Berufsunfähigkeit:Diese Versicherung ist zu wichtig, um zu teuer zu sein

Berufsunfähigkeit: Wer so krank ist, dass er auf Dauer nicht arbeiten kann, ist berufsunfähig. Gefährdet sind vor allem Menschen mit körperlich belastenden Berufen.

Wer so krank ist, dass er auf Dauer nicht arbeiten kann, ist berufsunfähig. Gefährdet sind vor allem Menschen mit körperlich belastenden Berufen.

(Foto: Imago)
  • Viele Berufstätige können sich eine Berufsunfähigkeitsversicherung nicht leisten.
  • Viele körperlich hart arbeitende Handwerker können das Geld dafür kaum aufbringen - dabei brauchen sie den Schutz am dringendsten.
  • Experten sprechen von Marktversagen und fordern eine Rückkehr zur gesetzlichen Absicherung.

Von Anne-Christin Gröger

Wer aus Krankheitsgründen dauerhaft nicht mehr arbeiten kann, muss damit rechnen, zum Sozialfall zu werden, wenn er nicht privat vorgesorgt hat: Es sind düstere Farben, mit denen Versicherer und Verbraucherschützer gleichermaßen den Fall Berufsunfähigkeit (BU) ausmalen. Tatsächlich sind sich beide Seiten, sonst meist spinnefeind, in dieser Frage ungewöhnlich einig. Existenzbedrohende Risiken wie die Erwerbsunfähigkeit sollten abgesichert sein, wenn möglich, mit einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung.

Doch so einfach ist das nicht. Wer versucht, sich abzusichern, muss sich durch etliche Akten kämpfen. Die Anbieter fordern detaillierte Angaben zu Beruf, Alter und Gesundheitszustand. Jeder noch so belanglose Heuschnupfen muss angegeben werden - wer schummelt, dem kann der Versicherer wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht die Leistung verweigern. Mit Vorerkrankungen wie Bandscheibenprobleme oder einem Hörsturz müssen Verbraucher mit heftigen Prämienaufschlägen rechnen. Bestimmte Berufe wie Schauspieler, Kellner oder Stahlarbeiter am Hochofen haben kaum eine Chance.

Viele Berufsgruppen können sich den Schutz kaum leisten

Dazu kommt: Der Schutz ist teuer. Bianca Boss vom Bund der Versicherten (BdV) rechnet vor: "Ein 20-jähriger Zimmermann muss für eine monatliche Rente von 1000 Euro und bei einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren bis zu 160 Euro monatlich einzahlen." Ein junger Zimmermann verdient in der Regel zwischen 2000 Euro und 2500 Euro brutto, da kann er sich die Versicherung kaum leisten. Das Problem: Wenn der Kunde den Abschluss auf später verschiebt, wird es noch teurer. "Ich kann gut nachvollziehen, dass das keiner machen möchte", sagt Boss.

Aber selbst wenn ein Arbeitnehmer einen Vertrag abgeschlossen und lange seine Beiträge eingezahlt hat, ist nicht alles in Ordnung. Im Fall der Berufsunfähigkeit drohen Betroffenen oft lange und zermürbende Diskussionen mit dem Versicherer, der immer neue Unterlagen anfordert und ihn von einem Arzt zum anderen schickt.

Das war nicht immer so: Vor 2001 gehörte die Erwerbsunfähigkeit zum gesetzlichen Sozialversicherungssystem. Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder setzte damals den bereits von der Kohl-Regierung gehegten Plan um, die gesetzliche Berufsunfähigkeit auslaufen zu lassen. Seither müssen Erwerbstätige, die nach dem 1. Januar 1961 geboren wurden, privat für den Fall vorsorgen, dass sie wegen Krankheit dauerhaft nicht arbeiten können. Nur wer so krank ist, dass er in überhaupt keinem Beruf mehr als drei Stunden pro Tag arbeiten kann, erhält eine kleine Erwerbsminderungsrente.

Die privaten Versicherer waren begeistert von dem neuen Geschäftsfeld - so begeistert, dass sie zu Beginn der Privatisierung relativ locker an die Sache herangingen. Sie versicherten Kunden zu Preisen, die sich heute als nicht auskömmlich herausstellen. Jetzt versuchen die Anbieter gegenzusteuern - manchmal gehen sie soweit, dem Versicherten eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht nachzuweisen und so die Leistung zu kürzen oder zu verweigern.

