Süddeutsche Zeitung

Krankenkassen:Plötzlich ein Plus

Die Gesundheitsreform könnte den Krankenkassen schon im kommenden Jahr einen Überschuss von mehr als zwei Milliarden Euro verschaffen. Doch die Kritik an Gesundheitsminister Rösler reißt nicht ab - die SPD geißelt ihn als "soziale Abrissbirne".

Guido Bohsem

Die gesetzlichen Krankenkassen werden 2011 voraussichtlich einen Überschuss erwirtschaften. Nach Berechnungen des Schätzerkreises für das Gesundheitswesen werden ihre Einnahmen etwa 2,2 Milliarden Euro über den Ausgaben liegen. Damit könnten die Kassen im kommenden Jahr voraussichtlich mit den Mitteln aus dem Gesundheitsfonds auskommen, hieß es. Mit dem zusätzlichen Geld sei es möglich, die Reserven des Gesundheitsfonds aufzustocken.

Die Zahlen des Schätzerkreises sind vor allem deshalb so gut, weil darin bereits die in der Gesundheitsreform geplanten zusätzlichen Einnahmen und Ausgabenbegrenzungen berücksichtigt wurden. Ursprünglich hatten die Experten des Bundesversicherungsamtes mit einem Defizit von elf Milliarden Euro gerechnet. Ohne die Gesundheitsreform hätten die Kassen also eine Finanzlücke von knapp neun Milliarden Euro verzeichnet. Die leichte Verbesserung ist vor allem durch die gute Konjunktur und die niedrige Arbeitslosigkeit zu erklären.

Im Bundestag sorgten die Gesundheitspläne der schwarz-gelben Koalition für einen heftigen Schlagabtausch. Weil das Thema Gesundheit die Gemüter so erhitzt, beschimpften sich die Abgeordneten, was das Zeug hielt. Vor allem aber warfen sie sich gegenseitig vor, am Milliardendefizit in der gesetzlichen Krankenversicherung Schuld zu sein, das durch das Gesetz beglichen werden soll.

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Elke Ferner bezeichnete Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) als "soziale Abrissbirne". Vielleicht meinte sie damit aber auch das Gesetzesvorhaben. So klar war das nicht zu verstehen. Jedenfalls werde die SPD diesen Murks 2013 wieder rückgängig machen. Ihr Fraktionskollege Karl Lauterbach attestierte Rösler, dass 87 Prozent der Bevölkerung die Gesundheitsreform ablehnten. "Sind die dumm", fragte er, "verstehen die nicht die Brillanz der Reform?" Um gleich die Antwort zu geben: Nein, es gebe nichts zu verstehen. "Die Reform ist schlecht."

Kernpunkt der Reform ist eine Anhebung des Beitragssatzes von derzeit 14,9 Prozent des Bruttolohns auf 15,5 Prozent. Die Arbeitgeber sollen davon künftig 7,3 und die Arbeitnehmer 8,2 Prozentpunkte zahlen. Der Beitrag für die Unternehmen wird festgeschrieben. Die Kassenmitglieder sollen also die künftigen Kostensteigerungen alleine tragen. Dazu will die schwarz-gelbe Koalition die Zusatzbeiträge neu regeln. Sie sollen in der Höhe nicht mehr gedeckelt, sondern frei von den Kassen bestimmt werden. Damit es dabei nicht zu einer Überforderung der Beitragszahler kommt, ist ein sozialer Ausgleich geplant. Dieser setzt dann ein, wenn der Zusatzbeitrag zwei Prozent des Bruttoeinkommens übersteigt. Sozialverbände, Gewerkschaften und auch die Arbeitgeberverbände protestieren heftig gegen das Vorhaben.

Gesundheitsminister Rösler sagte hingegen, das Einfrieren des Arbeitgeber-Anteils an der Krankenversicherung sei keineswegs ein unsolidarischer Akt. Die Regelung sichere vielmehr Arbeitsplätze, weil steigende Gesundheitskosten künftig nicht mehr zu höheren Lohnnebenkosten für die Unternehmen führten. Es gehe darum, "den Teufelskreis zu durchbrechen, wonach mehr Gesundheit weniger Arbeitsplätze bedeute". Rösler warf der SPD vor, der Koalition aus Union und FDP ein Defizit von elf Milliarden Euro in der Krankenversicherung hinterlassen zu haben. Dies habe die neue Regierung nun erst einmal ausgleichen müssen. Durch die Reform werde es im kommenden Jahr voraussichtlich keine zusätzlichen Zusatzbeiträge geben und die Menschen hätten weiterhin einen ungehinderten Zugang zu einem exzellenten Gesundheitssystem.

Rösler kündigte für das kommende Jahr weitere Reformen an. Hierbei gehe es um eine fairere Verteilung der Honorare für die 149000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten. Zudem wolle er für mehr Effizienz im Gesundheitswesen sorgen und die Vorsorge stärken.

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SZ vom 01.10.2010/hgn
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