Süddeutsche Zeitung

Kleingeld:Vermögen auf der Fensterbank

Münzen nerven. Münzen beulen den Geldbeutel aus und pieksen Männer in den Hintern. Doch sie können so wichtig sein. Warum Kleingeld unterschätzt wird.

Von Benjamin Romberg

Es ist Montagabend, 19.47 Uhr, und ich habe ein Problem: Der Brotkorb ist leer. Ja, liebe Berliner, in München ist das ein Problem. Denn es verbleiben exakt 13 Minuten, um diesen Missstand zu beseitigen. Dann ist Ladenschluss - und das bedeutet: Ich kann nichts mehr anfangen mit dem Stückchen Butter, dem übriggebliebenen Camembert vom Wochenende und den drei Tomaten, die im ansonsten verwaisten Gemüsefach des Kühlschranks liegen. Der Supermarkt ist in der verbleibenden Zeit nicht mehr zu erreichen, letzte Chance also: der Bäcker an der U-Bahn.

Schon fast an der Wohnungstür werfe ich einen Blick in den Geldbeutel, und sehe: nichts. Mit Kreditkarte lässt sich das Viertel Sonnenblumenkernbrot nicht bezahlen, ein Zwischenstopp bei der Bank ist nicht mehr drin. Das war's. Auf dem Weg zurück in mein Zimmer gehe ich in Gedanken schon die Speisekarten der umliegenden Imbissangebote durch. Da fällt mein Blick auf die Fensterbank; auf einen kleinen, goldbraun schimmernden Haufen unter zwei Briefen von der Versicherung. Ha! Da liegt mein Käsebrot. Im übertragenen Sinne, versteht sich. Schnell ein paar Münzen eingesammelt, 2,35 Euro kommen locker zusammen - und ab zum Bäcker.

Laut einer Studie der Bundesbank aus dem Jahr 2011 hat jeder Deutsche im Durchschnitt 103 Euro im Geldbeutel, davon 5,90 Euro in Münzen. Ich nicht. Stattdessen sammelt sich das Kleingeld zunächst auf der Fensterbank, später in einer Plastiktüte, bevor es schließlich durch den Münzautomaten der nächsten Bank rauscht. Ein schöner Moment. Die Münzen klimpern und rasseln in der Zählmaschine; so ähnlich muss sich Dagobert Duck fühlen, wenn er in seinem Geldspeicher schwimmt. Und am Ende steht immer die erstaunliche Erkenntnis: Das war ja mehr als gedacht.

Einige Kollegen wissen offenbar, wovon ich spreche. Zumindest reagierten sie sehr betroffen auf eine Meldung aus Duisburg. Die dortige Sparkasse will künftig fünf Euro Gebühren für dieses Vergnügen verlangen. Schuld sei die Bundesbank, die ab dem 1. Januar von Banken fordert, jede eingezahlte Münze auf ihre Echtheit zu überprüfen. Reine Schikane, sagen die wiederum, und beauftragen damit einen externen Dienstleister. Der kostet Geld, das sich die Bank von ihren Kunden zurückholen will.

Wann ist Kleingeld eigentlich zu etwas geworden, das stört?

Münzen nerven. Münzen beulen den Geldbeutel aus. Sie machen Handtaschen schwerer - und vor allem bei Männern verlagert sich mit jedem zusätzlichen Stück Metall im Portemonnaie die Sitzposition auf unangenehme Weise. Auch ich lagere das Hartgeld nicht aus besonderer Wertschätzung auf der Fensterbank. Bisher. Denn das Käsebrot brachte mich zum Nachdenken: Wann ist Kleingeld eigentlich zu etwas geworden, das stört? Etwas, von dem ich meinen Geldbeutel befreien muss, bevor ich das Haus verlasse.

Als Kind freut man sich noch über jede Münze. Mit zunehmendem Alter nimmt der Wert ab. Nicht wegen der Inflation, sondern es kommen Scheine hinzu, die das Metall im Münzfach vergleichsweise wertlos erscheinen lassen. Immerhin, mit dem Fach hat das Kleingeld wenigstens eine Zeit lang noch ein eigenes Zuhause. Irgendwann heißt es dann aber: Wer Kupfer trägt, bleibt gleich draußen - was soll ich mit 2- oder 5-Cent-Münzen? Manche werden gar noch radikaler, unter 50 Cent geh bei ihnen gar nichts. Geschlossene Gesellschaft. Wieder andere funktionieren das ganze Fach gleich zum Aufbewahrungsort für Verhütungsmittel um.

Händler sind verpflichtet, bis zu 50 Münzen anzunehmen

Verschärft hat sich der Trend vermutlich noch durch die Einführung des Euros. Die Münzen wurden teilweise dicker. 50 Pfennig waren mit 3,5 Gramm noch eine überschaubare Belastung für das Portemonnaie - 50 Cent wogen plötzlich 7,8 Gramm. Da kann ich mir auch gleich einen Goldbarren in die Gesäßtasche stopfen, möge sich mancher denken.

Doch der Barren ist im Gegensatz zu den Münzen nur bedingt als Zahlungsmittel einsetzbar. Die Funktion des Kleingeldes vergessen viele. Schon qua Duden dient Kleingeld "zum Bezahlen kleinerer Beträge, zum Herausgeben oder zum Wechseln". Wer sich dem verweigert, braucht eine Plastiktüte. Oder eine leere Drei-Liter-Flasche Asbach Uralt, wie mir eine Kollegin verriet. Wenn ich beim Bäcker mit einem Schein bezahlen muss, das Wechselgeld aber vor dem nächsten Einkauf schon wieder aus dem Geldbeutel verbanne, gibt es kein Entkommen aus dem Teufelskreis.

Dabei ist es so einfach, ältere Menschen machen es an der Supermarktkasse oft vor. Sie haben genug Münzen dabei und wühlen so lange im dafür vorgesehenen Fach ihres Portemonnaies, bis der passende Betrag gefunden ist. Der 18-Jährige mit dem Sixpack Bier mag hinter ihnen schon nervös mit den Füßen scharren, die Mutter ihren Familieneinkauf resigniert zurück vom Band nehmen, völlig egal. So viel Zeit muss sein - notfalls bis die Kasse schließt.

Außerdem: Händler sind verpflichtet, bis zu 50 Münzen anzunehmen. Gut, man muss es ja nicht gleich übertreiben. Es reicht, hin und wieder ein paar von der Fensterbank zu nehmen. Ich jedenfalls möchte nicht mehr derjenige sein, von dem man sagt, ihm fehle das nötige Kleingeld. Zumindest nicht für ein Viertel Sonnenblumenkernbrot.

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