Kirch versus Deutsche Bank:"Sind Sie etwa vorbereitet worden, Herr Dr. Ackermann?"

Es ist wohl der denkwürdigste Prozess der deutschen Wirtschaftsgeschichte: Deutsche Bank gegen Firma Kirch, Frankfurt gegen München, Rolf gegen Leo. Für das Finanzinstitut wird die Lage offensichtlich immer brenzliger. Am Donnerstag rückte die halbe Führungsriege an, um auszusagen. Auch Chef Ackermann musste ran - und dessen Vortrag war seltsam geschmeidig.

Hans von der Hagen

Aus Sicht der Deutschen Bank dürfte es das hier alles gar nicht geben. Diesen Prozess mit dem Medienunternehmer Leo Kirch, für den allmonatlich eine Phalanx von Anwälten nach München reist, um sich dann in einem roten Backsteinbau unmittelbar neben dem Justizpalast wiederzufinden. Wo sie dann alle im Saal 411 sitzen, aus Sicht des Publikums immer links und gegenüber den Anwälten von Kirch: Peter Gauweiler zum Beispiel und Wolf-Rüdiger Bub, die es von ihrer nahegelegenen Kanzlei nur ein paar Schritte weit zum Gericht haben. Und bei dem an diesem Donnerstag die erste Garde der Frankfurter auftritt.

Josef Ackermann

Josef Ackermann im Münchner Gerichtssaal.

(Foto: AP)

Es ist wohl der denkwürdigste Prozess der deutschen Wirtschaftsgeschichte: Die Deutsche Bank gegen die Firma Kirch, Frankfurt gegen München, spröde Hochfinanz gegen einen illustren Kir-Royal-Konzern, dessen zahllose feine Verästelungen nicht mehr zu überschauen waren - und dann ist es auch noch der ganz persönliche Prozess des früheren Deutsche-Bank-Chefs Breuer gegen den Unternehmer Kirch, der Rolf gegen den Leo.

Auftritt Josef Ackermann. Der Deutsche-Bank-Chef legt mit seinen Ausführungen dermaßen geschmeidig los, dass der Richter fragt, ob er, Ackermann, eine vorbereitete Erklärung ablesen würde oder er anderweitig vorbereitet worden sei. Der Kontrast zu den vorher aufgetretenen, zurückhaltenden Auftritten der übrigen Deutsche-Bank-Kollegen ist zu offensichtlich. Er sei schon vorbereitet worden, sagt Ackermann, aber nicht auf bestimmte Antworten hin trainiert worden.

Wer Ackermanns Aussagen nachvollziehen will, muss tief eintauchen in diesen komplizierten Fall. Schon die Klägerin ist ein wunderliches Konstrukt, eine Zweckgesellschaft. Die sogenannte KGL Pool GmbH ist, wenn man so will, eine Art Bad Bank des Leo Kirch, in der sich 17 Gesellschaften aus dem Pleitekonzern zusammengeschlossen haben, um in einem letzten großen Gefecht von der Deutschen Bank Geld zu bekommen. Dabei lässt sich die Beziehung der KGL Pool GmbH zu dem Geldhaus denkbar kurz zusammenfassen: Es hat nie eine gegeben - KGL wurde extra für den Prozess gegründet.

Der Streit wiegt seit neun Jahren in zahllosen Prozessen hin und her. Mal darf sich die Seite der Deutschen Bank über einen Beschluss freuen, mal die Gegner. Und so unnötig der Prozess aus Sicht der Frankfurter auch sein mag: Ihr früherer Vorsitzender Rolf Breuer, das hat der Bundesgerichtshof längst festgestellt, hat sich falsch verhalten und war darum für die Deutsche Bank als Aufsichtsratschef nicht mehr haltbar. In einem Interview mit Bloomberg TV hatte er gesagt, dass die Kirch-Gruppe am Markt wohl keine Kredite mehr bekomme. Das hätte er als damaliger Chef des größten deutschen Geldhauses nicht tun dürfen.

