Süddeutsche Zeitung

Krankenversicherungen:Umsteigen verboten

Wer freiwillig gesetzlich versichert ist und in die private Krankenversicherung wechseln will, konnte das bisher ohne Probleme. Nun stellen sich einige Kassen quer.

Uwe Schmidt-Kasparek

Sechs gesetzliche Krankenkassen verweigern ihren Versicherten den Wechsel zu einer privaten Krankenversicherung. Der Grund: Die Kunden hatten einen zusätzlichen Wahltarif abgeschlossen - und sollen nun mit ihrem Umstieg warten.

"Die Bindungsfrist für Wahltarife muss erst abgelaufen sein", heißt es beim Verband der Ersatzkassen (VDEK) in Berlin, der rund 25,5 Millionen gesetzlich Versicherte vertritt. Je nach Art des Wahltarifs, beispielsweise für Beitragsrückgewähr oder Selbstbeteiligung, müssen Wechselwillige bis zu drei Jahren weiter in ihrer gesetzlichen Krankenkasse bleiben.

Dabei ist es seit Ende 2010 einfacher geworden, in die Private Krankenversicherung (PKV) zu wechseln. Die allgemeine dreijährige Wartefrist wurde gestrichen.

Mit ihrer Weigerung, freiwillig versicherte Kunden zur privaten Konkurrenz ziehen zu lassen, stehen Ersatzkassen wie Techniker oder Barmer im krassen Widerspruch zur Meinung der Aufsichtsbehörde. So weist das Bonner Bundesversicherungsamt (BVA) ausdrücklich daraufhin, dass bei einem Statuswechsel wegen Versicherungsfreiheit die Mindestbindungsfrist von Wahltarifen keine Anwendung findet.

Als Grund für ein aktuelles Rundschreiben nennt das BVA eine "Vielzahl von Eingaben, Anfragen und Beschwerden von Versicherten". Kein Wunder, denn für die Betroffenen kann ein längeres Verweilen in der gesetzlichen Krankenkasse fatale Folgen haben.

"Vor dem Eintritt in die private Krankenversicherung steht immer eine Gesundheitsprüfung", erläutert Peter Schramm, unabhängiger PKV-Sachverständiger aus Kronberg im Taunus. Wer als potenzieller Wechsler während der zusätzlichen Wartezeit in der gesetzlichen Krankenkasse (GKV) krank wird, muss unter Umständen einen hohen Risikozuschlag zahlen oder wird von den privaten Krankenversicherungen gar nicht mehr angenommen.

Nach Meinung der Aufsichtsbehörde geht es aber beim Umstieg von einer gesetzlichen Krankenkasse zu einem privaten Anbieter nicht um eine Kündigung. Die freiwillige Mitgliedschaft in der Krankenkasse entstehe bei Überschreiten der sogenannten Jahresarbeitsentgeltgrenze Kraft Gesetz automatisch. Der Kunde muss nur seinen Austritt erklären, um in eine private Kasse zu wechseln.

Die Grenze lag im Jahr 2010 bei 49.950 Euro und wurde Anfang 2011 sogar leicht auf 49.500 Euro abgesenkt. "Wörtlich kann man die Auffassung, dass die Mindestbindefrist von Wahltarifen für Wechsel keine Geltung haben, dem Gesetz nicht entnehmen", begründet Stefan Sieben vom VDEK die Praxis der Ersatzkassen.

Demgegenüber wollen die rund 120 Betriebskrankenkassen freiwillige Mitglieder, die zu einem Privatanbieter wechseln wollen, ohne besondere Frist ziehen lassen. "Wir kennen das BVA-Rundschreiben und sind ebenfalls der Meinung, dass die Versicherungsfreiheit als höherwertiges Recht jeder Bindung aus Wahltarifen vorgeht", sagt eine Sprecherin des BKK Bundesverbandes.

Wie sich die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) verhalten wollen, ist derzeit noch ungewiss. Sie unterliegen nicht der Aufsicht des BVA, sondern werden durch Länderbehörden kontrolliert.I

m Gegensatz zu anderen Kassenarten dürften die Ersatzkassen durch den seit dem 31. Dezember erleichterten Wechsel in die PKV viele Mitglieder verlieren. Der Grund: Über die Hälfte aller rund 4,8 Millionen freiwillig in der GKV Versicherten, sind Mitglieder einer der sechs Ersatzkassen.

Umstieg auf eine PKV will gut überlegt sein

Mitte März wollen die Ersatzkassen ihre Praxis nochmals beraten. Wenn keine Einigung mit der Aufsichtsbehörde erfolgt, müssen Betroffene notfalls ihren Umstieg einklagen. "Sicherheitshalber können Wechselwillige mit einem privaten Anbieter eine große Anwartschaft vereinbaren", rät Experte Schramm. Dabei wird sowohl die Gesundheit als auch das Eintrittsalter auf den derzeitigen Stand eingefroren. Der tatsächliche Versicherungseintritt kann dann später zu den jetzt vereinbarten Konditionen erfolgen. Der Service muss jedoch zusätzlich bezahlt werden.

Grundsätzlich sollte ein Wechsel in die PKV reiflich überlegt werden. Eine kostenfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern wie in der GKV gibt es nicht. Jeder muss für sich selbst zahlen. "Und für höheren medizinischen Komfort müssen die Kunden auch bei privaten Anbietern tief in die Tasche greifen", warnt Gerd Güssler vom Marktbeobachter KVpro aus Freiburg. Zudem bindet sich der Kunde in der Regel lebenslang an ein Unternehmen und eine grundsätzliche Rückkehr in die GKV ist ab 55 Jahren fast unmöglich.

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SZ vom 11.03.2011/ema/hgn
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