Krise in Europa:Furcht vor dem globalen Zusammenbruch

Pessimismus und Schuldzuweisungen: Bei der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank geißeln die Vereinigten Staaten das Krisenmanagement der Europäer. Es solle endlich etwas passieren - und zwar sofort.

Claus Hulverscheidt und Nikolaus Piper

Die Euro-Staaten geraten unter immer stärkeren internationalen Druck, ihr Schuldenproblem endlich zu lösen. Das wurde am Wochenende bei der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington deutlich. Führende Vertreter der USA sowie mehrerer großer Industrie- und Schwellenländer bezeichneten das bisherige Krisenmanagement der Euro-Regierungen als unzureichend und verlangten eine drastische Aufstockung des Rettungsfonds' EFSF. "Uns läuft die Zeit davon. Die Euro-Zone hat noch sechs Wochen Zeit, diese politische Krise zu lösen", sagte der britische Finanzminister George Osborne. Auch seine Kollegen aus den USA und Brasilien, Timothy Geithner und Guido Mantega, forderten ein sofortiges Handeln der Europäer.

Krise in Europa: Bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank streiten sich Europäer und Amerikaner.

Bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank streiten sich Europäer und Amerikaner.

(Foto: AFP)

Die Diskussion darüber, ob und auf welchem Wege der EFSF aufgestockt werden kann, war zumindest hinter den Kulissen das beherrschende Thema der IWF-Tagung. Aus Sicht der Euro-Zonen-Kritiker werden die Finanzmärkte so lange von weiteren schweren Turbulenzen erschüttert werden, wie Ungewissheit darüber herrscht, ob die Mitgliedsländer der Währungsunion zumindest im Grundsatz dazu bereit sind, nach Griechenland, Portugal und Irland notfalls auch Italien und Spanien aufzufangen. Dafür reichten die EFSF-Mittel von demnächst 440 Milliarden aber bei weitem nicht aus. Sie müssten vielmehr mindestens versiebenfacht werden.

"Vollkommen fehl am Platze"

Auch Vertreter der Euro-Zone, darunter Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, sein französischer Amtskollege Francois Baroin und EU-Währungskommissar Olli Rehn, deuteten an, dass es nötig werden könnte, das EFSF-Kapital zu "hebeln". Schäuble schloss nicht aus, dass sich die privaten Gläubiger der Schuldenstaaten, also insbesondere Banken und Versicherungen, in Zukunft stärker an Rettungsaktionen beteiligen müssten. Bisher gibt es eine solche Beteiligung nur im Falle Griechenlands. Sie ist allerdings beschränkt und freiwillig.

Eine einfache Erhöhung des Fonds-Volumens kommt allerdings nicht in Frage, weil der Bundestag und andere nationale Parlamente dies mutmaßlich nicht mitmachen würden. Stattdessen wird darüber diskutiert, dem Hilfsfonds eine unbegrenzte Kreditlinie bei der Europäischen Zentralbank (EZB) einzuräumen. Dies stößt jedoch bei Notenbankern, allen voran bei Bundesbankpräsident Jens Weidmann, auf Ablehnung. Der "bequeme Weg" für die Euro-Regierungen, Haushaltslöcher mit EZB-Geld zu stopfen, sei im EU-Vertrag aus gutem Grund verboten, sagte er. Schließlich würde eine solche "monetäre Staatsfinanzierung" der Aufgabe der Notenbank zuwiderlaufen, für Preisstabilität zu sorgen.

Schäuble bezeichnete die anhaltende Nervosität an den Finanzmärkten als "völlig übertrieben", räumte aber zugleich ein, dass die Turbulenzen den Regierungen nicht gleichgültig sein könnten. "Es gibt keinen Anlass zu Panik und Schwarzmalerei", sagte der Minister. "Wenn wir entschlossen voran gehen, wird die Weltwirtschaft bald schon wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen."

Dieser Optimismus wurde in Washington von vielen Delegierten nicht geteilt. Vielmehr war die IWF-Tagung geprägt von Konjunkturpessimismus und gegenseitigen Schuldzuweisungen. US-Finanzminister Geithner sagte, die Euro-Staaten müssten endlich eine Brandmauer errichten, um einen Flächenbrand zu verhindern. Nur ein "unmissverständlicher, gemeinsamer Einsatz" der europäischen Regierungen und der EZB könne noch verhindern, dass aus den Schuldenproblemen einiger Euro-Staaten am Ende ein "globaler Zusammenbruch" werde.

