Krise in Europa:Die verlorene Generation

Der Chef des Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, greift zu ungewöhnlich drastischen Worten: Europa müsse sich darauf gefasst machen, dass eine ganze Generation an den Rand der Gesellschaft gedrückt werde.

Markus Zydra

Eigentlich ist Dominique Strauss-Kahn als Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die globalen Probleme zuständig. Doch bei diesem Kongress der Europäischen Zentralbank spricht der dominante Franzose über die regionalen Probleme eines Staatenbunds, in dem er groß geworden ist: über Europa. "Die schuldengeplagte EU muss die Ketten der Wachstumsschwäche sprengen und die europäische Integration forcieren", sagte Strauss-Kahn am Freitag in Frankfurt.

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Dominique Strauss-Kahn: "Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass wir eine verlorene Generation haben - vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt."

(Foto: AFP)

Auf dem Podium neben ihm lauschten drei Herren seinen Worten: EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, Henrique Meirelles, Chef der Notenbank Brasiliens, sowie der Chef der amerikanischen Notenbank Fed, Ben Bernanke. Europa, so Strauss-Kahn weiter, solle auch die Reform des Jobmarktes voranbringen, da es unter einer chronisch hohen Arbeitslosigkeit leide. "Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass wir eine verlorene Generation haben - vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt."

Strauss-Kahn, ein Fuchs

Trichet mag der Auftritt seines Landsmanns gefallen haben, denn der EZB-Chef hatte einen Tag zuvor selbst einen Appell an die EU gerichtet, sich grundlegend zu reformieren. Und dennoch ist Strauss-Kahn ein Fuchs. Man hört, er wolle 2012 neuer französischer Präsident werden, doch als IWF-Chef sollte er sich nicht in die französische Innenpolitik einmischen. Also wählte er stattdessen die Europapolitik als Thema, um sich zu profilieren.

Wenn mächtige Männer in der Öffentlichkeit streiten, dann hört sich das selten so an. Man muss sich die Fehde mitdenken, wenn Worte durch versöhnlich geformte Lippen gepresst werden. Ben Bernanke schaut in seinen Redebeiträgen auch immer freundlich drein. Dabei weiß der US-Notenbankchef ganz genau, wie sehr seine Geldpolitik den Rest der Welt aufbringt. Weitere 600MilliardenDollar will Bernanke in die amerikanische Wirtschaft pumpen. "Dadurch bleiben die Zinsen niedrig, was die Wirtschaft stimuliert. Sonst stehen die USA vor einer langen Phase der strukturellen Arbeitslosigkeit, was nicht akzeptabel ist", sagte Bernanke. Das Problem für den Rest der Welt: Viele der frisch gedruckten Milliarden verlassen die USA. Banken und Fonds investieren das Geld lieber in Schwellenländer wie Brasilien, Südafrika und Indien. Dort winken zwar höhere Renditen, dort droht angesichts der Geldschwemme von außen aber auch gefährliche Inflation.

Davon konnte in Frankfurt der brasilianische Notenbankchef Henrique Meirelles berichten, als er - in freundlich formulierten Sätzen - seine scharfe Kritik an Bernanke richtete, der neben ihm saß: "Es ist schlicht ein Fakt, dass es Ungleichgewichte und politische Entscheidungen gibt, die zu Kapitalimporten führen, die gefährliche Folgen haben können", so Meirelles. Jede Zentralbank wird darauf ihre eigene Antwort finden müssen." Brasilien hat bereits mit Kapitalverkehrskontrollen gedroht, um die heimische Wirtschaft zu schützen.

Doch Bernanke bleibt ungerührt. Der Mann mit dem Dreitagebart verzieht selten eine Miene. Auch dann nicht, als IWF-Chef Strauss-Kahn ein wenig stichelt. Die Vorgeschichte dazu ist folgende: Der US-Notenbankchef hatte sich gerade in seiner Rede zum wiederholten Mal China vorgenommen. Das Land verstärke die globalen Probleme durch künstliche Unterbewertung der Landeswährung Yuan, "die nicht existieren würden, wenn der Wechselkurs die ökonomischen Fundamentaldaten besser widerspiegeln würde."

