Krise in der EU:Griechenland ist nicht Kalifornien

In der EU tobt eine heftige Auseinandersetzung um Griechenland. Wer soll retten? Tut es keiner, droht die "Mutter aller Finanzkrisen".

Claus Hulverscheidt

Wer wissen will, was für ein Land dieses Griechenland ist, muss nur einen Blick in die hiesigen Boulevard-Blätter werfen. Von korrupten Politikern ist da die Rede, von Schwarzarbeit und Steuerbetrug, von mieser Zahlungsmoral und Luxus-Renten.

Mehr als ein Drittel der griechischen Arbeitnehmer ist im öffentlichen Dienst beschäftigt, es gibt 14 gesetzliche Feiertage, und fällt einer davon auf ein Wochenende, bleiben die Beamten einfach an einem anderen Tag zu Hause. Und einem solchen Volk sollen die Bundesbürger ihr Geld hinterherwerfen?

In der FDP hat es Anfang Februar eine kurze Debatte darüber gegeben, ob sich die drohende Staatspleite Griechenlands nicht innenpolitisch ausschlachten ließe, schließlich ist das Thema absolut stammtischtauglich. Für einen Bundesaußenminister wäre das jedoch unziemlich gewesen, weshalb es am Ende nicht die Griechen waren, die für die Profilierungskampagne des FDP-Vorsitzenden herhalten mussten, sondern die Hartz-IV-Empfänger.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund, der die Liberalen zur Zurückhaltung bewog: Wie alle anderen Mitglieder der Bundesregierung weiß auch Guido Westerwelle ganz genau, dass es in Wahrheit längst nicht mehr um die Frage geht, ob die Welt Griechenland hilft, sondern nur noch wie. So wahr es ist, dass Ministerpräsident Giorgos Papandreou mit dem gedankenlosen Anspruchsdenken vieler seiner Mitbürger zunächst einmal selbst fertig werden muss, so wahr ist es auch, dass er den Zwei-Fronten-Kampf gegen die Gewerkschaften einerseits und die Weltfinanzmärkte andererseits allein nicht wird gewinnen können.

Vordergründig betrachtet könnte das den EU-Partnern egal sein, denn Griechenland spielt für die europäische Wirtschaft praktisch keine Rolle. Auch Portugal und Irland tun das nicht. Anders sieht es da bei Spanien und Italien aus: Springt die Krise auf sie über, hat plötzlich die gesamte Euro-Zone ein gravierendes Problem: Dann droht ein Auseinanderbrechen der Währungsunion und damit, wie es der US-Ökonom Barry Eichengreen einmal sagte, die "Mutter aller Finanzkrisen".

Hinzu kommt: Die EU-Partner sind keineswegs unschuldig an den Problemen ihrer südlichen Nachbarn. Sie guckten nicht nur weg, als die Griechen ihre Statistiken fälschten und die Spanier ihre Immobilienblase produzierten. Sie taten auch zu wenig dafür, die Währungsunion zur politischen Union weiterzuentwickeln und damit ihren größten Geburtsfehler zu beseitigen: Heute wird die Geldpolitik in Europa zentral gesteuert, während in der Wirtschafts- und Finanzpolitik nach wie vor jeder unkoordiniert vor sich hinwerkelt.

Ein geliehener Aufschwung

Gut besichtigen lassen sich die Folgen dieser Disharmonie in Spanien, das lange als EU-Musterschüler galt. Die Wirtschaft boomte, der Staatshaushalt produzierte Überschüsse, die öffentliche Verschuldung sank. Der Aufschwung war aber nicht etwa das Ergebnis rigider Reformen, sondern ein geliehener: Die Einführung des Euro führte zu einem Zinssturz, der wiederum einen Bauboom auslöste. Als die Inflationsrate - anders als im Rest Europas - kräftig anzog, hätte eigentlich die Notenbank einschreiten und die Zinsen wieder anheben müssen. Dieses Korrektiv aber gibt es seit 1999 nicht mehr - und die Politik lieferte auch keinen Ersatz. Die Zeche zahlen jetzt alle.

Hätte Spanien einer politischen statt nur einer Währungsunion angehört, hätte die Geschichte anders ausgehen können. Beispiel Florida: Auch dort boomte der Immobilienmarkt - es folgte aber weder ein Inflationsschub noch eine Schuldenkrise. Es gibt dafür viele Gründe, einer war, dass Florida als Teil des Bundesstaats USA im Aufschwung nicht schalten und walten konnte, wie es wollte, dafür später in der Krise aber Hilfe aus Washington erhielt. Spanien und Griechenland hingegen ist dieser Weg verschlossen, laut Vertrag dürfen ihnen die EU-Partner nicht einmal direkt helfen.

Was also tun? Am sinnvollsten wäre es, diejenige Institution einzuschalten, die für die Lösung exakt solcher Zahlungsprobleme geschaffen wurde: den Internationalen Währungsfonds, kurz IWF. Viele EU-Politiker sträuben sich gegen diese Idee, manche aus falschem Stolz, andere weil sie fürchten, dass es der Eurozone als Schwäche ausgelegt würde, wenn sie Hilfe von außen benötigt. Aber wäre der Reputationsschaden tatsächlich größer? Noch größer, als er ohnehin schon ist?

Der IWF hat in der Krisenbekämpfung nicht nur die größte Erfahrung, er hat im Gegensatz zur EU-Kommission auch die Mittel, Sparauflagen durchzusetzen. Ein Engagement wäre auch kein Tabubruch, denn der Fonds ist längst in der EU tätig: in Ungarn, in Lettland, in Rumänien. Und schließlich: Die G-20-Staaten haben im Lichte der jüngsten Krise gerade erst beschlossen, die Mittel des IWF massiv aufzustocken. Was soll vor diesem Hintergrund eine Debatte über den Aufbau eines eigenen Europäischen Währungsfonds, wie sie die EU jetzt führt?

Wolfgang Schäuble hat jüngst IWF-Hilfen für Griechenland mit der Begründung abgelehnt, dass die USA den Fonds auch nicht einschalten würden, sollte Kalifornien in eine Krise geraten. Das war, was die Analyse anbelangt, so richtig, wie die Schlussfolgerung falsch ist. Denn Griechenland ist nicht Kalifornien. So wenig, wie Spanien Florida ist.

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