Koalitionsverhandlungen:Der Preis der Gesundheit

Arbeitnehmer und Rentner werden wohl mehr Geld an die Krankenversicherungen zahlen müssen - es geht einfach nicht anders.

Guido Bohsem

Seinem Mitmenschen Gesundheit zu wünschen, ist eine Floskel. An Geburtstagen oder im Schein der Silvesterraketen, wie von selbst kommt uns das über die Lippen. Wenn Demoskopen forschen, was die Deutschen sich von der Zukunft erhoffen, spielt auch Geld eine Rolle. Gesundheit aber landet immer auf dem Spitzenplatz. Ohne Zögern kaufen wir überteuerte Joghurts, Vitamindrinks und sogar sauerstoff-angereichertes Wasser, weil sie ein größeres körperliches Wohl verheißen. Die Erkenntnis ist banal: Unsere persönliche Gesundheit und die unserer Lieben geht uns über alles. Deutlich schwerer ist es aber, den Wert der Gesundheit im Allgemeinen zu beziffern, den Preis des Gesundheitssystems. Welchen Teil des Gehalts oder der Rente will man opfern, um allen Deutschen hochwertige Kliniken, gute Ärzte sowie leistungsstarke Medikamente anzubieten? Eine gute Gesundheit ist unendlich wertvoll. Und sie ist sehr teuer.

Was also ist es uns wert, in einer Gesellschaft zu leben, in der Krankheit nicht den Absturz in Armut bedeutet? Die komplizierten Details und die verwirrenden Regeln des Systems lenken oft von dieser Frage ab. Doch die wichtigste Aufgabe der Gesundheitspolitik ist es, darauf allgemein akzeptierte Antworten zu geben. Sie lohnen sich, die heftigen Auseinandersetzung und Streitereien, die in fast jeder Legislatur über das Thema geführt werden. Sie behandeln den Kern unserer Gesellschaft, unseres Daseins. Langsam nähern sich auch CDU, CSU und FDP in ihren Gesprächen diesem Nukleus der Gesundheitspolitik. Denn um nichts anderes als um den Wert der Gesundheit geht es beim halböffentlichen Ringen um Fonds, Morbi-RSA und andere schwer erklärbare Dinge. Noch zögerlich vermitteln die Unterhändler eine wichtige Botschaft: Es wird nicht billiger. Und zahlen werden vor allem die Versicherten.

Die Kostenspirale im Gesundheitssystem ist aus zwei Gründen nicht zu stoppen. Sie sind oft beschrieben worden, aber in ihrer Konsequenz noch nicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Sie steigen, weil die Menschen immer älter werden und weil es den medizinischen Fortschritt gibt. Die Zahl älterer Menschen im Verhältnis zur Zahl jüngerer Menschen nimmt zu; seit den 60er Jahren zeugen die Deutschen weniger Kinder. So entstehen den Sicherungssystemen höhere Kosten bei sinkenden Einnahmen. Auch wenn es immer mehr gesunde Alte gibt: Die höchsten medizinischen Kosten im Leben eines Menschen entstehen meistens in den letzten Wochen und Monaten vor dem Tod.

Der andere Kostenfaktor ist geprägt vom unbändigen Willen des Menschen, der eigenen Sterblichkeit zu trotzen. Mit beachtlichem Erfolg entwickeln Wissenschaftler und Mediziner immer neue Behandlungsmethoden, Heilmittel und Medikamente. Viele Operationen, die vor 40 Jahren noch unmöglich erschienen, bietet heute jedes bessere Kreiskrankenhaus an. Gegen früher unheilbare Krankheiten gibt es Pillen. Anders als in der Automobilindustrie aber verursacht der Zuwachs an Können und Technik in der Gesundheit keine Kostensenkungen; im Gegenteil.

Demographie und medizinischer Fortschritt beeinflussen das Gesundheitssystem in etwa so wie die Schwerkraft das tägliche Leben: Man mag über sie klagen, zu ändern ist sie nicht. Allerdings führt die Kostenspirale in der Gesundheit zu negativen ökonomischen Konsequenzen. Solange sich Unternehmen und Beschäftigte die höheren Beiträge teilen, wird es für die Betriebe immer teurer, einen Arbeitnehmer zu beschäftigen. Mit jeder Kostenrunde steigt für sie der Anreiz, bisweilen auch der Zwang, Arbeitsplätze einzusparen. Das wiederum erhöht die Arbeitslosigkeit, was die soziale Sicherung insgesamt ins Wanken bringt. Das zeigt die derzeitige Konjunkturkrise eindrucksvoll.

Das Ziel der neuen Koalition sollte es also sein, aus diesem Mechanismus auszubrechen. Kassenmitgliedern und auch den Rentnern müssen daher höhere Beiträge zugemutet werden, nicht aber den Arbeitgebern. Ob dieser Zusatzbeitrag dann pauschal oder prozentual erhoben wird, ist eine Frage des Aufwands und des sozialen Ausgleichs. Letzterer ist notwendig, denn ohne finanzielle Hilfen für Geringverdiener wird die Umstellung des Systems keine Akzeptanz finden. Dieser Ausgleich sollte nicht über das Gesundheitssystem laufen, sondern über direkte staatliche Hilfen, die aus Steuern finanziert werden. Auf diesem Weg leisten jene, die besser verdienenden und sich möglicherweise privat versichern, einen Beitrag für das System. Noch besser wäre es, sie in die gesetzliche Krankenversicherung zu integrieren, obwohl Union und FDP das ablehnen.

Schließlich ist kluges Sparen Pflicht. Die Pharmaindustrie wird ihren Beitrag leisten müssen. Medikamente werden in Deutschland oft deutlich teurer verkauft als in anderen europäischen Ländern. Dem muss eine einfachere, aber effiziente Regulierung entgegentreten. Ohne einen Einstieg in eine qualitätsorientierte Honorierung der niedergelassenen Ärzte wird es ebenfalls nicht gehen. Auch ist es an der Zeit, die Zahl der Kliniken in Deutschland zu verringern. Und: Die neue Koalition muss die Menschen aufklären über den Preis der Gesundheit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: