Süddeutsche Zeitung

Kosten der Euro-Rettung:Zahlen, bitte!

Der Euro soll gerettet werden - und es kostet unendlich viel Geld. Doch wer wird am Ende die Rechnung für die Rettung begleichen? Vier Lösungen gibt es. Und keine von ihnen ist schön.

Catherine Hoffmann

In Athen protestieren die Bürger gegen das harte Sparprogramm zur Sanierung der griechischen Staatsfinanzen. In Mailand, Rom und Palermo gehen Demonstranten gegen Haushaltskürzungen und Arbeitslosigkeit auf die Straße. In New York fordert der milliardenschwere Investor Warren Buffett öffentlichkeitswirksam eine Reichensteuer im Kampf gegen die Haushaltsmisere.

Vier Jahre nach Beginn der Finanzkrise stecken viele Industrieländer in der Schuldenfalle. Zwischen Einnahmen und Ausgaben klaffen gewaltige Lücken. Die Supermacht USA steht mit 15 Billionen Dollar in der Kreide, mehr als die jährliche Wirtschaftsleistung. In der krisengeschüttelten Euro-Zone summieren sich die Staatsschulden auf 85 Prozent. Überall in den westlichen Industrienationen wollen die Menschen wissen, wer die Rechnung bezahlt, wer einsteht für das viele Geld, das längst ausgegeben wurde. Vier Lösungen gibt es - schön ist keine.

Angela Merkel verlangt von den europäischen Regierungen, dass sie die Budgets verwalten wie eine schwäbische Hausfrau. Aber nicht mal eine schwäbische Hausfrau könnte all die Löcher stopfen, die in den Haushaltsbüchern der schuldengeplagten Europäer klaffen. Dennoch pocht die Bundeskanzlerin auf Hilfe zur Selbsthilfe: Die Staatsausgaben müssen gekürzt werden, die Steuereinnahmen erhöht und das Wirtschaftswachstum gestärkt.

Gekürzt wird dort, wo es breite Bevölkerungsschichten trifft und die Menschen nicht ausweichen können. Während es die Oberschicht gut versteht, sich höheren Steuern zu entziehen, gibt es für Mittelschicht, Geringverdiener, Rentner und Arbeitslose kein Entkommen. "Tiefe Einschnitte ins soziale Netz sind schnell gemacht, sie treffen die Armen ungleich härter als die Reichen", sagt Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI).

Die Regierungschefs vom Griechen Lucas Papademos, über den Italiener Mario Monti bis zum Iren Enda Kenny haben geliefert. Ihr Erfolg ist unwahrscheinlich, zumindest kurzfristig. "Durch die Sparpolitik fallen wichtige Impulse für die Wirtschaft aus, Wachstum ist auf Jahre hinaus nicht in Sicht", glaubt Straubhaar. Die Folgen lassen sich in den Krisenstaaten schon ablesen: Die Wirtschaft schrumpft, und die Arbeitslosigkeit wächst; auf Lohnsteigerungen dürfen die Arbeitnehmer nicht hoffen.

Da Sparpolitik und Wirtschaftsreformen erst in vielen Jahren wirken, ist kurzfristig Hilfe von außen nötig. "Wenn es brennt, dann muss man auch richtig löschen", sagt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Die Sachverständigen schlagen deshalb einen Tilgungsfonds mit gemeinschaftlicher Haftung vor, in den die Euro-Staaten ihre Schulden auslagern, die den Grenzwert von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigen.

Ob die Lösung nun Tilgungsfonds, Euro-Anleihen oder vergrößerter Rettungsschirm heißen, im Grunde wirken sie ähnlich, da alle Staaten füreinander einstehen. 440 Milliarden Euro stecken derzeit im Rettungsfonds EFSF, nach Abzug bereits versprochener Hilfen bleiben noch 250 Milliarden Euro - eine läppische Summe, wenn man weiß, dass die Piigs-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) im kommenden Jahr mehr als 700 Milliarden Euro brauchen. "Der Fonds müsste größer werden, damit er überzeugt", sagt HWWI-Ökonom Straubhaar. Wer trägt die Kosten?

Nun ist die Hilfe nicht als Geschenk gedacht, die Kredite sollen zurückgezahlt werden. Und doch kommt es zu einer Umverteilung zwischen Nord und Süd: Für Länder, die heute in Schwierigkeiten stecken, wird es günstiger, sich zu finanzieren, für die anderen vermutlich teurer. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat einmal durchgerechnet, was beispielsweise Euro-Bonds Deutschland kosten würden, er kommt auf 47 Milliarden Euro jährlich.

Argentinien hat vorgemacht, wie ein Land sich entschuldet, indem es seine Anleihen nicht zurückzahlt. Auch Griechenland soll ein Teil seiner Schulden erlassen werden, indem die privaten Gläubiger auf Forderungen verzichten. Das hilft der Regierung in Athen, doch es hat seinen Preis. "Seit dem Sommer erleben wir, wie hart und unkontrollierbar der Dominoeffekt einer Umschuldung ist", sagt Konjunkturforscher Straubhaar, der einst selbst dafür plädiert hat. Nicht nur Italien und Spanien kamen am Kapitalmarkt in Bedrängnis, auch Österreich und die Niederlande blieben von den Schockwellen nicht verschont, noch nicht einmal Deutschland - sie alle mussten höhere Zinsen zahlen.

Damit ist jede Geldanlage in Staatsanleihen über Nacht zu einem riskanten Geschäft geworden. "Das sollte all jenen eine Mahnung sein, die ein schnelles Ende des Schreckens verlangen", sagt Straubhaar. Die Kursverluste tragen zunächst zwar die Banken und Versicherungen, die Staatsanleihen im Depot halten. Getroffen werden aber auch Aktionäre und Besitzer von Fonds und Lebensversicherungen. Das größte Problem aber ist: Die Zahlungsunfähigkeit einzelner Länder zerstört nicht nur deren Bankensystem, sondern auch das anderer Länder. Die Folge wäre eine Kreditklemme, unter der die Unternehmen und Verbraucher leiden. Im schlimmsten Fall droht, wie nach der Lehman-Pleite, eine weltweite Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit.

Welcher Politiker will seinen Wählern schon klar machen, dass es harte Jahre geben wird, in denen nichts erwartet werden kann - weder höhere Löhne, noch soziale Wohltaten? Da scheint es doch bequem zu sein, wenn die Zentralbank einfach unglaublich viel Geld druckt, damit die Länder ihre Schulden zurückzahlen können. "Dann wäre das Inflationsziel dahin", glaubt Dennis Snower, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Eine höhere Teuerungsrate hätte zwar den gewünschten Effekt: Sie würde den realen Wert der Schulden senken und damit ihre Rückzahlung erleichtern.

Die sozialen Kosten wären aber enorm. Inflation entwertet das Vermögen der Bürger und sie schmälert die Realeinkommen der Lohnempfänger, Rentner und Bezieher von Sozialleistungen. Viele Ökonomen bezweifeln aber, dass gleich eine galoppierende Inflation wie in den 1920er Jahren droht, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) im großen Stil Staatsanleihen kauft. Denn die Währungshüter können den inflationären Effekt hintertreiben, indem sie den Banken weniger Kredit gewähren. Oder die EZB bietet den Banken attraktive Termineinlagen an, damit das viele Geld nicht in Umlauf kommt.

Bislang funktioniert das gut. "Wenn die Notenbank die Inflation nicht gleich wieder einfangen kann, dann ist das auch kein Problem, sondern Teil der Lösung", sagt Straubhaar. Wer möglichst alle an der Bewältigung der Schuldenkrise beteiligen wollte, der sollte aber nicht allein auf die EZB setzen, sondern alle vier Maßnahmen mixen.

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SZ vom 06.12.2011/hgn
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