China finanziere deshalb seinen enormen ökonomischen Aufstieg nicht zuletzt auf dem Rücken anderer und ziehe die Folgen seines Handelns für die Weltwirtschaft nur unzureichend in Betracht. Der listig dreinschauende Strauss-Kahn entgegnete: "China hat seinen Handelsüberschuss zuletzt ein wenig abgebaut, das amerikanische Defizit ist aber unverändert hoch. Es liegt also nicht nur an der Währungspolitik." Ein Punkt für den Franzosen, der dann aber noch versöhnlich nachschob, "dass Länder, wenn sie wie China größere Spieler werden, auch begreifen müssen, dass sie mehr Verantwortung haben."

Kompetenzen abgeben

Strauss-Kahn, gerade so schön in Fahrt, forderte weiter, dass die EU-Einzelstaaten mehr Kompetenzen an Brüssel abgeben müssten. Dabei gehe es auch darum, dass die Hauptverantwortung für Strukturreformen vom Europäischen Rat - der besteht aus den Staats- und Regierungschefs - auf die Kommission als Hüterin des Stabilitätspakts verlagert werde. "Eine separate, unabhängige Institution wäre auch geeignet." Bernanke sprach von einer Weltwirtschaft der zwei Geschwindigkeiten. Die meisten entwickelten Länder hätten geringes Wachstum, viele sich entwickelnde Wirtschaftsräume dagegen ein starkes Wachstum. So sei die reale Produktion in China in den vergangenen Jahren um 70 Prozent gestiegen, in Indien um 55 Prozent. Er sprach sich für die Aufwertung von Währungen in Ländern mit hohen Leistungsbilanz- und Exportüberschüssen aus - und warnte vor den globalen Folgen eines möglichen Währungskrieges. "Die Strategie der Unterbewertung hat entscheidende Schwächen, sowohl für die jeweiligen Länder als auch für das globale Wirtschaftssystem." Langfristig seien Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen nicht tragbar.

Strauss-Kahn kritisierte in diesem Zusammenhang konkret Deutschland und dessen Exportüberschüsse. "Das Wachstum wird stärker von der Binnenwirtschaft angetrieben werden müssen." Es sei einfach nicht richtig, Überschüsse per se als gut und Leistungsbilanzdefizite als schlecht zu betrachten.

Damit wollte sich EZB-Präsident Trichet nun auch nicht anfreunden. "Die Eurozone als Ganzes hat keinerlei Überschüsse oder Defizite aufzuweisen", sagte er und schob die freundliche Bitte nach, die Euro-Länder nicht als einzelne Staaten, sondern als einen Wirtschaftsraum zu betrachten. Damit griff Trichet ein Argument auf, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) benutzte, um Vorwürfe aus den USA wegen der deutschen Exportüberschüsse zurückzuweisen.

Die Debatte fand dann ihren versöhnlichen Höhepunkt im Schulterschluss zwischen den Zentralbankern Trichet und Bernanke. Hier saßen sich ja zwei geldpolitische Denkrichtungen gegenüber. Die EZB, in der Tradition der Deutschen Bundesbank, will den Geldwert sichern, die US-Notenbank Fed möchte die Wirtschaft ankurbeln, was sich mit Geldwertstabilität nicht immer verträgt. Und da sagte Bernanke: "Die Inflation in den USA beträgt nur ein Prozent, unser Ziel sind aber zwei Prozent." Trichet applaudierte, und es hätte nur noch gefehlt, dass er den spröden Kollegen in den Arm nimmt, als er jubelte: "Aber Ben, das ist ja auch exakt unser Inflationsziel."

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