Süddeutsche Zeitung

Koalition und Steuerschätzung:Nur ein blöder Trick

Die Koalition steht vor einem Scherbenhaufen: Der Staat wird bis 2013 deutlich weniger Steuern einnehmen, Steuersenkungen wird es nicht geben. Die schwarz-gelbe Koalition hat ihr größtes politisches Kapital leichtfertig verspielt.

Guido Bohsem

Wäre das Schauspiel, das die schwarz-gelbe Koalition aufführt, echtes Theater, so müssten die Regierungs-Darsteller nun in lautes Wehklagen ausbrechen. Monatelang haben sie die Steuersenker gegeben und mit großem Gestus immer wieder auf eines verwiesen: Die Steuerschätzung im Mai. Vom Ergebnis dieser Expertenrunde sollte es abhängen, wie es beim zentralen Vorhaben des Bündnisses weitergeht. Die Zahlen sollten darüber entscheiden, ob die von den Liberalen gewünschten Steuersenkungen jemals das Licht der Welt erblicken werden.

Das war von Anfang an eine Irreführung. Jeder, der es wissen wollte, konnte sich ein Bild von der Lage der Staatsfinanzen und der Konjunktur machen. Der Verweis auf die Steuerschätzung war nur ein blöder Trick. Es galt, die Zeit bis zur nordrhein-westfälischen Landtagswahl zu überbrücken. Es ging darum, sechs Monate lang nicht zugeben zu müssen, dass es keine Steuersenkungen geben kann. Es sollten Attacken vermieden werden, wie sie der damalige Oppositionsführer Westerwelle gegen die große Koalition geritten hat, als er SPD und Union des Wahlbetrugs bezichtigte.

Die Zeit ist um. Sie läuft am Donnerstag ab. Bis 2013 nimmt der Staat etwa 48 Milliarden Euro weniger Steuern ein als erwartet. Das hat das Finanzministerium ausgerechnet, und die Aufstellung dürfte dem Ergebnis der Steuerschätzung ziemlich nahe kommen.

Jetzt steht die Koalition sozusagen amtlich vor dem Scherbenhaufen ihrer Ankündigungen. Am schlimmsten für das Bündnis ist, dass seine Glaubwürdigkeit durch das absurde Steuerversprechen katastrophal gelitten hat. Die schwarz-gelbe Koalition hat ihr größtes politisches Kapital leichtfertig verspielt.

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Quelle:
SZ vom 05.05.2010/mel
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