Experten fordern eine Rückkehr zum alten System

Experten sind ohnehin der Ansicht, dass die Assekuranz beim Thema Berufsunfähigkeit gescheitert ist. Sie sprechen von einem Marktversagen: 15 Jahre nach Abschaffung der gesetzlichen Absicherung fordern Verbraucherschützer und Gewerkschaften eine Rückkehr zum alten System. "Aus unserer Sicht muss man da von einem Versagen des privaten Versicherungsmarktes sprechen", sagt Boss vom BdV.

Ähnlich sieht es die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Viele ihrer Mitglieder haben Probleme, privaten Versicherungsschutz zu bezahlbaren Preisen zu erhalten. Private Anbieter würden die Versicherung gerade für junge Leute unerschwinglich teuer machen, heißt es von der Gewerkschaft. Berufsanfänger müssen zunächst einmal den Führerschein machen, eine Wohnung einrichten und wollen eine Familie gründen. Der Abschluss einer teuren Versicherung ist da für viele nachrangig. Die Folge: "Viele jungen Leute schließen aus Kostengründen wider besseres Wissen keine Versicherung ab", sagt ein Sprecher der Gewerkschaft.

Am besten früh die Versicherung abschließen

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft sieht das anders. "Es ist die Geschäftsgrundlage der Lebensversicherer, möglichst allen Risikogruppen bezahlbaren Versicherungsschutz zur Absicherung ihrer Arbeitskraft anzubieten", sagt ein Sprecher. Im Markt finde ein ausgeprägter Preiswettbewerb über alle Berufsgruppen hinweg statt, der dazu führe, dass der Schutz gegen Berufsunfähigkeit über die vergangenen Jahre insgesamt günstiger geworden ist. Er empfiehlt, eine entsprechende Police in jungen Jahren abzuschließen, um von einer möglichst guten Gesundheit zu profitieren. Allerdings: Die Niedrigzinsen wirken sich auch hier aus, die Preise dürften mittelfristig stark steigen.

Das Argument der Konzerne lässt Boss vom Bund der Versicherten nicht gelten. Auch für viele junge Menschen seien die Prämien bereits hoch. Das Fatale sei zudem, dass gerade riskante Berufe wie Dachdecker, Zimmermann oder Schweißer nicht besonders gut bezahlt werden und sich die hohen Prämien noch weniger leisten können als gut verdienende Juristen oder Betriebswirtschaftler. Körperlich hart arbeitende Handwerker brauchen den Schutz aber am dringendsten. Berufstätige mit Universitätsabschluss verdienen in der Regel besser und werden gleichzeitig von den Versicherern als weniger riskant eingestuft. Die Folge: Sie müssen für den Schutz weniger zahlen.

Der Bund der Versicherten hat schon im Mai 2015 gemeinsam mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sich die Organisationen für eine grundlegende Reform des aktuellen Systems einsetzen. "Da das Modell der privaten Vorsorge sich für viele Berufstätige als untauglich erwiesen hat, muss es dringend reformiert werden", fordern sie. Im Laufe des Jahres wollen sie den Parteien einen konkreten Vorschlag vorlegen, wie die Rückkehr zum gesetzlichen BU-Schutz gelingen kann.

Verbündete bei der Rückkehr zum gesetzlichen BU-Schutz

In den Gewerkschaften haben sie potenzielle Verbündete. "Wir sind grundsätzlich der Meinung, dass die zentralen Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Erwerbsunfähigkeit in den gesetzlichen Sozialversicherungssystemen abgesichert sein sollten", sagt Markus Hofmann vom DGB. "Nur dann ist das Kollektiv groß genug, um alle Mitglieder solidarisch abzusichern, und es gibt keinen Grund, Menschen mit Vorerkrankungen auszuschließen."

Ähnlich argumentiert die IG Metall. "Wenn bestimmte Beschäftigtengruppen keine Chance haben, eine BU-Versicherung abzuschließen, und der private Markt kein Verständnis für solche großen Risiken hat, muss man von einem Marktversagen sprechen", sagt Dirk Neumann, Gewerkschaftssekretär im Vorstand der IG Metall. Er glaubt, dass große Risiken nicht bei einzelnen Wirtschaftsunternehmen abgesichert sein sollten. Ihnen sei die Gewinnmaximierung wichtiger als die Auszahlung von Leistungen. Entscheidend sei daher auch, die Erwerbsminderungsrente zu stärken, sagt Neumann: "Sie ist das einzige Auffangnetz für alle gesetzlich Versicherten."

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