Kreditklemme:Experten prophezeien Krise

Die Vertrauenskrise hat den Markt für kurzfristige Schuldtitel erreicht: Experten erwarten bereits weitere Geldspritzen der Notenbanken.

Simone Boehringer

Die Vertrauenskrise am internationalen Kapitalmarkt weitet sich aus. Da in dieser Woche kurzfristige Schuldverschreibungen im Wert von etwa 130 Milliarden Dollar fällig werden, rechnen Experten mit einer sehr angespannten Lage am Geldmarkt. "Das Auslaufen diverser sogenannter Commercial-Paper-Programme wird weitere Geldspritzen der Zentralbanken nötig werden lassen", prognostiziert etwa Holger Schmieding, der für Europa zuständige Chefvolkswirt der Bank of America. Tatsächlich hat die Europäische Zentralbank für diese Woche bereits einen zusätzlichen Drei-Monats-Tender in Aussicht gestellt. Auch die amerikanische Notenbank dürfte Fed-Chef Ben Bernanke zufolge nicht zögern, die Märkte mit weiteren Milliardenbeträgen zu unterstützen, wenn es nötig wird.

Kreditklemme: Die US-Hypothekenkrise hat nun auch den Markt für kurzfristige Schuldtitel erreicht, Experten erwarten, dass die Notenbanken abermals Geld nachschießen müssen.

Die US-Hypothekenkrise hat nun auch den Markt für kurzfristige Schuldtitel erreicht, Experten erwarten, dass die Notenbanken abermals Geld nachschießen müssen.

(Foto: Foto: AP)

Normalerweise werden Commercial Papers, über deren Ausgabe sich Geldhäuser, aber auch Großunternehmen kurzfristig refinanzieren, problemlos in neue Papiere dieser Art umgeschichtet und am Kapitalmarkt verkauft. Doch derzeit finden sich für solche Anschlussfinanzierungen kaum noch Käufer. "Die Folgen der US-Hypothekenkrise sind nicht absehbar. Daher wollen die meisten Banken viel Geld aufnehmen, um für Ausfälle und Liquiditätsengpässe gewappnet zu sein, aber möglichst wenig davon mehr ausgeben", beobachtet Uwe Burkert, Chef des Anleihenresearch bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Mit anderen Worten: Es finden sich keine Abnehmer mehr - vor allem für solche Schuldtitel, deren Hintergründe nur noch die Ratingagenturen, nicht aber die Banken selbst kennen, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Begehrlichkeiten geweckt

Ursprünglich waren Commercial Papers für Unternehmen mit erstklassigen Bonitätsnoten (Ratings) eine Variante, sich am Kapitalmarkt unterjährig günstiger Geld zu beschaffen, als dies über eine herkömmliche Kreditlinie bei einer Bank möglich gewesen wäre. Banken nutzten diese Art der Geldbeschaffung ebenfalls als Alternative zu klassischen kurzfristigen Geldmarktgeschäften. Dies weckte jedoch bald Begehrlichkeiten und der Markt wurde zunehmend auch für Schuldner zweiter Klasse geöffnet. Diese mussten allerdings Sicherheiten hinterlegen, etwa Forderungen gegenüber Kunden oder gegenüber anderen Finanzinstituten. So entstanden die sogenannten Asset Backed Commercial Papers, die wiederum von Ratingagenturen benotet wurden. Die Bonität dieser Papiere richtete sich dabei nicht mehr nach der Kreditwürdigkeit des Emittenten, sondern nach der Wertschätzung der Sicherheiten hinter dem jeweiligen Schuldtitel.

Inzwischen ist der Markt für Commercial Papers auf ein Volumen von mehr als zwei Billionen US-Dollar gewachsen. Und mehr als die Hälfte des Volumens entfällt heute auf Papiere, die über Hypothekendarlehen, aber auch über Konsumenten- oder Autokredite oder andere Schuldtitel "abgesichert" sind. Für die potentiellen Käufer der Commercial Papers ist es unmöglich und auch viel zu aufwendig geworden, die Werthaltigkeit des jeweiligen zum Verkauf stehenden Titels zu beurteilen. Sie müssen sich voll auf die Noten der Ratingagenturen verlassen. Nachdem diese jedoch im Zuge der Hypothekenkrise mit der Anpassung ihrer Noten nach Ansicht vieler Finanzhäuser viel zu zögerlich waren und die Agenturen jüngst erst mögliche Herabstufungen im Commercial-Paper-Markt angekündigt haben, ist die Unsicherheit sehr groß.

Greenspan heizt Debatte an

"Wir haben auf diesem Markt momentan keine Bonitätskrise, sondern in erster Linie eine Vertrauenskrise", sagt LBBW-Experte Burkert. "Dass es jetzt die Commercial Papers trifft, liegt vor allem auch an der Kurzfristigkeit dieser Papiere", stellt Claus Vogt klar, Leiter der Analyseabteilung der Berliner Effektenbank. Beide sind sich jedoch einig: Je länger die Märkte zur Lösung des Liquiditätsengpasses auf die Hilfe der Zentralbanken angewiesen sind, desto weiter ziehen die Probleme Kreise. Die Ratingagenturen waren daher in den vergangenen Tagen bemüht, die Befürchtungen um einen Kollaps der kurzfristigen Kreditmärkte zu versachlichen. Standard & Poor's und Fitch schrieben sinngemäß, dass sie die Probleme am Commercial-Paper-Markt für die Mehrheit der Banken für beherrschbar halten.

Zuvor hatte Ex-US-Notenbank-Präsident Alan Greenspan die Diskussion angeheizt: In einem Zeitungsinterview verglich er die aktuelle Situation an den Finanzmärkten mit den Krisen 1987 und 1998. "Solange die Zentralbanken das frische Geld auch immer wieder, wie angekündigt, nach wenigen Wochen wieder aus dem Markt nehmen, können die Märkte mit dieser Hilfe noch eine Weile leben", sagt Holger Schmieding von der Bank of America.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: