbrach, musste Lehman scheitern. "Es ist kein Zufall, dass keine größere Investmentbank mit einem solchen Geschäftsmodell mehr exisitiert", heißt es in dem Bericht.

Vorwürfe gegen Wirtschaftsprüfer

Mit der Auslagerung von Schulden aus der Bilanz über sogenannte Repo-105-Transaktionen gelang es offenbar über längere Zeit, die Ratingagenturen ruhig zu halten und sich das Vertrauen der Anleger ungerechtfertig zu sichern. Mit den Transaktionen konnte vor allem der von den Agenturen besonders beachtete Verschuldungsgrad aufgehübscht werden. Auffällig ist, das Repo 105 für den normalen Geschäftsbetrieb nicht erforderlich gewesen wäre, sondern nur "um die Bilanzen zum Quartalsende zu verkleinern", zitiert der Untersuchungsbericht aus einer E-Mail.

Ex-Lehman-Vorstandschef Fuld war nach eigenen Aussagen nicht über Repo 105 informiert, heißt es in Medienberichten. Dem sollen Mitarbeiter allerdings widersprochen haben.

Schwere Vorwürfe erhob Valukas überdies gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, die "unter anderem versagt habe, die unsauberen oder unangemessenen Angaben in den Finanzberichten zu hinterfragen".

Das gilt auch für die Repo-105-Transaktionen. Ernst & Young habe sie gekannt, aber nicht unterbunden. Die Wirtschaftsprüfer hätten auch geduldet, dass diese Geschäfte nicht öffentlich gemacht wurden.

Klar scheint somit, dass das Wall-Street-Institut offenbar systematisch Anleger, Geschäftspartner und Aufsichtsbehörden in die Irre führte.

Hohe Sicherheiten für neue Kredite

Für seinen Bericht sichtete Anwalt Valukas zusammen mit seinem Stab mehrere Millionen Dokumente und führte zahlreiche Interviews zum spektakulären Pleitefall.

Der Niedergang von Lehman Brothers im September 2008 gilt als Höhepunkt der Finanzkrise. Ab diesem Zeitpunkt verloren die Banken jegliches Vertrauen untereinander. Nur das massive Eingreifen der Regierungen hielt die weltweiten Märkte notdürftig am Laufen. Lehman Brothers wurde im Eilverfahren zerschlagen, übrig blieben Zehntausende Geschädigte, darunter auch viele deutsche Kleinanleger.

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