Lange Zeit vermittelte die Deutsche Bank den Eindruck, sie könne Kirch abschütteln wie eine lästige Fliege. Breuer, ja, habe einen Fehler gemacht. Aber zahlen müsse das Institut deswegen noch lange nicht, es habe über einen Kredit mit einer weiteren Gesellschaft hinaus keine direkte Geschäftsbeziehung zu Kirch bestanden. Das Gericht kam in dem aktuellen Verfahren sogar überraschend schnell zum Schluss, dass noch nicht einmal ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis bestanden habe, das der Bank eine Fürsorgepflicht auch für einen Nichtkunden auferlegt hätte.

Stattdessen prüft das Gericht längst etwas anderes: Hat die Deutsche Bank Kirch womöglich vorsätzlich sittenwidrig geschädigt? Hat Breuer bei der Kirch-Pleite absichtlich nachgeholfen, um dann an der Zerschlagung des Konzerns zu verdienen. Kurz vor dem Breuer-Interview tagte der Vorstand der Deutschen Bank - lassen sich in den Protokollen der Sitzung womöglich Indizien für ein solches Vorgehen finden?

Ein Banker, der nicht weiß, wo er wohnt

Für die Bank wäre ein solcher Vorwurf der Reputations-GAU, sofern er belegt werden könnte. Die Öffentlichkeit und die Kunden müssten den Eindruck bekommen, dass die Bank eiskalt ihre Interessen vertritt. Das wöge umso schwerer, als die Deutsche Bank aktuell noch in vielen anderen Prozessen in Deutschland und in den Vereinigten Staaten um ihren Ruf kämpfen muss.

Vielleicht erklärt das, warum die Deutsche Bank an diesem Donnerstag die erste Garde ihrer Führungsriege nach München schickt. Aufsichtsratschef Clemens Börsig ist vertreten, Konzernboss Josef Ackermann und weitere Vorstandsmitglieder sagen ebenfalls aus. Dieser Prozess, so scheint es, ist für die Deutsche Bank außer Kontrolle geraten. Das soll eilig wieder zurecht gerückt werden.

Zumal das Gericht dem Finanzinstitut in einem sogenannten Hinweisbeschluss bereits mitgeteilt hat, dass eine Haftung wegen sittenwidriger Schädigung "ernsthaft in Betracht" komme. Das Gericht machte später auch schon einen Vergleichsvorschlag: 775 Millionen Euro sollte das Institut zahlen - dann wäre der Streit beigelegt. Kirch fordert zwei Milliarden Euro. Die Deutsche Bank lehnte eine Zahlung ab, doch könnte die hohe Summe ein weiterer Hinweis darauf sein, dass es für das Geldhaus brenzlig wird.

Börsig macht an diesem Tag den Anfang. Er spricht oft kaum verstehbar und wirkt verdruckst. Der Vorsitzende Richter Guido Kotschy ermahnt ihn wiederholt, das Mikrofon zu nutzen. Bei der fraglichen Vorstandssitzung im Jahr 2002 sei es nur am Rande um Kirch gegangen, sagt Börsig. Es sei eine Sitzung außerhalb der Reihe gewesen, bei der vor allem die neue Führungsstruktur der Bank sowie die Umstellung der Bilanzierungsregeln Thema gewesen sei. Kirch sei erst unter dem Tagungsordnungspunkt Verschiedenes behandelt worden.

Börsigs Ansicht nach hatte keiner am Vorstandstisch "ein verstärktes Interesse am Mandat der Kirch-Gruppe". Kirch sollte nur angesprochen werden, um einen Interessenkonflikt der Bank zu vermeiden, also "um sauber zu bleiben". Wenn Kirch ein Beratungsmandat für die Deutsche Bank ablehnen würde, "sind wir frei" - beispielweise um konkurrierende Medienunternehmer wie Rupert Murdoch oder andere als Kunden zu gewinnen, die ein Interesse an dem Kirch-Konzern haben könnten.

"Verstärkt" ist doch nur umgangssprachlich

Als der Richter kurz darauf die Sätze Börsigs wiederholt, korrigiert der Deutsche-Bank-Mann, es habe "kein Interesse" bestanden. Der Richter bohrt nach: "Sie haben zuvor gesagt: 'kein verstärktes Interesse'". Was denn nun? Börsig sagt: Er habe das "verstärkt" nur umgangssprachlich verwendet.

