Krise bei den Banken:"Das Schlimmste steht uns noch bevor"

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Die Finanzkrise schien schon fast vorbei - doch sie ist noch nicht einmal richtig angekommen. Kreditstrategie-Chef Philip Gisdakis von der Unicredit über drohende Pleiten, das Lehman-Experiment und das Gedächtnis der Wall Street.

Hans von der Hagen

sueddeutsche.de: Lehman ist pleite, Merrill Lynch wurde im Handstreich übernommen, Fannie Mae und Freddie Mac unter Zwangsverwaltung gestellt. Der weltweit zweitgrößte Erstversicherer AIG wird gerade gerettet und böse Gerüchte über die größte Sparkasse des Landes machen die Runde - warum kollabieren jetzt so viele Institute?

"Wenn sich eine Bank einen Investor an Bord holt, muss sie vom Aufschwung überzeugt sein: Sie hat keinen zweiten Versuch." (Foto: Foto: AP)

Philip Gisdakis: Nach 15 Monaten Krise fehlt die Substanz. Viele stemmen sich ja nun schon einige Zeit gegen den Untergang und stellen die eigene Lage besser da als sie ist. Nehmen Sie Lehman: Vor einem Jahr hatte die Bank einen phantastischen Quartalsbericht vorgelegt. Im Nachhinein kann man nur sagen: Die Zahlen müssen geschönt worden sein, ein derart rascher Niedergang lässt sich anders nicht erklären. Diese Woche sollte Lehman erneut Quartalszahlen präsentieren. Da ließen sich offensichtlich die existenzbedrohenden Probleme nicht mehr länger verschleiern. Schon seit Wochen und Monaten hatte Lehman versucht, einen Partner zu finden, der frisches Kapital einschießt. Da der Aktienkurs aber immer weiter abstürzte, war dazu niemand mehr bereit.

sueddeutsche.de: Ist Lehman Opfer einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung?

Gisdakis: Teilweise schon. Es ist fatal, wenn eine Aktie derart an Substanz verliert. Man könnte einwenden, dass das Unternehmen dann eben billiger wird und sich schneller ein Käufer findet. Doch das ist falsch. Bis zu einem gewissen Niveau gilt ein Unternehmen vielleicht noch als günstig und kann auf einen Käufer hoffen. Doch wenn es dann wie bei Lehmann immer weiter abwärts geht, denken alle: Da gibt es ein Skelett im Schrank - und lassen die Finger davon. Das ist ein gefährlicher, sich selbst verstärkender Prozess. Bei AIG haben wir das gleiche Problem.

sueddeutsche.de: Im Gegensatz dazu verdient Goldman Sachs auch jetzt noch recht ordentlich? Was macht das Geldhaus besser als die Konkurrenz?

Gisdakis: In einem Marktumfeld, wie wir es jetzt haben, müssen sie in der Lage sein, die eigene Situation zu kontrollieren. Sonst werden sie vom Markt getrieben. Goldman Sachs ist dies weniger durch ein überlegenes Geschäftsmodell gelungen - das ist mehr oder weniger für alle Investmentbanken gleich -, sondern durch eine gute Implementierung des Geschäftsmodells. Dazu gehört vor allem ein sehr diszipliniertes und ausgefeiltes Risikomanagement. Außerdem ist das Goldman-Personal exzellent in Politik und Wirtschaft vernetzt.

sueddeutsche.de: Die großen Bankübernahmen in den letzten Wochen in Deutschland schienen Hinweise darauf zu sein, dass es nun doch langsam aufwärts gehen könnte - wer kauft schon eine Bank, wenn er vermuten würde, dass ein weiterer Crash bevorsteht? War die Branche zu früh zu optimistisch?

Gisdakis: Viele haben gerade zur Jahresmitte noch gedacht, dass die Krise jetzt schnell vorbei sein könnte. Vor allem, als sie sahen, dass viele Investoren wieder bereit waren, bei den Banken einzusteigen. Das signalisierte: Jetzt geht es wieder bergauf.

sueddeutsche.de: Aber man wusste doch, wie händeringend die Banken das Geld brauchten. In so einer Situation verspricht eine Bank alles, was ein Investor hören will ...