Epizentrum der Krise

Der scheidende EZB-Präsident Jean-Claude Trichet räumte ein: "Wir haben eine globale Krise der Kreditwürdigkeit von Staaten, und wir sind das Epizentrum dieser Krise", sagte er. Zugleich warb er um Verständnis für die Entscheidungsprozesse in Europa. "Wir sind Demokratien." Vertreter der Euro-Zone übten Kritik an den USA. Auch dort sei der anhaltende politische Streit zwischen Republikanern und Demokraten wenig vertrauensbildend, hieß es. Statt mit dem Finger auf Europa zu zeigen und "über Details einer gigantischen EFSF-Ausweitung zu spekulieren", solle Geithner lieber die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme seines eigenen Landes lösen.

Schäuble zeigte sich offen für den Vorschlag, die Einführung eines dauerhaften Schutzschirms für die Euro-Zone, des sogenannten ESM, vorzuziehen. Nach bisheriger Planung soll der ESM am 1. Juli 2013 den provisorischen Hilfsfonds EFSF ablösen. "Wenn der ESM früher in Kraft gesetzt werden kann, dann hätten wir nichts dagegen", sagte der Minister. Der ESM soll eine Art europäischer Währungsfonds nach dem Vorbild des Internationalen Währungsfonds' (IWF) werden, wohingegen der EFSF nur eine Geldsammelstelle ist, die Schuldverschreibungen auf den Kapitalmärkten verkauft und das eingenommene Geld an Krisenländer weiter verleiht.

Schäuble betonte allerdings, dass zunächst die im Juli beschlossene Reform des EFSF in nationales Recht umgesetzt werden müsse. Mit ihrer Hilfe soll das maximale Ausleihvolumen auf 440 Milliarden Euro verdoppelt werden. Zudem erhält der Fonds neue Instrumente: So kann er künftig vorbeugend Kredite an Euro-Länder vergeben, bei der Stützung von Banken helfen und Anleihen kriselnder Staaten auf den Kapitalmärkten kaufen. Bundestag und Bundesrat sollen Ende dieser Woche darüber abstimmen.

Mit der Reform werden auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, Griechenland notfalls in eine geordnete Insolvenz zu schicken. Schäuble bekräftigte allerdings, dass das nicht das Ziel sei. Der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos habe noch einmal versichert, dass sein Land alle Auflagen erfüllen wolle. Schäuble deutete allerdings an, dass das geplante zweite Hilfspaket für Griechenland neu verhandelt werden müsse, weil die zugrunde liegenden Zahlen nicht mehr stimmten. Hintergrund ist, dass der harte Sparkurs der Athener Regierung die Rezession im Land verschärft und das Steueraufkommen verringert hat. Das Land wird deshalb mehr Kredite benötigen als die bisher in Aussicht gestellten 159 Milliarden Euro. Im Zuge der Neuverhandlungen wird auch die Frage zur Sprache kommen, ob sich die privaten Gläubiger stärker an den Kosten beteiligen sollen. Sie haben sich bisher dazu bereit erklärt, auf 21 Prozent ihrer Forderungen zu verzichten. Im Gegenzug sollen sie von Euro-Regierungen Sicherheiten erhalten.

Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann bezeichnete Spekulationen über ein frühes Ende des Euro als "vollkommen fehl am Platze". Vor den Mitgliedern des Institutes of International Finance (IIF), einer Interessenvertretung globaler Banken, sagte er, der Euro habe sich bewährt. Umso wichtiger sei es, Zweifel an seinen "institutionellen Grundlagen" zu beseitigen. Ackermann bekannte sich zu den freiwilligen Verpflichtungen der privaten Banken gegenüber Griechenland. Dadurch würden Athens Schulden um 27 Milliarden Euro gekürzt, außerdem spare die Regierung bis 2020 jährlich 300 Millionen Euro an Zinsen. Die Vereinbarungen dürften jetzt nicht in Frage gestellt werden.

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