Später wird erbittert um die grammatischen Tempi im Protokoll gestritten, genauer: die Bedeutung des Perfekt und Imperfekt im Englischen, der Sprache des Protokolls. Die Vorstände einer der wichtigsten Bank weltweit diskutieren dazu erregt mit Hilfe von Regen und nassen Straßen, wann - grammatisch - ein Vorgang abgeschlossen ist - und wann noch nicht. Mit Hilfe dieser bizarr anmutende Ausführungen soll geklärt werden, welches Ereignis wann stattgefunden hat und ob die Bank schon Ende Januar 2002 vage oder entschieden erwog, auf Kirch zuzugehen.

War die Bank zu dem Zeitpunkt bereits gefragt worden, ob sie im Falle Kirch als Mediator zur Verfügung stünde? Das Vorstandsprotokoll, betont das Gericht, sage dies aus. Doch von wem die Bank gefragt worden ist - das bleibt offen. War es Murdoch? Oder einer der Teilnehmer an dem berühmten Kanzlergespräch, zu dem zu Gerhard Schröder neben Breuer Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff und WAZ-Chef Erich Schumann eingeladen hatte?

Der Prozess verliert sich im Kleinklein der Formulierungen, die ein Hinweis darauf liefern können, ob die Bank vorsätzlich gehandelt hat oder nicht.

Der gegnerische Anwalt Gauweiler lässt es sich zwischendurch auch nicht nehmen, auf den innerbetrieblichen Streit zwischen Börsig und Ackermann anzuspielen. Ein Seitenhieb nach Münchner Art. Stehe Börsig derzeit womöglich unter Druck, weil er aus dem Aufsichtsrat der Deutschen Bank weggemobbt werden soll? Doch der zunehmend sicherer werdende Börsig bestätigt dem Richter nur: "Ich fühle mich frei." Dieses Mal hat er die Lacher auf seiner Seite.

Die Vorstände, Tessen von Heydebreck und Hermann-Josef Lamberti gaben an, sich erst nach Durchsicht des Vorstandsprotokolls an die Vorgänge damals erinnern zu können. Lamberti spricht von einer "Kontext-Erinnerung": Breuer habe auf dieser Sitzung von einem gemeinsamen Abendessen "mit dem damaligen Bundeskanzler" gesprochen, dass sei eine ungewöhnliche Situation gewesen. Erhellendes kommt dabei nicht zu Tage, nur düstere Erinnerungslücken werden offenbar.

Selbst bei Ackermann, der immerhin bestätigen kann, dass er auf einer Hauptversammlung im Jahr 2007 gesagt hatte, dass der Vorstand 2002 zugestimmt hatte, an Kirch heranzutreten. Zugestimmt - ja, aber es sei kein Beschluss gefasst worden. "Sonst wäre ich ja tätig geworden und hätte Kirch angerufen", sagt Ackermann. Dass er das nicht getan habe, ist doch der beste Beweis, dass kein Beschluss gefasst worden sei."

An die Vorstandssitzung 2002 kann sich Ackermann durchaus erinnern, auch, weil angesichts der kontroversen Diskussion um das Investmentbanking in der Öffentlichkeit im Vorstand besprochen worden sei, den Kreditkunden Kirch wegen eines Mandats anzusprechen. Erst bei einer Ablehnung sei man frei. Aber das hatte Börsig ja genauso formuliert.

Ob sich die Bank eigentlich auch dann noch dem Kunden verantwortlich fühle und auf ein Fremdmandat verzichte, wenn ein Kunde kein Mandat erteile, will das Gericht wissen? "Nein", sagt Ackermann, dann fühle sie sich frei das zu tun, was sie wolle.

Börsig wird zwischendurch übrigens noch einmal in den Gerichtssaal gebeten. Er hatte seine Adresse falsch angegeben. Aber sie lässt sich dann mit Hilfe des Personalausweises weitgehend eruieren. Nur die Postleitzahl fehlt zunächst noch. Sie steht nicht im Ausweis.

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