Kühne Thesen zur Lehman-Pleite:"Das war reine Willkür"

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US-Ökonom Luigi Zingales ist überzeugt: Die Lehman-Pleite war eine wichtige Lektion - obwohl sie die Welt in die Rezession stürzte.

Moritz Koch

Der Ökonom Luigi Zingales lehrt an der Universität von Chicago und hat sich mit kühnen Thesen zur Krise einen Namen gemacht. Die Lehman-Pleite sei gut gewesen, sagt er und schlägt vor, Banken mit ihren eigenen Waffen zu bändigen.

"Die USA änderten die Marschrichtung beinahe täglich", sagt US-Ökonom Luigi Zingales (Foto: Foto: oh)

SZ: Herr Zingales, der Konkurs von Lehman hat eine US-Wirtschaftsflaute in einen globalen Absturz verwandelt. Trotzdem sagen Sie, es sei richtig gewesen, die Investmentbank untergehen zu lassen. Erklären Sie uns das: Was ist gut daran, die Welt in die Rezession zu stürzen?

Zingales: Zunächst einmal bezweifle ich, dass wir dieser Rezession entgangen wären. Lehman war ein Symptom der Krise, nicht ihre Ursache. Grundsätzlich gilt: Wenn man Kreditinstitute hat, die kaum reguliert sind, müssen sie einer permanenten Bankrott-Gefahr ausgesetzt sein. Ansonsten gehen sie Risiken ein, die nicht beherrschbar sind. Gerade das ist bei Lehman geschehen. Das Management fühlte sich bis zuletzt sicher.

SZ: Warum? Die Finanzkrise war doch schon im vollen Gange.

Zingales: Weil die Regierung ein halbes Jahr vor Lehmans Pleite den Notverkauf von Bear Stearns mitfinanziert hat und dann in Tiefschlaf verfallen ist. Das Signal an die Wall Street war: Wir helfen euch schon, wenn es eng wird. Erst der Konkurs von Lehman hat Manager daran erinnert, dass sie sich auf freien Märkten bewegen, wo es keine Sicherheiten gibt. Insofern war die Pleite eine wichtige Lektion.

SZ: Washington hat also rasch aus anfänglichen Fehlern gelernt?

Zingales: Überhaupt nicht. Das Krisenmanagement Washingtons war katastrophal. Der US-Regierung fehlte jedes Konzept. Die Lehman-Entscheidung war für sich genommen richtig, aber sie wurde dadurch konterkariert, dass es kein System gab, nach dem darüber entschieden wurde, wer gerettet wird und wer nicht. Das ist das eigentliche Drama. Die USA änderten die Marschrichtung beinahe täglich. Das war reine Willkür, und die Märkte wurden traumatisiert.

SZ: Gibt nicht das Ergebnis der Regierung recht? Das Schlimmste wurde abgewendet.

Zingales: Aber zu einem sehr hohen Preis. Die Staatsverschuldung ist weltweit rasant gestiegen. Es hätte wahrscheinlich sehr viel weniger Steuergeld bedurft, wenn Washington systematischer und berechenbarer entschieden hätte, weil dann andere Banken und Investoren eher bereit gewesen wären, eigenes Kapital für die Übernahme bedrohter Konkurrenten einzusetzen.

SZ: Die führenden Industriestaaten beraten in zwei Wochen, welche Lehren aus der Krise zu ziehen sind. Was empfehlen Sie?

Zingales: Die Finanzkrise hat gezeigt, dass einige Banken so groß geworden sind, dass sie eine Gefahr für das gesamte Wirtschaftssystem darstellen. Diese Institute müssen künftig streng reguliert werden. Hier sind die Regierungen auf einem richtigen Weg. Nur kommt es auf die Details an. Die Regeln müssen transparent sein. Ich schlage folgendes vor: Fällt der Wert des Investmentsportfolios einer Großbank unter die Summe ihrer Zahlungsverpflichtungen, müssen die Eigentümer vor die Wahl gestellt werden, entweder neues Kapital zuzuschießen oder ihr bereits investiertes Geld zu verlieren. Nun ist es in der Praxis sehr schwer, herauszufinden, wie viel die Investments von Banken tatsächlich wert sind. Ein Hochhaus in Nairobi zum Beispiel wird selten gehandelt. Wir brauchen also einen Indikator. Mein Rat lautet: Schauen wir doch auf die Credit Default Swaps.

SZ: Sie wollen zur Zähmung der Märkte ausgerechnet jene Instrumente einsetzen, die der Investor Warren Buffett finanzielle Massenvernichtungswaffen genannt hat?

Zingales: Ganz genau. CDS-Papiere sind ja per se weder gut noch schlecht. Es kommt darauf an, wie man sie nutzt. Im Kern sind sie Versicherungen gegen die Insolvenz eines Unternehmens. Damit spiegelt ihr Preis genau wider, wie die Märkte die Gefahr einer Pleite einschätzen. Ich schlage folgenden Mechanismus vor: Übersteigt ihr Kurs einen bestimmten Wert, müssen die Eigentümer Farbe bekennen - entweder sie bringen neues Kapital auf oder sie verlieren das bereits investierte Geld. Der Vorteil liegt auf der Hand. Die Aufsichtsbehörden haben einen objektiven Maßstab, ihre Entscheidungen werden berechenbar.

SZ: Wäre es nicht die beste Lösung, Großbanken zu zerschlagen? So würde man das Problem, dass Geldkonzerne so groß zum Scheitern sind, aus dem Weg räumen und könnte das Finanzsystem dem Markt überlassen.

Zingales: Theoretisch schon. Die Furcht vor dem Bankrott würde die Banken disziplinieren. Sie könnten sich nicht mehr darauf verlassen, dass ihnen der Staat schon zur Hilfe kommt, wenn sie sich verzocken. Nur sind die Finanzkonzerne politisch viel zu einflussreich, gerade in Amerika. Darum müssen wir mit der zweitbesten Lösung vorliebnehmen. Und das sind die verschärften Kapitalvorschriften, die ich vorschlage. Mein Ziel ist es, den Kapitalismus vor den Kapitalisten retten.

© SZ vom 12./13.09.2009/afi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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