Kündigung:Und raus bist du

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Wer nur kurz in der Wohnung gelebt hat, muss sie nach einer Kündigung schon nach drei Monaten verlassen.

(Foto: imago/Westend61)

Verhält sich ein Mieter korrekt, kann der Vermieter fast nur wegen Eigenbedarfs kündigen. Das ist nach Urteilen des Bundesgerichtshofs immer leichter geworden.

Von Berrit Gräber

Auf das deutsche Mietrecht ist Verlass: Hat jemand einen unbefristeten Mietvertrag in der Tasche und zahlt pünktlich die Miete, kann ihn niemand so leicht auf die Straße setzen. Auf diesen Grundsatz bauen Millionen Mieter. Umso größer der Schock, wenn ein Vermieter plötzlich seine Wohnung zurückverlangt, weil er sie für sich selbst oder Verwandte braucht. Eigenbedarf ist einer der ganz wenigen Gründe, aus denen vertragstreuen Mietern überhaupt gekündigt werden darf, notfalls auch von Personengesellschaften, wie der Bundesgerichtshof (BGH) erst vor Weihnachten unterstrich. Und er gewinnt zunehmend an Gewicht: Je knapper der Wohnraum und je teurer die Mieten, desto häufiger benötigen Vermieter ihre Immobilien für sich und Angehörige. Auch Privateigentum ist ein Grundrecht, die Familie geht vor. Selbst langjährige Mieter müssen dann weichen.

Eigentümer können auch für Verwandte und Personal Eigenbedarf anmelden

Grundsätzlich sind die Hürden für die schätzungsweise 40 000 Kündigungen wegen Eigenbedarfs pro Jahr nicht sehr hoch. Mieter haben immer dann schlechte Karten, wenn ihr Vermieter die Immobilie für sich selbst braucht - oder für seine Kinder, Stiefkinder, Eltern, Enkel oder Großeltern. Ebenso für Geschwister, Nichten und Neffen, den Lebenspartner, Ehegatten oder für die Schwiegereltern. Die Gründe müssen laut BGH "vernünftig und nachvollziehbar sein". Zulässig ist die Eigenbedarfskündigung in bestimmten Fällen auch für Personen jenseits der Verwandtschaftsbande, wenn etwa Haushaltshilfen oder Pflegepersonal für die kranken Eltern untergebracht werden sollen und gute Gründe dafür vorliegen. Ist eine Wohnung als Praxis, Kanzlei oder Büro nutzbar, darf der Vermieter kündigen, um die Räume beruflich zu nutzen. Auch hier können die Interessen von Verwandten ein gewichtiger Grund sein, wie der BGH entschied (Az. VIII ZR 330/11).

In jedem Fall muss der Eigentümer gesetzliche Fristen beachten: Leben die Mieter bis zu fünf Jahren lang im Haus, haben sie ab Ende des Monats der Kündigung drei Monate Zeit bis zum Auszug. Bei bis zu acht Jahren verlängert sich die Frist auf sechs, nach noch längerer Wohndauer auf neun Monate. Wird die Wohnung verkauft, kann der neue Eigentümer unmittelbar nach der Eintragung ins Grundbuch Eigenbedarf anmelden. Wird allerdings ein Mietshaus in Eigentumswohnungen umgewandelt, greift eine Kündigungssperre: Die Mieter dürfen nach dem Verkauf in jedem Fall noch drei Jahre, in Ballungsräumen mit akutem Wohnmangel wie etwa München noch zehn Jahre bleiben. Erst dann darf der Eigentümer eigene Ansprüche geltend machen.

Juristische Personen wie Aktiengesellschaften oder GmbHs können nicht wegen Eigenbedarf kündigen. Aber es gibt Sonderfälle. So kann eine Firma Eigenbedarf anmelden, obwohl sie gar keine Familienmitglieder hat - so urteilte der BGH in einem aufsehenerregenden Verfahren im Dezember vergangenen Jahres (Az. VIII ZR 232/15). Die Wohnung in München, um die es ging, gehörte seit 1991 einer Gesell-schaft bürgerlichen Rechts (GbR). Einer der vier Gesellschafter wollte seine Tochter dort einziehen lassen - und bekam nun Recht. Eine GbR sei vergleichbar mit einer Erbengemeinschaft, der das Recht auf Eigenbedarfskündigung zustehe, so der Bundesgerichtshof.

Kritiker sehen in der Entscheidung ein neues Schlupfloch für Spekulanten. Die zehnjährige Kündigungssperrfrist verhindere nach wie vor, dass über die GbR-Konstruktion der Kündigungsschutz ausgehebelt werden könne, argumentiert dagegen Gerold Happ, Mitglied der Bundesgeschäftsführung des Eigentümerverbands Haus und Grund Deutschland. Auch Ulrich Ropertz, Sprecher des Deutschen Mieterbunds, geht nicht davon aus, dass Spekulanten nun plötzlich Tür und Tor geöffnet sind: "Vermieter werden jetzt nicht ohne Weiteres GbRs gründen und mit anderen teilen."

