Krisengipfel in Brüssel:Europas Zahltag

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14 Punkte, die Europa retten sollen: Schnell war an diesem Donnerstag auf dem Sondergipfel in Brüssel klar, dass man Griechenland nicht pleite gehen lassen will. Nach tagelangem Zerren an vielen Orten deutet sich nun eine Einigung an - alle müssen ein bisschen bluten. Aber manche Länder sind noch immer sauer auf die Bundesregierung.

Cerstin Gammelin und Javier Cáceres, Brüssel

Auch ein langweiliges Protokoll kann tückisch sein. Am Tag vor dem Krisentreffen wehen vor dem gläsernen Gebäude der Europäischen Kommission für 26 der 27 europäischen Länder blaue Flaggen mit goldenen Sternen. Nur für Griechenland ist die nationale griechische Flagge gehisst, müde wendet sie sich im Wind. Das ist eigentlich nur der banalen Tatsache geschuldet, dass Giorgos Papandreou am Mittwochabend bei José Manuel Barroso sitzt. Aber das Bild symbolisiert mehr: Griechenland, Schoß europäischer Mythen und Werte, gehört irgendwie nicht mehr dazu.

Angela Merkel auf dem Weg zum Krisengipfel. (Foto: REUTERS)

Die eindringlichen Schilderungen des griechischen Premiers im Inneren des Kommissionsgebäudes lassen der kleinen Gruppe von Zuhörern rund um Präsident Barroso beinahe den Atem stocken. Der Grieche erklärt, dass sein Land die vielen Schulden unmöglich zurückzahlen kann. Dafür müsste Griechenland ein Wunder vollbringen, das in der Geschichte der Weltwirtschaft ohne Beispiel wäre: 20 Jahre lang müsste Hellas jährlich mehr als acht Prozent wachsen, um auf diese Weise einen Haushaltsüberschuss zu erwirtschaften, der es erlaubt, die Gesamtschulden unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken. "Das geht nicht, die Schulden müssen anders und schneller weg", sagt eine Teilnehmerin nach dem Gespräch. Sonst sei der Tag nicht mehr fern, an dem Europa Athen verlorengeben müsste - so wie es die Fahnen draußen anzudeuten scheinen.

Seit zwei Jahren schon bebt Europa unter der Krise, seit fast achtzehn Monaten ist Griechenland das Epizentrum der Erschütterungen. Bisher ist es der Gemeinschaft nicht gelungen, immer größere Schockwellen zu verhindern. Im Gegenteil. Nach den Griechen beantragten auch Irland und zuletzt Portugal finanzielle Hilfe, und nun sind sogar die großen Volkswirtschaften Spanien und Italien bedroht.

Zusammen machen diese Länder ein Drittel der europäischen Wirtschaftskraft aus. An diesem Donnerstag sind es vor allem diese Nationen, die eine starke Botschaft fordern: dass der Euro-Klub sich weder zerstückeln noch einzelne Mitglieder fallenlässt. "Für Europa steht alles auf dem Spiel", mahnt der spanische Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia. "Wir müssen von den Musen zum Theater kommen, von den Ideen zu konkreten Entscheidungen."

Die fieberhafte Suche nach überzeugenden Lösungen findet an vielen Orten gleichzeitig statt. Zwischen den Finanzministern glühen die Drähte. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat seine Kollegen am Apparat, darunter auch die Spanierin Elena Salgado. In Washington greift Präsident Barack Obama zum Hörer, um sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu beraten. Danach beschließen die Kanzlerin und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, sich am Mittwochabend in Berlin zu treffen. Bis dahin haben beide recht unterschiedliche Vorstellungen, wie die Euro-Zone zu stabilisieren ist. Sie wissen: Werden die Differenzen nicht ausgeräumt, kann man den Gipfel gleich vergessen. Am späten Abend gesellt sich überraschend der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, zu dem Duo in Berlin.

