Koalitionsvertrag:Angelas Himmelfahrtskommando

Spätestens im Wahljahr 2013 wird Kanzlerin Merkel die Steuern wieder anheben - oder aber einen finanzpolitischen Offenbarungseid leisten.

Guido Bohsem

Wenn es einen Machiavelli für den demokratischen Betrieb gäbe, er würde dem frischgewählten Personal einen Ratschlag auf den Weg geben: Alle fiesen, unangenehmen und streitträchtigen Dinge erledige gleich am Anfang. Die populären und gefälligen Vorhaben jedoch hebe dir für die Zeit vor den nächsten Wahlen auf. Wer nach diesem Muster regiert, kann nach allen Regeln der politischen Ökonomie ziemlich sicher damit rechnen, bei der nächsten Wahl viele Stimmen einzusammeln. Wer es andersrum macht, riskiert seine Wiederwahl.

Angela Merkel, Koalitionsvertrag, Foto: ddp

Endlich festgezurrt: Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP steht.

(Foto: Foto: ddp)

Diese Erkenntnis ist einigermaßen trivial, was bei Machiavellis Thesen häufig der Fall ist. Der Kohl-Schülerin Angela Merkel ist sie definitiv nicht fremd. Ihre erste Kanzlerschaft legte sie genau nach diesem Muster an. Am Anfang standen Steuererhöhungen und Einsparungen. Am Ende sollten die Wohltaten kommen. Dass die Strategie nicht gänzlich aufging, lag an der Finanzkrise und der schlimmsten Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik. Es hat ihr bekanntlich nicht geschadet. Zu Beginn ihrer zweiten Kanzlerschaft, so scheint es, verwirft sie den strategischen Regelsatz und macht es umgekehrt. Auf Druck der beiden kleinen Koalitionspartner FDP und CSU stehen die Wohltaten diesmal nämlich am Anfang der Legislatur. Das Motto lautet: Komme, was wolle, wir senken erst einmal die Steuern. Das könnte sie und ihre Regierung in vier Jahren in eine schwierige Ausgangslage vor der nächsten Bundestagswahl bringen.

Nun ist die Wirtschaftskrise noch lange nicht beendet, und zweifelsohne könnten niedrigere Steuern im Kampf gegen die Misere helfen. Sollte die Koalition wirklich dieser Meinung sein, bleibt es ihr Geheimnis, warum sie damit erst 2011 anfängt. Das aber nur am Rande. Auch die ohnehin schon exorbitant hohe Verschuldung muss einen nicht zwangsläufig davon abbringen, die Einnahmen des Staats sofort und dauerhaft um 24 Milliarden Euro zu senken und das Ganze auf Pump zu finanzieren. Klar muss dabei nur jedem für die Zukunft sein: Geringere Einnahmen und höhere Zinszahlungen führen auf Dauer zu geringeren Spielräumen im Haushalt. Es ist somit völlig offen, wie der zu erwartende Anstieg der Leistungen für die Kinder von Langzeitarbeitslosen und der soziale Ausgleich für die Kopfpauschale in der Gesundheit bezahlt werden soll.

Was das Vorhaben zu einem politischen Himmelsfahrtkommando für Merkel macht, ist die erst im Sommer grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse. Sie wird für doppelten Ärger sorgen: für einen gewaltigen Streit mit den Ländern bei der Beratung der Steuersenkungen und im Bund für einen gewaltigen Sparzwang am Ende der Legislaturperiode.

Die Länder müssen spätestens 2020 ohne neue Schulden auskommen. Durch die geplante Senkung der Einkommensteuer reduzieren sich ihre Einnahmen drastisch. Um die Bedingung der Schuldenbremse zu erfüllen, müssen sie also in den kommenden zehn Jahren einen massiven Sparkurs einschlagen. Das wird allen amtierenden Ministerpräsidenten früher oder später mindestens eine Wahl verhageln. Sie werden ihre Zustimmung also nur geben, wenn sie eine Gegenleistung erhalten. Denkbar wäre ein höherer Anteil aus der Mehrwertsteuer.

Die Bundesregierung gerät spätestens 2012 in ein Dilemma, will sie die Schuldenbremse einhalten. Dann nämlich muss Merkels Finanzminister Wolfgang Schäuble erstmals in seinem Haushaltsentwurf offenlegen, wie er es schaffen will, das von der Verfassung vorgegebene Schuldenziel einzuhalten: nämlich 2016 die Kreditsumme auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu begrenzen. Grob über den Daumen gepeilt muss der Bund schon in sechs Jahren mit einer Neuverschuldung auskommen, die gut 80 Milliarden Euro unter der für 2010 geplanten liegt. Striche man alle Ausgaben für Verkehr, Verteidigung, Bildung und Forschung, es wäre nicht genug.

Merkel wird also gezwungen sein, spätestens im Wahljahr 2013 die Steuern wieder anzuheben oder einen finanzpolitischen Offenbarungseid zu leisten. So viel ist sicher: Machiavelli hätte ihr von diesem Kurs abgeraten.

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