Süddeutsche Zeitung

Konsequenzen aus der Finanzkrise:Merkel beklagt Dominanz der USA

Auf den Finanzmärkten gebe es eine Übermacht von Amerikanern und Briten, kritisiert Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie fordert eine stärkere Rolle für Europa bei der Festsetzung neuer Regeln.

Cerstin Gammelin und Alexander Hagelüken

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in überraschend starker Form kritisiert, dass es eine Übermacht von Amerikanern und Briten auf den Finanzmärkten gebe. "Wir haben bei der Regelsetzung nach wie vor ein sehr stark angelsächsisch dominiertes System", sagte die Kanzlerin.

Merkel, die erst in dieser Woche US-Präsident George W. Bush empfangen hatte, fordert knapp ein Jahr nach Ausbruch der Finanzkrise eine stärkere Rolle Europas. Das starke Euro-Währungssystem habe noch nicht zu einem angemessenen europäischen Einfluss auf die Kontrolle von Banken und Börsen geführt.

Als Ursachen für die Finanzkrise werden die Vergabe von Krediten an Hauseigentümer mit zu geringem Kapital, die mangelnde Kontrolle hochriskanter Wertpapiere und die laxe Geldpolitik der US-Notenbank angesehen. Über die Konsequenzen aus der Krise, die in den USA und Europa Milliardenverluste von Banken und Schäden für die Konjunktur ausgelöst hat, wird seit längerem diskutiert.

Europäische Ratingagentur

Merkel machte nun in einem Interview mit der Financial Times mehrere Vorschläge, welche Lehren aus der Krise gezogen werden können. So brauche Europa auf mittlere Sicht eine eigene Ratingagentur als Konkurrenz zu US-Instituten. Die zu positiven Bewertungen von Ratingagenturen wie Moody's und Standard & Poor's für Kreditpapiere werden als ein Grund für die Finanzkrise betrachtet.

Merkel schlägt auch vor, dass für Finanzprodukte mit hohem Risiko mehr Eigenkapital bereitgestellt werden müsse: "Man sollte über das Verhältnis von Eigenkapital zu Risikoprodukten nachdenken, zum Beispiel prüfen, ob für bestimmte Produkte mit einem höheren Risiko eine höhere Eigenkapitalunterlegung notwendig ist". Die Kanzlerin schloss sich aber nicht der Bewertung von Bundespräsident Horst Köhler an, die Finanzmärkte seien ein Monster. Über die Konsequenzen aus der aktuellen Krise soll Anfang Juli auf dem G-8-Gipfel in Japan beraten werden.

Merkels Vorstoß sei "richtig und überfällig"

Europäische Finanzpolitiker und Notenbankchefs haben sich noch nicht auf gemeinsame Regeln zur künftigen Regulierung der Finanzmärkte geeinigt. Die EU-Finanzminister verabschiedeten auf ihrem Routinetreffen im April ein Memorandum of Understanding, in dem sie vereinbaren, dass ihre Ressorts künftig enger mit nationalen Aufsichtsbehörden und Banken kooperieren.

Zunehmend steht die Europäische Kommission in der Kritik. Europaabgeordnete werfen ihr Untätigkeit vor. "Kommissionspräsident Barroso duldet die Arbeitsverweigerung seines Binnenmarktkommissars McCreevy", sagte Alexander Radwan, wirtschaftspolitischer Sprecher der CSU im Europaparlament.

Der liberale Ire Charlie McCreevy vertritt als Anhänger angelsächsischer Markttheorien das Modell der Selbstregulierung von Märkten. Er habe bisher keine Gesetzesvorschläge zur stärkeren Überwachung von Ratingagenturen und Hedgefonds vorgelegt, kritisiert Radwan. Damit vergebe Brüssel die Chance, eine aktive Rolle in der internationalen Finanzmarktpolitik zu spielen und die 450 Millionen Europäer besser vor den Auswirkungen von internationalen Finanzcrashs zu schützen.

Parlament und Ministerrat sind die Hände gebunden, selbst Gesetzesvorschläge vorzulegen. "Barroso stellt mit seinem Verhalten das Initiativmonopol der Kommission in Frage", sagte Radwan. Laut geltendem EU-Recht darf nur die Kommission die Initiative für Gesetze ergreifen. Merkels Vorstoß sei"richtig und überfällig".

Er werde aber mit großer Sicherheit ins Leere laufen, weil die amerikanische Börsenaufsicht inzwischen selbst an neuen Aufsichtsregeln für Ratingagenturen und Hedgefonds arbeite. "Wir müssen dann wieder angelsächsische Regeln übernehmen statt unsere eigene Vorschläge Briten und Amerikanern vorzulegen". Die amerikanische Aufsichtsbehörde SEC beriet am Mittwoch über neue Regulierungsmodelle.

Die EU-Kommission wies den Vorwurf der Untätigkeit als "nicht zutreffend" zurück. Die EU-Finanzminister hätten im Herbst vergangenen Jahres einvernehmlich einen Maßnahmenplan beschlossen. "Wir arbeiten noch an einem entsprechenden Gesetzesvorschlag", sagte ein Kommissionssprecher.

Beifall von den Sozialisten

Auch die Sozialisten im Europaparlament begrüßten Merkels Vorschlag. Es sei "unverständlich", warum sich konservative Politiker in europäischen Institutionen noch immer neuen Aufsichtsregeln verschließen würden, sagte Poul Nyrup Rasmussen, Vorsitzender der Sozialisten im EU-Parlament.

Zusammen mit den ehemaligen Spitzenpolitikern Romano Prodi, Jacques Delors und Jacques Santer hatte Rasmussen kürzlich in einem offenen Brief an Barroso für zügige Finanzmarktreformen geworben.

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SZ vom 12.06.2008/jkr
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