Krankheit:Wer nicht gesund wird, muss gehen

Grippe

Der krankheitsbedingte Rauswurf sollte nur das letzte verbleibende Mittel zur Auflösung des Konflikts darstellen.

(Foto: Arno Burgi/dpa)

Arbeitnehmer sind bei langer oder häufiger Krankheit vor einer Kündigung nicht sicher. Doch immerhin gibt es Hürden.

Von Catrin Gesellensetter

Wer krank ist, kann nicht arbeiten. Und wer lange krank ist, kann lange nicht arbeiten. Das ist teuer - und ruft bei Arbeitgebern mitunter Trennungsfantasien hervor. Doch selbst ausgedehnte Fehlzeiten rechtfertigen nicht in jedem Fall eine Kündigung.

Es geht aufwärts in Deutschland. Zumindest mit dem Krankenstand. Die jüngst präsentierten Zahlen der Techniker Krankenkasse (TK) belegen: Der durchschnittliche Beschäftigte war im vergangenen Jahr 14,8 Tage krankgeschrieben. Ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Auch brauchen die Betroffenen immer länger, um wieder auf die Beine zu kommen - bei jedem 20. dauert die Genesung laut TK inzwischen länger als sechs Wochen.

Jeder Kranke bekommt den Lohn sechs Wochen weiter bezahlt

"Jeder Arbeitnehmer, der mindestens vier Wochen beim selben Unternehmen beschäftigt ist, hat, wenn er krank wird, einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber", sagt Matthias Sandmaier, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Anwaltskanzlei vangard in München. Das Gesetz begrenzt diese Leistung zwar auf grundsätzlich sechs Wochen pro Kalenderjahr. Diese Begrenzung greift aber nur, wenn die Fehlzeiten stets auf dasselbe Problem zurückgehen. "Jede Arbeitsunfähigkeit, die auf einer neuen Krankheit beruht, begründet daher auch einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung ", sagt der Jurist. Wer also zunächst sechs Wochen wegen eines komplizierten Beinbruchs ausfällt, um nach einem kurzen Intermezzo im Büro von einem Virus niedergestreckt zu werden, kann erneut darauf bauen, dass sein Chef ihm die vollen Bezüge überweist.

So viel soziale Sicherheit ist einerseits erfreulich. Sie kann für Unternehmen aber ausgesprochen teuer werden - vor allem, wenn die Gesundheit eines Beschäftigten sich über Jahre hinweg als labil erweist. Mancher Arbeitgeber denkt dann darüber nach, sich von dem angeschlagenen Mitarbeiter zu trennen. Rechtlich ist das durchaus möglich.

Grundsätzlich ist ein Rauswurf kein Tabu

"Anders als vielfach angenommen, sind Kündigungen wegen gesundheitlicher Beschwerden im deutschen Arbeitsrecht kein Tabu", sagt Gregor Dornbusch, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Baker & McKenzie in Frankfurt. "Häufige Kurz-Erkrankungen kommen ebenso als Kündigungsgrund infrage wie ein besonders langwieriges Gebrechen oder daraus resultierende Leistungsminderungen."

Damit ein krankheitsbedingter Rauswurf vor Gericht Bestand hat, müssen allerdings gleich mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens: Der Arbeitgeber muss Grund zu der Annahme haben, dass sich der Gesundheitszustand des Mitarbeiters auch in Zukunft nicht bessern wird. Und er muss diese "negative Gesundheitsprognose" auch vor Gericht belegen können.

"Schon hier legt die Rechtsprechung die Latte relativ hoch", sagt Rechtsanwalt Sandmaier. Fehlzeiten von bis zu sechs Wochen pro Kalenderjahr - auch über mehrere Jahre hinweg - rechtfertigen meist noch keine arbeitsrechtlichen Sanktionen. So hatte zum Beispiel das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz den Fall einer Maschinenbedienerin zu entscheiden, die im Zeitraum von 2001 bis 2009 zwischen 31 und 157 Tagen pro Jahr gefehlt hatte. Insgesamt kam die Frau auf 358 Fehltage. 2010 erhielt sie die Kündigung. Sie klagte dagegen - und bekam Recht( Az.: 5 Sa 152/11). Der Arbeitgeber, so das Gericht, hatte nicht ausreichend darlegen können, warum er auch in Zukunft mit Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen pro Kalenderjahr rechnete.

Die Gerichte stellen hohe Anforderungen

Die Gerichte stellen hohe Anforderungen

Selbst wenn ein Unternehmen schlüssig darlegen kann, warum es auch in Zukunft besonders lange oder besonders häufig auf einen kranken Mitarbeiter wird verzichten müssen, bedeutet das nicht, dass die Kündigung ohne weiteres durchgeht. Die Gerichte verlangen als zweite Voraussetzung, dass die Abwesenheit des Mitarbeiters die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt und drittens, dass die Weiterbeschäftigung eine unzumutbare Belastung für das Unternehmen darstellt.

Bei häufigen Kurzerkrankungen lässt sich dieser Nachweis noch vergleichsweise einfach führen. "Wenn ein Unternehmen immer wieder neue Vertretungen anheuern oder Überstundenzuschläge für die verbliebenen Kollegen zahlen muss oder wenn die Belastung durch ständige Entgeltfortzahlungen zu hoch wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Arbeitgeber Recht bekommt", sagt Anwalt Dornbusch. Bei längeren, ununterbrochenen Fehlzeiten hingegen ist die Kündigung schwieriger zu rechtfertigen. Denn kann ein Beschäftigter, etwa wegen Depressionen oder nach einem Unfall, für ein dreiviertel Jahr nicht im Büro erscheinen, kostet der den Arbeitgeber nur in den ersten sechs Wochen Geld - danach ist die Lohnfortzahlung beendet. Zudem lässt sich bei längeren Abwesenheiten deutlich einfacher eine Vertretung organisieren.

Der Chef muss zwingend noch ein Gespräch anbieten

Schließlich muss der krankheitsbedingte Rauswurf das letzte verbleibende Mittel zur Auflösung des Konflikts darstellen. Deshalb muss der Arbeitgeber für gesundheitlich angeschlagene Beschäftigte erst einmal nach einem leidensgerechten Arbeitsplatz suchen - und zwar über ein sogenanntes BEM-Gespräch. Die Abkürzung steht für "Betriebliches Eingliederungsmanagement" und bedeutet nichts anderes, als dass sich der Mitarbeiter, ein Personalverantwortlicher sowie Vertreter des Betriebsrats an einen Tisch setzen, um zu erörtern, "wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann", wie es im Gesetz heißt.

Versäumt es der Chef, ein solches Gespräch anzuregen, bevor er krankheitsbedingt kündigt, haben Beschäftigte gute Chancen, ihren Job vor Gericht zurückzuerobern (Bundesarbeitsgericht, Az. 2 AZR 755/13).

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