Kurzzeit-Police per Handy-App:Bequem versichert für einen Tag

SHAOLIN MÖNCH AM BUNGEE-SEIL

Ein Shaolin-Mönch springt mit einem Bungee-Seil in 130 Metern Höhe vom Hamburger Fernsehturm (Archivfoto von 14. Juli 2001)

(Foto: DPA/DPAWEB)

Der Schutz vor Randalierern im Stadion ist schon für 1,59 Euro zu haben. Mehrere Versicherer bieten solche Kurzzeit-Policen mittlerweile an - auch nur für einen Tag. Per Handy-App geht das ganz einfach. Verbraucherschützer sehen den Umfang der Leistungen jedoch kritisch.

Von Herbert Fromme und Merlin Schulz

Wer als Großstadtbewohner einmal in der Woche einen Wagen braucht, kauft sich keinen eigenen - er nutzt einen der zahlreichen Carsharing-Dienste. Sporadischen Radfahrern stehen Leihräder zur Verfügung. Der Trend geht weg von der langfristigen Bindung, hin zur bezahlten Nutzung für einen begrenzten Zeitraum. Möglich wird das durch die rasant wachsende mobile Nutzung des Internets; ein Blick auf das Smartphone zeigt, wo welcher Carsharing-Wagen zur Verfügung steht.

Auf diesen Trend springt auch die Versicherungswirtschaft auf. Die Munich-Re-Tochter Ergo Direkt bietet seit 2011 einen "Unfall-Schutz48", 48 Stunden für 99 Cent. Sie werden über die Handyrechnung eingezogen. Die Deutsche Telekom verkauft über ihre Tochter SureNow Reise- und Ski-Policen der Allianz, ebenfalls per App und auf wenige Tage begrenzt.

Jetzt geht ein neuer Anbieter an den Start, dessen Phantasie bei der Erfindung von Kurzzeitversicherungen unerschöpflich scheint. SituatiVe nennt sich das Düsseldorfer Unternehmen. Gründer ist Lennart Wulff, der das Handwerk beim Versicherungsmakler Marsh und bei Inex24 lernte, einer Plattform für die Industrieversicherung.

Der Stadionschutz kostet 1,59 Euro

Mit den bislang eher zaghaften Versuchen reagiert die Assekuranz auf ein Problem: Ihr Markt ist weitgehend gesättigt. Das gilt besonders für die Schaden- und Unfallversicherung. Hier geht es um Gebäude, Autos, Unfall- und Haftpflichtrisiken. Wer eine Versicherung will, hat meist schon eine. Wer keine will, kauft auch keine. Das gilt gerade für junge Leute; bei ihnen haben traditionelle Vertriebswege wie Versicherungsvertreter kaum Chancen.

Abhilfe sollen die neuen, schicken Versicherungen für einige Stunden oder Tage bringen, die nur ein paar Euro kosten. Wulffs Firma tritt mit dem mobilen Angebot "AppSichern" an. Da gibt es den Stadionschutz: 1,59 Euro kosten 24 Stunden Absicherung für den Todesfall (magere 10 000 Euro) und die Invalidität (ebenso magere 50 000 Euro), wenn sie beim Besuch eines Sportereignisses auftreten.

Der Surf- und Badeschutz (3,49 Euro), der Radlerschutz (3,99 Euro, mit Schutz gegen Rad- und Gepäckdiebstahl), "Racer-Cover" für Motorsportveranstaltungen (3,48 Euro), der Hotelschutz zur Absicherung von einfachem Diebstahl im Hotel, der Busreise- oder Dienstreise-Schutz, alles für 2,49 Euro. Auch ein Schüler-Schutz für den Schulweg und ein Kita-Ausflug-Schutz sind im Angebot, je für 24 Stunden. Selbst der Schutz für einen Bungee-Sprung ist vorstellbar; in den USA gibt es so etwas schon.

Exotische Angebote wie der Zeugnis-Bonus

Wulff hat gerade erst angefangen. In der Entwicklung sind so exotische Angebote wie der Zeugnis-Bonus: "Wenn das Kind in der Schule eine Fünf hat, und der Vater oder Onkel verspricht 400 Euro, wenn das besser wird, dann zahlen wir das."

Daneben plant Wulff aber auch sinnvolle Kurzzeit-Versicherungen, etwa den Drittfahr-Schutz. "Ich habe mein Auto auf mich und meine Freundin versichert, was mache ich, wenn sich mein Vater mein Auto leihen möchte?" Wulff bietet eine kurzfristige Versicherung an, die mögliche Regressansprüche des eigentlichen Autoversicherers wegen eines nicht angemeldeten Fahrers abdeckt. SituatiVe ist kein eigener Versicherer, sondern vertickt als so genannter Mehrfachagent Policen einer Reihe von Anbietern, vom britischen Kiln über die Hübener Versicherungs-AG bis zu Arag oder Würzburger. Bezahlt wird mit Kreditkarte, Paypal oder Überweisung.

Damit man überhaupt weiß, was man bekommt, muss man sich bei AppSichern erst anmelden - einschließlich Nennung eines "Begünstigten im Todesfall". Dann kann man die Bedingungen einsehen, in kleiner Schrift und mehrere Seiten lang, selbst auf einem iPad schwer zu lesen. Ganz genau nimmt es das Unternehmen nicht, beim Busreise-Schutz waren bis Donnerstag die falschen Bedingungenen des Surf- und Badeschutzes hinterlegt.

Dennoch: Eigentlich ist es eine feine Sache - der Abschluss einer Versicherung gerade dann und nur solange, wie man sie braucht. "Es handelt sich um eine reine Ausschnittsdeckung, und das ist gar nicht so schlecht", sagt Michael Wortberg von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz "Sie sind natürlich irrsinnig teuer, wenn man sie auf den Monat umrechnet." Ganz klar: Eine Stadion-Unfallversicherung für 1,59 Euro am Tag kostet umgerechnet 48 Euro im Monat. Eine ordentliche reguläre Unfallpolice ist dagegen schon für zehn Euro bis 15 Euro zu haben und leistet deutlich mehr.

Der Schutz ist sehr löchrig

Die Sofortverträge sind so teuer, weil der Verwaltungsaufwand bei den Kleinstverträgen vergleichsweise hoch ist und die Kunden Provisionen an empfehlende Organisationen mit bezahlen. Mit denen verhandelt Wulff gerade. Dazu könnten etwa Hotel-Vergleichsportale gehören, die dann nebenbei über ihr Web-Abgebot noch einen "Hotel-Schutz" verkaufen.

"Aber wer nur eine Police für genau diesen Tag braucht, der findet das gar nicht schlecht", sagt Verbraucherschützer Wortberg. Er ist dennoch nicht zufrieden mit den App-Versicherungen. "Das Hauptproblem sind die Bedingungen." Als Absicherung gegen Invalidität sind 50 000 Euro viel zu wenig. "Wir nennen es Schutz, nicht Versicherung", kontert Wulff von AppSichern. Aber der Schutz ist sehr löchrig.

Auch Holger Rohde, wissenschaftlicher Leiter für Versicherungen und Recht bei der Stiftung Warentest in Berlin, ärgert sich vor allem über die gebotene Leistung. "Wer sich da versichert, kann sich leicht in falscher Sicherheit wiegen", sagt er.

Ergo Direkt, SureNow und SituatiVe werden sicher bald Nachahmer finden. Dann könnte sich das Problem der mangelhaften Leistungen selbst lösen - über einen kräftigen Wettbewerb.

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