Gisdakis: Die Bankbranche kennt einen wichtigen Grundsatz: "Es gibt nur einen Versuch." Eine Bank kann es sich demnach nicht leisten, einen Investor ein zweites Mal zu behelligen und ihm zu sagen: "Tut mir Leid, dein Geld ist schon wieder weg. Dafür bin jetzt noch billiger." Wenn der erste Versuch scheitert und es nicht aufwärts geht, war es das. Wer sich einen Investor an Bord holt, muss vom Aufschwung überzeugt sein, denn er schneidet sich den Rückweg ab. Gerade darum haben viele diesen Investments eine so große Bedeutung beigemessen.

sueddeutsche.de: Hat dieses Prinzip - "Es gibt nur einen Versuch" - auch Merrill stolpern lassen?

Gisdakis: Exakt. Die haben viel Geld in Singapur eingesammelt. Es hat nicht gereicht. Jetzt ist es vorbei.

sueddeutsche.de: Mit Bear Stearns und Lehman sind ausgerechnet jene Institute als Erstes in Bedrängnis geraten, die sich 1998 geweigert hatten, bei der großen Hedgefondspleite rund um LTCM und der damals von der Fed orchestrierten Rettungsaktion mitzumachen. Ist das Zufall? Hat die Wall Street ein gutes Gedächtnis oder ging es beiden Instituten schon immer etwas schlechter?

Gisdakis: Es gibt Leute im Markt, die sagen, dass das Verhalten während der LTCM-Krise tatsächlich zum Untergang der beiden Institute beitrug. Andere Banken hätten jetzt aus diesem Grund die Hilfe verweigert. Allerdings unterschied sich der eher rustikale Auftritt von Bear Stearns und Lehman Brothers am Finanzmarkt schon immer etwas vom Stil der übrigen, etwas feineren Banken wie JP Morgan und Morgan Stanley. Möglicherweise dachten viele einfach nur: Die passen nicht zu uns.

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sueddeutsche.de: Mit AIG war nun keine Bank, sondern ein Versicherer betroffen. Bekommt die Finanzkrise eine zweite Front?

Philip Gisdakis, designierter Chef der Kreditstrategie bei Unicredit. (Foto: Foto: oH)

Gisdakis: AIG ist ein besonderer Fall und steht nicht stellvertretend für die gesamte Versicherungsbranche: AIG hat das Geld der Versicherten nicht nur in herkömmlichen Anlagen wie Aktien und Anleihen angelegt, sondern im großen Stil auch Kreditderivate damit abgesichert. Mittlerweile musste AIG bei vielen Ausfällen die Rückzahlung als Garantiegeber übernehmen. Und auch hier sehen wir jetzt einen dieser berüchtigten, sich selbst verstärkenden Prozesse: Weil das Geld knapper wird, hat sich die Kreditwürdigkeit des Unternehmens verschlechtert, das Rating wurde entsprechend herabgesetzt. Aufgrund des schwächeren Ratings hätte AIG als Garantiegeber rund 14 Milliarden Dollar zusätzliches Kapital bereitstellen müssen. Das konnte der Versicherer aber nicht mehr.

sueddeutsche.de: Die USA ließen Lehman erst Pleite gehen und stützen jetzt AIG. Welches Prinzip steckt dahinter: Wann spielt der Staat Samariter, wann nicht?

Gisdakis: AIG und auch Washington Mutual sind Institute, die die USA nicht schulterzuckend pleitegehen lassen kann. Sie sind zu groß. Die US-Regierung wird in jedem Einzelfall abschätzen, ob die Pleite teurer ist - oder der Schaden für die Volkswirtschaft, der durch Schockwellen eines Kollapses entsteht.

sueddeutsche.de: Woran bemisst sich der Schaden für die Volkswirtschaft? Wird immer dann gerettet, wenn überwiegend Bürger von einem Unternehmenskollaps betroffen sind?

Gisdakis: Richtig - und auch, wenn Banken in der Firmenwelt weit verdrahtet sind. Das heißt, herkömmliche Banken und Versicher können eher auf öffentliche Unterstützung hoffen als Investmentbanken. Da gilt: Die dürfen pleitegehen.

sueddeutsche.de: Lehman ist demnach ein Experiment?

