Kleinanleger:Sieger ohne Geld

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Gewonnen und doch verloren: Frank Planeck erstritt vor dem Bundesgerichtshof eines der wichtigsten Urteile für Kleinanleger - Geld hat er aber nie gesehen.

Hannah Wilhelm

Frank Planeck war mal ein Sieger. Ein Gewinner war er, einer der auf der richtigen Seite stand. Er hat vor dem Bundesgerichtshof gewonnen, hat das wichtigste Urteil errungen, das ein Kleinanleger jemals erreicht hat. Das war am 19. Juli 2004. An das Glücksgefühl dieses Sommertages erinnert er sich noch heute. Alle waren sie da, die Reporter aus der ganzen Republik, angereist nach Karlsruhe, um ihm beim Siegen zuzusehen. Er war ihr Held. Am Abend fuhr er nach Hause nach Dortmund, ging schick essen und dachte darüber nach, dass jetzt ein neues Auto drin sein könnte. Endlich.

Vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat Frank Planeck gwonnen. Gebracht hat ihm das allerdings nichts: Heute ist er so gut wie pleite. (Foto: Foto: dpa)

Heute lebt Frank Planeck alleine, auf 35 karg möblierten Quadratmetern. Schmal ist er geworden, und wenn er an die vergangenen vier Jahre denkt, dann zieht der 48-Jährige seinen Mund zu einem schiefen Lächeln, das verzweifelt und hilflos aussieht. Die Falten um den Mund verraten, wie oft er sich zu diesem Lächeln und zum Durchhalten gezwungen hat. Sieger sehen anders aus.

Planecks Leiden beginnt 2000, als der Neue Markt mit all seinen hippen Internetunternehmen mit einem lauten Krach in sich zusammenbricht. Er hinterlässt zahlreiche verzweifelte Kleinanleger, deren Geld in nahezu wertlosen Aktien steckt. Viele Deutsche haben sich das erste Mal in ihrem Leben an die Börse gewagt und verloren, so auch der Fleischermeister Frank Planeck.

BGH sprach ein "Machtwort"

Aber am 19. Juli 2004 vor dem Bundesgerichtshof ist er der Vorkämpfer all dieser Kleinanleger: Er hat die beiden Vorstände des Unternehmens Infomatec, Gerhard Harlos und Alexander Häfele, verklagt, dessen Aktien er gekauft hat. Gut 90 000 Mark investierte er, weil ihn die Zahlen des Unternehmens so überzeugten. Doch die Vorstände haben gelogen, die angekündigten Aufträge gibt es nicht. Die Aktien stürzten ab und Planeck verlor alles. Der BGH spricht ein "Machtwort", wie die Presse damals jubelnd schreibt. Planeck soll alles wiederbekommen, 90 000 Mark plus Zinsen. Er ist glücklich, am 19. Juli 2004.

Doch er hat das Geld bis jetzt nicht bekommen. Keinen Cent. Heute lebt Planeck von 638 Euro im Monat, seine Schulden sind so hoch, dass er vielleicht Privatinsolvenz anmelden muss. Aus dem neuen Auto wurde nichts, für 300 Euro kaufte er einen 17 Jahre alten Opel Corsa. Aus seinem Haus musste er ausziehen - nun müssen 35 Quadratmeter reichen.

Auf dem Sims vor dem Balkon stapeln sich Bücher aus der Stadtbibliothek, Fachbücher über Börse und Medizin. "Ich lese viel", sagt er, was soll er auch sonst tun mit seiner ganzen Zeit? Planeck ist krank. Es gibt sogar Tage, an denen er zu schwach zum Laufen ist. Die Reporter, die über ihn und seinen Erfolg vor Gericht berichtet haben, sind weitergezogen und Planeck ist alleine sitzengeblieben in seinem Leben, in seinem Albtraum, den auch er gerne verlassen würde. Oft denkt er darüber nach, ab welchem Punkt alles in die verkehrte Richtung lief. "Solche Gedanken kommen, wenn man zu viel Zeit zum Nachdenken hat."

"Der größte Fehler meines Lebens"

Früher, in seinem ersten Leben, hat er überhaupt keine Zeit. 70, 80 Stunden Arbeit pro Woche sind normal und es geht ihm gut damit. Er macht seine Ausbildung zum Fleischermeister in der Metzgerei seiner Eltern in Dortmund, ist einer der jüngsten Meister Deutschlands. Er steigt ins Geschäft der Eltern ein, hat 20 Mitarbeiter, ein eigenes Haus, eine Frau und einen kleinen Sohn. Es läuft gut für Frank Planeck. Finanzen sind sein Ding, schon immer. Hätten die Eltern nicht so sehr darauf gedrängt, dass er den Betrieb übernimmt, wäre er vielleicht lieber Banker geworden. Nun macht er es eben als Hobby: Er beobachtet die Börse und als 1996 die Telekom und viele Deutsche an die Börse gehen, geht er mit. "Das war der größte Fehler meines Leben", sagt er heute und nippt an seinem Wasser, "hätte ich das nicht gemacht, dann wäre es später nicht so gekommen."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Planeck bis heute kein Geld gesehen hat.

1999 hat der damals 38 Jahre alte Fleischermeister endgültig Feuer gefangen und mit ihm brennt die ganze Börse. Alle jubeln, alle feiern, Erfolgsmeldungen werden veröffentlicht, mit der Wahrheit nimmt man es nicht immer ganz genau. So klettert die Aktie des kleinen Internetunternehmens Infomatec aus Augsburg auf zwischenzeitlich 318 Euro. Alles ist möglich im Neuen Markt. Planeck glaubt die Meldungen und kauft - für 90 000 Mark, dafür nimmt er einen Kredit auf seine Lebensversicherung auf. "Es sah alles so gut aus und ist ja von allen Seiten geprüft und testiert worden." Spekulieren auf Kredit, wie riskant das ist, erkennt er damals nicht.

Ein Jahr später bricht Planecks Leben zusammen. Seine Lunge macht nicht mehr mit, die Ärzte sagen, er müsse sich ausruhen, sie schicken ihn sechs Wochen zur Kur auf die Insel Norderney. Der zuvor sportliche Mann kommt kaum die 20 Stufen zu seinem Zimmer hoch, im Schwimmbad schafft er nicht mal mehr eine Bahn. Mittags sitzt er an der Strandpromenade, "die Sonne schien und ich wusste nicht, ob ich überhaupt noch leben wollte".

Einmal läuft er bei Ebbe alleine weit raus ins Watt. Er weiß, dass das lebensgefährlich ist. Er sammelt Muscheln, findet den Weg zurück. Die Muscheln liegen heute in einer Glasschale in seinem kargen Zimmer.

Vorstände wegen Kursbetrugs verurteilt

Als er im Herbst 2000 nach Dortmund zurückkehrt, sind seine Aktien fast wertlos. Die Erfolgsmeldungen des Unternehmens stimmten nicht, die Vorstände haben gelogen. Planeck zieht vor Gericht, er braucht das Geld, er muss seine Kreditraten zahlen. Geld verdienen kann er nicht, er ist berufsunfähig, seine Lunge erholt sich nicht mehr. Drei Jahre dauert der Weg durch die Instanzen - bis zu jenem 19. Juli 2004. Da ist es dann endlich geschafft. Gleichzeitig werden die beiden Vorstände wegen verbotener Insidergeschäfte und Kursbetrugs zu Gefängnis verurteilt. Der Freistaat Bayern pfändet das Vermögen der beiden. Das Geld ist in Sicherheit, denkt Planeck, und dass er das Geld später dann bekommen wird. Doch damit liegt er falsch.

Der Freistaat hat ihm das Geld nie ausgezahlt, die Millionen sind stattdessen im bayerischen Haushalt verschwunden. Auf die Anfrage des Grünen-Abgeodneten Martin Runge erklärt Bayerns Justizministerin Beate Merk 2006: "Nach Haushaltsrecht besteht keine Möglichkeit, auf Vermögenswerte zu verzichten, die dem Justizhaushalt infolge einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zugeflossen sind." Mit anderen Worten: Einmal Haushalt, immer Haushalt. Planeck ist fassungslos, das Glück hat ihn verlassen. Er zieht vors Verfassungsgericht, die Klage wird abgewiesen: Sein Anwalt habe nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft. Also verklagt er seinen Anwalt. "Ich dachte, er hätte einen Fehler gemacht", sagt Planeck, "ich brauche das Geld so dringend - und bei einem Anwaltsfehler zahlt doch dessen Haftpflichtversicherung." Plötzlich sind da wieder die tiefen Falten um seinen Mund. Eigentlich war da sowas wie Freundschaft zwischen ihm und dem Anwalt, sagt er, doch Planeck hat den Prozess verloren und mit ihm auch die Freundschaft.

Es ist nicht die einzige Freundschaft, die der Dortmunder verloren hat, auf seiner Suche nach der Gerechtigkeit und den Schuldigen. Drei Freunde seien ihm geblieben, seine Frau zog 2002 aus. "Wenn man oben ist, lieben sie einen. Wenn man unten ist, nicht", folgert der Schwerkranke. Und er versteht sie ja, die die gegangen sind: "Ich kann nicht mit Essen oder ins Kino gehen. Ich habe einfach kein Geld für sowas." Vorher sei er ehrgeizig gewesen und kühl, jetzt sei er anders, viel weicher, erklärt er. Doch während er das sagt, ist sein Gesicht ganz und gar nicht weich.

"Fehlende Aufsicht des Staates"

Wütend ist er schon, nicht so sehr auf die beiden Vorstände, die ihn belogen haben. "Die kann ich irgendwie verstehen, sie waren clever und haben gut Geld damit verdient." Wütend ist er auf die Politik, den Staat. Schützen hätte der ihn müssen, statt dessen hat er versagt, ihn im Stich gelassen. "Die fehlende Aufsicht des Staates hat das Ganze erst möglich gemacht." Immer wieder kommt er darauf zu sprechen, sein Leben dreht sich um diese Wut. Einen Beruf hat er ja nicht mehr, nur seine Krankheit, allergische Schocks, Atemnot, immer wieder - und diese Wut. Wenn er so redet, ist sein Gesicht endgültig hart.

Vor kurzem habe die Staatsanwaltschaft ihm einen Brief geschrieben: Die von den Vorständen beschlagnahmten Aktien sollen verkauft werden und Planeck solle sie doch bitte freigeben, sonst werde sie gerichtlich gegen ihn vorgehen. Da lacht Planeck wieder. "Das kann ich nicht machen! Das ist doch mein Geld, ich habe doch vor Gericht gewonnen." Er unterschreibt nicht, warum auch, er hat ja nichts zu verlieren. 638 Euro Berufsunfähigkeitsrente bekommt er, davon braucht er 270 Euro für die Miete, mit 100 Euro zahlt er noch seinen Kredit ab, ein Tropfen auf den heißen Stein, seine Schulden belaufen sich mittlerweile auf 60 000 Euro.

Dass der Fall Infomatec sein Leben zerstört hat, findet Planeck nicht. "Verändert hat es mich", sagt er nachdenklich, "es hat meinem Leben eine andere Richtung gegeben." Klar wäre es besser, wenn er nicht diese finanziellen Sorgen hätte. Früher, da schaute er aus seinem Haus auf seinen 800 Quadratmeter großen Garten mit den duftenden Rosenbeeten. Jetzt hat er nur einen Balkon, klein wie ein Bett, mit hässlichen grauen Betonplatten auf dem Boden. Da steht er nun, blickt auf die Garagen der Nachbarn und sagt: "Aber sehen Sie doch, die Bäume im Abendlicht und ab und zu fliegt ein Graureiher vorbei. Da kann man doch nicht von einem zerstörten Leben sprechen."

© SZ vom 28.01.2009/saf/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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