Im Dezember mussten Mieter gleich zwei Niederlagen vor dem BGH hinnehmen

Das BGH-Urteil vom Dezember brachte für Mieter noch eine weitere Verschlechterung. Wird eine leer stehende Wohnung im Haus dem gekündigten Mieter nicht als Alternative zur Anmietung angeboten, führt dies nicht mehr zur Unwirksamkeit der Kündigung. Damit hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung geändert.

Grundsätzlich müssen Eigentümer konkret darlegen, warum und für wen sie die Wohnung benötigen. Eine vage Absichtserklärung reicht nicht aus. Die Eigenbedarfskündigung sei kein Selbstläufer für Vermieter, berichtet Jurist Happ. Von wegen schnell mal kündigen und bald schon selbst einziehen: Viele betroffene Mieter kämpfen darum, so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung bleiben zu können. "Zieht ein Mieter alle Register, bis zu psychischen Problemen, kann er den Auszug sehr, sehr lange rauszögern", sagt Happ.

Selbst wenn die Kündigung nachvollziehbar begründet und formal in Ordnung ist, kann sie im Einzelfall doch ausgeschlossen sein, vor allem in Gegenden mit akuter Wohnungsknappheit. Der Vermieter hat dann Pech. "So manchem Mieter bleibt die Sozialklausel als letzter Rettungsanker", bestätigt Ropertz. Sie besagt: Ist der Mieter betagt, schwanger, hat er kleine Kinder, kaum Einkommen oder eine schwere Erkrankung, könnte ein Auszug aus der Wohnung für ihn eine Härte bedeuten, die schwerer wiegt als die berechtigten Interessen des Vermieters. Will ein Vermieter etwa in München einer langjährigen, 86-jährigen Mieterin wegen Eigenbedarfs kündigen, weil er die Wohnung für seinen studierenden Sohn nutzen möchte, hat er von vornherein kaum Chancen auf Erfolg. Legt die alte Dame Widerspruch gegen die Kündigung ein, weil ein Umzug in eine neue, ungewohnte, teurere Wohnung für sie unzumutbar ist, muss der Vermieter letztlich Räumungsklage erheben. Das Gericht wägt dann seine und ihre Interessen gegeneinander ab. "Im Zweifelsfall schützt die Sozialklausel vor der kurzfristigen Kündigung", berichtet Ropertz. Und der Sohn des Eigentümers muss letzten Endes in den sauren Apfel beißen und sich in München eine Bleibe für viel Geld suchen.

Ropertz rät Mietern, die eine Eigenbedarfskündigung auf den Tisch bekommen, grundsätzlich dazu, sich von Mietrechtsexperten beraten zu lassen. Zuerst müsse geprüft werden, ob der Vermieter überhaupt alle Formalien korrekt eingehalten habe. Hat ein Vermieter bei Vertragsabschluss beispielsweise nicht darauf hingewiesen, dass er in absehbarer Zeit selbst einziehen will, kann die Kündigung von vornherein unwirksam sein. Aufgepasst: Ein Widerspruch auf eigene Faust, ohne Rechtschutzversicherung oder Mieterverein an der Seite, kann riskant sein. Kann der Vermieter das Gericht davon überzeugen, dass sein Eigenbedarf berechtigt ist, muss der Mieter nicht nur ausziehen, sondern auch noch die Kosten des Verfahrens tragen. Beträge von 8000 Euro in der ersten und weiteren 9000 Euro in der Berufungsinstanz sind bei einer Kaltmiete von 1000 Euro monatlich keine Seltenheit.

Ist am Eigenbedarf nicht zu rütteln und will der Vermieter möglichst schnell eine freie Wohnung haben, sollten Betroffene ruhig in Verhandlungen um einen raschen Auszug einsteigen, empfiehlt Ropertz. Häufig zahlen Eigentümer die Umzugskosten oder etwa 2000 Euro auf die Hand, wenn ihr Mieter problemlos und schnell die Bahn frei macht. Manche bieten zur gütlichen Einigung auch verlängerte Kündigungsfristen an oder eine Alternativwohnung. Aber Vorsicht: Mietaufhebungsverträge, in denen beispielsweise versprochen wird, dass Mietern die Schönheitsreparaturen erlassen werden, sollten niemals ungeprüft unterschrieben werden. Wer noch einen alten Mietvertrag hat, muss nach der aktuellen Rechtsprechung ohnehin oft nicht mehr die Wände streichen, wenn er auszieht.

Erfährt der Mieter, dass der Eigenbedarf seines Vermieters nur vorgetäuscht war, beispielsweise um die Immobilie für mehr Geld neu zu vermieten, kann er auf Schadenersatz klagen, warnt Happ: "Der Eigentümer hat ihn dann um die Wohnung betrogen." Ein Mieter kann seinen Ex-Vermieter noch Jahre nach dem Auszug als Betrüger entlarven. Dieser muss dann in der Regel für höhere Folgemieten, Makler- oder Umzugskosten zahlen (Az. VIII ZR 99/14). Ehrlichkeit kommt billiger.

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