Nach Mitternacht gehen sie auseinander, mit einer Einigung, die keiner kennt - außer EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, dem, wie zu hören ist, das deutsch-französische Präludium überhaupt nicht gefiel. Van Rompuy wird lediglich beauftragt, die Ergebnisse tags darauf in die Gipfelberatungen einfließen lassen. Merkel und Sarkozy versuchen, jeden Anschein zu vermeiden, dass sie den anderen 15 Euro-Ländern eine deutsch-französische Lösung aufzwingen wollen, das kam bei früheren Treffen nie gut an. Dennoch stocken jedwede Verhandlungen während des Treffens in Berlin. Alle starren auf die deutsche Hauptstadt.

Auch am Donnerstagmorgen ist noch nicht klar, was Merkel, Sarkozy und Trichet beschlossen haben. Klar wird dagegen schon, dass sich der Franzose nicht durchsetzen konnte. Er wollte eine Bankenabgabe, die Deutschen wollten sie nicht. Es ist wieder einmal Eurogruppen-Präsident Jean-Claude Juncker, der andeutet, wo es langgehen könnte. "Ich glaube nicht, dass wir eine Bankenabgabe bekommen werden", sagt er bei seiner Ankunft in Brüssel. Wahrscheinlicher wird dagegen, dass die Euro-Chefs die Bitten Papandreous erhören werden, die Schulden zu reduzieren - auch zum Preis einer vorübergehenden griechischen Pleite. "Wir können nicht ausschließen, dass Griechenland für zahlungsunfähig erklärt wird", sagt Juncker. Aber man arbeite natürlich nicht darauf hin.

Auch Merkels kryptische Andeutungen lassen darauf schließen, dass die Spitze des griechischen Schuldenbergs abgeschnitten werden soll. Die "Schuldentragfähigkeit" müsse verbessert werden, sagt sie bei ihrer Ankunft in Brüssel. Was nichts anderes heißt, als dass die Schulden schnell weniger werden müssen, irgendwie.

Ein Mitglied der spanischen Delegation äußert sich am frühen Nachmittag klarer. Es liege ein Plan mit vierzehn Punkten vor, zwölf seien so gut wie beschlossen. Für die beiden Schlüsselfragen fehlten aber noch die Antworten: Wie und in welchem Umfang sollen private Gläubiger beteiligt werden? Und welche Aufgaben soll der Euro-Rettungsfonds EFSF künftig übernehmen? Um erstere Aufgabe zu lösen, lägen immer noch die drei bekannten Optionen auf dem Tisch: Rückkauf der Anleihen unter dem ursprünglichen Wert, Umtausch fälliger Papiere in neue Schuldscheine oder die Verlängerung der Anleihen. Alle drei Optionen hätten unerwünschte Nachteile - nun werde um die Formel mit den geringsten Nebenwirkungen gerungen.

Die Spanier sind noch immer unglücklich, dass die Deutschen die Debatte über die privaten Gläubiger so unausgegoren führen. Das habe die Märkte verunsichert, die Folgen spürten nun alle, allen voran die Länder im Süden des Kontinents. Doch das bedeute nicht, dass man mit unverrückbaren Positionen angereist sei. Es gebe kein Land, das sich vor etwas verschließen würde: Es gehe darum, dass Griechenland gerettet wird - und dass die Märkte sich stabilisieren.

Linktipps:

Der Vierzehn-Punkte-Plan im Wortlaut (PDF-Datei).

An dem Plan stören Nobelpreisträger Paul Krugman die harten Sparvorgaben, auch für die nicht-verschuldeten Staaten. "Woher soll dann der Aufschwung kommen?", schreibt er.

Tyler Cowen, Professor in Virginia, ist ebenfalls skeptisch: "Wenn mir jemand gesagt hätte, dass das ein sartirischer Text wäre, hätte ich es geglaubt."

© SZ vom 22.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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