Gisdakis: Das kann man so sehen. Überraschend ist aber nicht, dass Lehman pleiteging, sondern dass Bear Stearns gerettet wurde. Da fehlte der US-Regierung womöglich noch der Mut. Bei Lehman kann sie überprüfen, ob der Zusammenbruch einer Investmentbank nicht doch auch systemische Risiken birgt.

sueddeutsche.de: Die Kreditkrise verläuft nach Lehrbuch. Was sagt das Lehrbuch - wo stehen wir jetzt?

Gisdakis: Wir stehen an dem Punkt, an dem die Kreditkrise auf die Realwirtschaft überzuschwappen droht. Die Konjunkturaussichten haben sich zwar eingetrübt, doch die Folgen der Kreditkrise sind in der Realwirtschaft noch gar nicht angekommen.

sueddeutsche.de: Das lässt Schlimmes befürchten?

Gisdakis: Das Schlimmste steht uns noch bevor. Und es wird eine Reihe von Quartalen dauern, bis wir da wieder herauskommen.

sueddeutsche.de: Was heißt das konkret?

Gisdakis: Die Banken werden weniger Geld zur Verfügung haben. Sie werden zwangsläufig die Kreditvergabe für Unternehmen und Verbraucher einschränken müssen. Das wird vor allem Unternehmen treffen, die hochverschuldet sind. Etwa, weil sie stark expandieren oder von Finanzinvestoren übernommen wurden. Da droht dann die nächste Pleitewelle. Auch den Verbrauchern wird das Geld fehlen.

sueddeutsche.de: Steckt das Überschwappen der Krise auf die Realwirtschaft schon in den Börsenkursen?

Gisdakis: Nein. Darum ist es sehr wahrscheinlich, dass der Dax noch ein paar hundert Punkte weiter nachgibt.

sueddeutsche.de: Zusätzlich gibt es gerade in diesen Tagen wieder Spekulationen über erheblichen neuen Abschreibungsbedarf, etwa bei Instituten wie der UBS. Das würde bedeuten, dass sich auch die Finanzkrise selbst noch einmal zuspitzt. Warum droht jetzt ein weiterer heißer Herbst?

Gisdakis: Immer neue Wertpapierklassen werden in den Strudel der Kreditkrise gerissen. Erst waren es rund um Immobilien die Subprimepapiere, jetzt sind es die Alt-A-Hypotheken.

Auf der nächsten Seite: Sind Renditen von 25 Prozent noch zu halten?

sueddeutsche.de: Subprime-Hypotheken galten in der Sprache der Banker als hochgiftig. Ist Alt-A weniger toxisch?

Gisdakis: Das sind Papiere, die zwischen dem Subprime- und dem Prime-Segment liegen. Beispielsweise Hypotheken für Selbständige, die keinen regelmäßigen Einkommensnachweis haben und bei den Banken Kredit gegen Selbstauskunft bekommen. Es ist ein großes Marktsegment - mit einem Volumen an ausstehenden Krediten von einer Billion Dollar ist es sogar größer als der Subprimebereich. Aber auch im noch höherklassigen Prime-Bereich und bei den Geschäftsimmobilien gibt es mittlerweile erhebliche Probleme.

sueddeutsche.de: Wie wird die Bankbranche nach dieser Krise aussehen?

Gisdakis: Es wird neue Geschäftsmodelle und weniger Anbieter geben.

sueddeutsche.de: Wir erleben das Comeback der guten alten Universalbank?

Gisdakis: Das lässt sich derzeit gut beobachten. Die Bank of America hat beispielsweise das Investmenthaus Merrill Lynch geschluckt. Die Deutsche Bank übernimmt die Postbank. Dahinter steckt das Kalkül, dass die Einnahmen aus dem Privatkundengeschäft die Liquiditätslage in Finanzkrisen stabilisieren. Die Banken werden sich auch wieder stärker auf den Heimmarkt konzentrieren: Es gibt also eine Rückabwicklung der Globalisierung.

sueddeutsche.de: Da werden Renditen von mehr als zwanzig Prozent kaum noch zu erzielen sein?

Gisdakis: Nein. Wer soll auch auf Dauer eine Rendite von 25 Prozent bezahlen, wenn die Wirtschaft um ein, zwei oder drei Prozent wächst?

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